Gewessler verspricht: "Es wird ein Klimaschutzgesetz geben"
KURIER: Fänden Sie es richtig, wenn der Bundeskanzler auf Festivals Menschen für ein Bauernbund-Tattoo einen 1000-Euro-Schnitzel-Gutschein schenkt?
Leonore Gewessler: Ich weiß natürlich, worauf die Frage abzielt. Was mich in dieser ganzen Aufregung schon ein bisschen verwundert: Wir sprechen hier über mündige, volljährige Menschen, die wählen dürfen, Kinder großziehen, einen Kredit aufnehmen und die sich entscheiden können, ob sie sich tätowieren lassen wollen und welches Statement sie damit abgeben.
Aber verstehen Sie die Kritik an der Symbolik: Dass sich eher armutsgefährdete Menschen für Geld ein Klimaticket tätowieren lassen würden?
Mir ist bewusst, dass es armutsgefährdete Menschen gibt, die ein Problem mit der Teuerung haben. Aber ich fürchte, die sind nicht bei einem Festival, wo der Eintritt 200 Euro kostet. Wir sollten das ernste Thema Armut nicht nutzen, um politisches Kleingeld zu wechseln, sondern es seriös angehen.
Sie mussten in der Krise Entscheidungen treffen, die Ihrer Agenda nicht dienen. Wollen Sie mit solchen Aktionen zeigen, dass Sie im Kern auch Klimaaktivistin sind?
Wir sind nach wie vor mitten in einer globalen Energiekrise. Sie hat erfordert, dass ich mich darauf konzentriere, die Energiesicherheit in diesem Land herzustellen. Das ist gelungen. Aber wir haben während dieser ganzen Zeit immer auch über Klimaschutz geredet und dafür geworben. In dem Fall ist es darum gegangen, das Klimaticket vorzustellen. Klimakommunikation wird es auch weiterhin geben.
Thema Heizungstausch: Für die Förderaktion „Raus aus Öl und Gas“ gab es heuer 21.000 Registrierungen, 2022 waren es zum diesem Zeitpunkt 30.500. Wie lässt sich der Rückgang erklären?
Im letzten Jahr haben wir einen großen Schub gehabt, weil vielleicht auch viele Menschen Projekte vorgezogen haben. Mit unserem Fördersystem haben wir Stabilität geschaffen, es läuft auch eine große Informationskampagne zur Sanierung und zum Heizkesseltausch. Derzeit haben wir also keinen Grund zur Sorge, aber wir beobachten die Entwicklung der Antragszahlen natürlich sehr genau.
In Österreich gibt es 1,4 Millionen fossile Heizungen, die laut dem noch nicht beschlossenen Erneuerbaren-Wärmegesetz (EWG) bis 2040 ausgetauscht werden müssten. Das wären knapp 90.000 Heizungswechsel pro Jahr. Sind wir auf Kurs?
Wir haben hier einen Boom wie nie zuvor und diese Entwicklung gilt es zu verstetigen. Deswegen ist das EWG so enorm wichtig. Es gibt Planungssicherheit und einen gesetzlichen Rahmen vor. Damit wissen alle, dass ihr fossiles Heizsystem ein Ablaufdatum hat. Es kann niemand mehr einer jungen Familie, die ein Haus baut, einreden, dass eine Gasheizung eine gute Idee ist.
Das EWG ist Zwei-Drittel-Materie. Wie laufen die Verhandlungen mit der SPÖ?
Wir haben beim EWG durch die Blockade der SPÖ im Sommerhalbjahr Zeit verloren, die wir nicht mehr aufholen können. Das Gesetz liegt im Parlament, die Klubs sind hier gefordert.
Sind die Zielwerte des EWG bereits gefährdet?
Wir haben uns ein großes Ziel gesetzt: Klimaneutralität bis 2040. In den Prognosen gehen die Treibhausgasemissionen in Österreich auch deutlich zurück, bis 2030 um minus 35 Prozent. Unsere Maßnahmen wirken also, aber bei der Energiewende zählt jeder Tag. Wenn man dann durch eine Blockade Zeit verliert, macht das natürlich einen Unterschied.
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Klimaexperten vom Climate Austria Center haben den Nationalen Energie- und Klimaplan (NEKP) teils gelobt, teils kritisiert. Werden Sie nachschärfen?
