Diese kleine Gemeinde will Vorreiter bei der Energiewende sein
Tattendorf, südlich von Wien in der Thermenregion gelegen, ist eine kleine Gemeinde mit 1500 Einwohner, wie es hunderte in Österreich gibt. Immerhin weltbekannt ist eine gebürtige Tattendorferin, Walburga Neuzil, geboren 1894. Fräulein Neuzil galt als Muse des Malers Egon Schiele, der von ihr das expressionistische Porträt „Wally“ schuf, das heute im Leopold Museum in Wien ausgestellt und weltberühmt ist.
Hundert Jahre später könnte Tattendorf vielleicht wieder als große Inspiration in die Geschichtsbücher eingehen, auch wenn der Grund vermeintlich weniger aufsehenerregend ist: Die Tattendorfer wollen die ersten sein, die in Österreich eine Energiegenossenschaft gründen. Rasch erklärt heißt das, sie produzieren, jeder für sich und in einer Genossenschaft, Elektrizität und können sich diese gegenseitig verkaufen. Wobei das zur Stunde außerhalb von Grundstücksgrenzen gar nicht möglich ist, es ist sogar illegal und würde bestraft werden.
Nun sind die Tattendorfer sicher vieles, aber eher keine gesetzeslosen Desperados, so jedenfalls der Eindruck beim KURIER-Augenschein am vergangenen Donnerstag.
Bürgermeister Alfred Reinisch (Bürgerliste) reitet auch nicht auf einem Pferd durch den Ort, sondern ist eher in seinem Elektro-Golfwagerl anzutreffen. Ab und zu auch gemeinsam mit seinem Umwelt-Gemeinderat Christian Mesterhazi (SPÖ), der eigentlich hinter der Tattendorfer Energiewende steckt.
Wind, Wasser, Sonne
650 Haushalte gibt es in Tattendorf, und diese zahlen jährlich bis zu zwei Millionen Euro für ihr fossiles Öl und Gas, übrigens an Länder wie Russland oder Kasachstan, rechnet Mesterhazi vor. Warum nicht so schnell wie möglich auf den Zug der Energiewende aufspringen und damit Jobs und Wertschöpfung in der Region schaffen, dachte sich der Politiker.
Denn Tattendorf hat eigentlich alles, was die Energiewende so braucht: Viel Wind und einen Windpark mit elf Anlagen und dem Potenzial für zusätzliche Windräder; drei Kleinwasserkraftwerke an einem Seitenarm der Triesting; sehr viele Dächer, die großteils noch ohne Sonnenstrompaneele ungenützt sind. Sogar ein privates Biomasseheizwerk haben die Tattendorfer und, verrät Mesterhazi, in einigen hundert Metern Tiefe Thermalwasser, das 80 Grad heiß sein soll. Das wissen die Tattendorfer, weil in den 1960er Jahren die OMV hier nach Öl und Gas bohrte, aber nur heißes Wasser fand.
Bürgermeister Reinisch und Gemeinderat Mesterhazi flitzen im E-Golfwagerl durch den Ort.
Das ist eine Ortstafel...
...und das ist ein Siloturm.
Starten werden die Tattendorfer mit etwa 20 Gründungsmitgliedern ihrer Energiegenossenschaft. „Wir rechnen dann mit 300 bis 400 Mitgliedern, natürlich würden wir uns wünschen, wenn alle mitmachen. Jeder kann um 50 Euro einen Anteil an der Genossenschaft erwerben. Alles andere muss dann wachsen“, erklärt Mesterhazi den nächsten Schritt.
Natürlich gibt es einen Schönheitsfehler in seiner Rechnung: Das Gesetz für die Energiegemeinschaften gibt es nicht, noch nicht. Geht alles gut, soll es kommende Woche im Nationalrat beschlossen werden. Die ganz Branche wartet seit einem Jahrzehnt auf dieses „Erneuerbaren Ausbaugesetz“. Mesterhazi und sein Bürgermeister Alfred Reinisch wollen jetzt die Tattendorfer überzeugen, mitzumachen. Sie haben exzellente Beispiele im Ort, warum das eine tolle Sache werden kann, etwa den Winzer Johannes Reinisch. Der hat schon vor ein paar Jahren begonnen, PV-Paneele auf seinem Dach zu installieren, inzwischen auch einen Batteriespeicher.
„Damit decken wir übers Jahr gesehen fast 75 Prozent unseres Strombedarfs, neben drei Haushalten sind das die Kühlung und die nächtliche Bewässerung unserer Weingärten“, sagt Reinisch. Der Klimaschutz- und Umweltgedanke stand da anfangs gar nicht im Vordergrund, gibt er zu, er wollte einfach die laufenden Kosten senken. „Und jetzt zeigt sich, dass sich die Anlage nach acht Jahren abbezahlt hat. Und wir sind kaum noch vom schwankenden Strompreis abhängig.“
Alles da: Windpark Tattendorf und...
...Kleinwasserkraft an der Triesting und...
...Winzer Hannes Reinisch mit seiner PV-Anlage.
Aber wie ticken die Tattendorfer?
Bürgermeister Reinisch verweist darauf, dass auch die Gemeinde selbst PV-Anlagen bauen wird, nicht auf Ackerflächen, sondern auf Dächern und einem ehemaligen Schießplatz, wo auch ein Biotop für gefährdete Arten entstehen soll.
Und wie sehen das die Bürger? Sind die Tattendorfer denn aufgeschlossener als andere Österreicher, was die Energiewende betrifft? Der Bürgermeister gibt zu: „Das ist sehr unterschiedlich. Wer sich mit dem Thema wirklich befasst und offen ist, versteht das auch, was wir machen wollen. Es ist aber extrem schwer, die Bevölkerung dafür aufzurütteln. Weil Veränderung nie einfach ist.“
Wirklich mobilisieren werde man die Bürger aber erst, wenn sie sehen, dass Geld übrig bleibt, der Strom also billiger wird. Mesterhazi ist da siegessicherer: „Ich verbürge mich dafür, dass es sicher nicht teurer wird.“
Nur mehr Ökostrom bis 2030
Noch wird etwa ein Drittel des österreichischen Stroms in Erdgas-Kraftwerken produziert. Bis 2030, so der Plan der Regierung, soll die Elektrizität bilanziell nur mehr aus Erneuerbaren Energien kommen – Wasser, Wind, Sonne, Biomasse, Geothermie.
Erneuerbaren Ausbaugesetz EAG
Seit einem Dreivierteljahr verhandelt die Regierung nun schon das EAG, es sollte kommende Woche beschlossen werden. Dafür braucht es die Stimmen der SPÖ-Abgeordneten, weil Teile des EAG im Verfassungsrang stehen.
27 TWh Ökostrom-Ausbauziel
Das Zubauziel ist 27 Terawattstunden, aus einem Plus von mehr Windkraft (10 TWh), Fotovoltaik (11 TWh), und ein bisschen auch aus Wasserkraft (5TWh) und Biomasse (1 TWh).
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