Unser Entwurf war bis Ende August in der öffentlichen Konsultation. Auf das EU-rechtlich verbindliche Ziel von 48 Prozent weniger Emissionen fehlen uns 13 Prozentpunkte. Die müssen wir schaffen, dafür sind konkrete Vorschläge gefordert, deshalb auch die Konsultation. Es geht jetzt darum, Maßnahmen zu finden, die auch Möglichkeit auf eine parlamentarische Mehrheit haben. Wir werden die Vorschläge prüfen. Bis Ende Juni 2024 müssen wir der EU-Kommission einen fertigen Plan senden.
Welche konkreten Maßnahmen könnten drinnen stehen? Tempo 100?
Tempo 100 erhöht die Verkehrssicherheit, senkt die Kosten und Emissionen. Wir Grüne sind als Einzige dafür. Aber SPÖ, ÖVP, Neos und FPÖ sind dagegen. Wir haben für diese Maßnahme keine parlamentarische Mehrheit.
Sie haben der ÖVP im April einen Expertenplan zum Ausstieg aus russischem Gas bis 2027 vorgelegt. Ist seitdem was passiert oder ist 2027 nicht mehr realistisch?
Das Ziel steht und ist realistisch, wir haben auch weitere Maßnahmen gesetzt. Im Parlament liegt eine Novelle des Gaswirtschaft-Gesetzes, das etwa die Energieversorger verpflichtet, mehr Gas zu speichern. Aber die Abhängigkeit ist nach wie vor zu hoch, alle sind in ihrer Verantwortung gefordert. Und es gibt schon relativ verstörende Meinungen zu diesem Thema. Es gibt Menschen in dieser Republik, die jetzt, wo die russischen Gaslieferungen wieder zugenommen haben, sagen, man muss nichts tun, es wird alles wieder so wie früher.
Zum Beispiel?
Es gibt Stimmen aus der Wirtschaft, die in der Sekunde, wenn es Probleme gibt, eine Lösung vom Staat fordern. Aber wenn es darum geht, gemeinsam nächste Schritte zu machen, soll er sich wieder zurückhalten. Es gibt Energieversorger, die hohe Gewinne gemacht haben, aber deutlich zurückhaltender sind, wenn es darum geht, Kosten für die Risikovorsorge zu übernehmen.
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Liegt Ihnen mittlerweile die genaue Liste klimaschädlicher Subventionen in Österreich vor?
Die Liste jener die den Bund betreffen, wurde übermittelt. Die Hauptverantwortung liegt im Finanzministerium.
Warum haben Sie sich beim Renaturierungsgesetz auf EU-Ebene bei der Abstimmung enthalten?
Das Renaturierungsgesetz ist sehr wichtig, weil Österreich in den letzten Jahrzehnten Europameister darin war, der Natur Raum zu nehmen und Böden zu versiegeln. Aber die verfassungsrechtliche Kompetenz für den Naturschutz liegt in weiten Teilen bei den Bundesländern, die einheitlich gegen das Gesetz waren. Deswegen habe ich mich bei dieser Abstimmung enthalten.
Eine Mehrheit der EU-Staaten hat für das Gesetz gestimmt. Im Herbst starten die Verhandlungen mit EU-Kommission und EU-Parlament über den finalen Entwurf. Werden Sie auch dort für die Änderungswünsche der Länder eintreten?
Wir werden weiterhin intensiv mit den Bundesländern zusammenarbeiten, damit wir einen finalen Entwurf haben, der für sie gut und praxistauglich ist.
SPÖ-Chef Andreas Babler meint, die CO2-Steuer habe keinen Lenkungseffekt, denn es sei kein zusätzlicher Bahnkilometer mehr entstanden. Was entgegnen Sie?
Ich empfehle einen Blick auf die Fakten. Dieses Haus hatte viele verschiedene Ministerinnen und Minister, darunter nicht wenige von der SPÖ. Seit meinem Amtsantritt haben wir im Ausbau des öffentlichen Verkehrs so viel gemacht wie nie zuvor, vorherige Regierungen haben lieber Straßen gebaut. Wir haben für ein besseres Angebot gesorgt, wir kriegen neue Züge, und es gibt ein Klimaticket, das bereits 245.000 Menschen haben. Und wir sehen natürlich auch, dass Preise wirken. Die CO2-Bepreisung ist nicht die einzige Lösung für den Klimaschutz, aber eine notwendige.
Das Bahnnetz stößt mittlerweile an Kapazitätsgrenzen. Haben Sie das Bahnfahren mit dem Klimaticket so attraktiv gemacht, dass die ÖBB gewisse Qualitätsstandards wie Sitzplätze nicht mehr überall einhalten kann?
Wir haben immer gesagt, wenn wir den öffentlichen Verkehr zur bequemsten, effizientesten und günstigsten Wahl machen wollen, brauchen wir Infrastruktur. Deshalb investieren wir in den nächsten sechs Jahren 19 Milliarden Euro. Ich weiß, es ist eine sehr unangenehme Situation, an Stoßzeiten oder langen Wochenenden in einem vollen Zug zu sein. Die ÖBB machen alles, um das so gut wie möglich abzufedern.
Was halten Sie von einer Reservierungspflicht als Übergangslösung?
Wir haben in Österreich von Anfang an ein offenes Bahnsystem gehabt: Ich habe also ein Ticket und kann mich entscheiden, mit welchem Zug ich fahre. Das wollen wir behalten, dazu stehe ich.
Sind Sie eigentlich für ein Privatjet-Verbot in der EU oder haben Sie als Ministerin auch die Vorteile schätzen gelernt?
Privatjets sind die mit Abstand klimaschädlichste Fortbewegungsart. Das ist ein Hobby für sehr, sehr wenige Superreiche, da muss man hinschauen. Österreich hat der EU-Verkehrskommissarin mit anderen Ländern Vorschläge gemacht. Und ich erwarte mir auch, dass die Kommission hier was vorlegt.
Mit wem aus der ÖVP-Regierung arbeiten Sie besonders gerne zusammen?
Darum geht es in einer Koalition nicht. Es geht darum, ob man Ergebnisse liefert. Und in diesem Ministerium sind in den letzten Jahren viele Dinge gelungen, von denen mir auch Leute von der ÖVP ausgerichtet haben: Das wird es nicht geben. WKÖ-Generalsekretär Karlheinz Kopf hat zum Beispiel gesagt, es wird ab 2025 kein Plastik-Pfand geben. Wir haben es trotzdem erreicht. Das gilt auch für das Klimaticket oder die LKW-Maut, die jetzt um die Kosten für CO2-Emissionen erhöht wird.
Wie denken Sie darüber, dass die erste klimabezogene Maßnahme, die die ÖVP in ihren Zukunftsplan für 2030 schreibt, härtere Strafen für Klimakleber sind?
Wir brauchen in dieser Diskussion Augenmaß. Hier ist eine junge Generation, die sich um ihre Zukunft fürchtet, weil sie die Auswirkungen der Klimakrise sieht und spürt. Ich verstehe, dass die Protestform nervt. Aber das ist ziviler Ungehorsam, den hält eine starke Demokratie aus, und die aktuellen Gesetze reichen. Wir haben eben ein Jahr vor der Wahl, und die Parteien positionieren sich wieder stärker. Genau unter diesem Gesichtspunkt muss man diese Forderung wohl auch sehen.
Was wollen Sie denn bis zur Wahl noch umsetzen?
Wir haben noch viele Vorschläge mit der ÖVP in Verhandlung. Etwa, wie wir es den Gemeinden erleichtern, im Ortsgebiet 30 km/h einzuführen. Und es gibt Gesetze, die auf der Hand liegen, wie das EWG oder eine gute Bodenschutz-Strategie und natürlich das Klimaschutzgesetz. Ich arbeite mit Hochdruck daran, dass wir es vor dem Ende der Legislaturperiode abschließen. Wie gesagt, mir ist bei vielen Gesetzen ausgerichtet worden, dass sie nie kommen werden. Am Ende wird es auch ein Klimaschutzgesetz geben.
Die Grünen suchen noch eine Spitzenkandidatin für die Europawahlen. Fänden Sie das reizvoll?
Ich bin mit voller Energie Ministerin und will im Klimaschutz noch vieles gut abschließen. Ich habe wirklich keine Zeit, mir über anderes Gedanken zu machen. Ich habe mehr als genug zu tun.
Also ist es keine Option?
Wir sind am Ende des Sommerlochs. Gott sei Dank. Es wurden in diesem Sommer schon genug Sommerlochdebatten geführt.
Leonore Gewessler
Die 45-jährige Grazerin studierte Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen. Von 2008 bis 2014 war sie Gründungsdirektorin der European Green Foundation (GEF) in Brüssel. Von 2014 bis 2019 übernahm sie die Geschäftsführung von Global 2000, wo sie das Volksbegehren gegen die internationalen Handelsabkommen CETA und TTIP unterstützte.
Klimaschutzministerin
Seit Jänner 2020 ist Gewessler als Bundesministerin für Klimaschutz, Energie und Verkehr zuständig. Teile ihres Programms – wie das Klimaticket und der CO2-Bepreisung – hat sie durchgesetzt, das Klimaschutzgesetz fehlt nach wie vor.
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