Gewessler attackiert Kanzler: „Das ist moderne Klimawandelleugnung“
Der Bundeskanzler sagt, dass die Klima-Apokalypse ausbleibt, weil es dafür keinen wissenschaftlichen Beweis gibt. Einverstanden?
Ich glaube, der Bundeskanzler ist da schlecht beraten. Nicht nur die Wissenschaft ist hier sehr klar. Das spüren auch die Bauern und Bäuerinnen, die zwischen Unwetter und Trockenheit nicht mehr wissen, wie sie eine Ernte zusammenbringen. Das weiß die Tourismusindustrie, wenn ihnen die Skipisten runterrinnen oder die Seen austrocknen. Die Klimakrise geht nicht weg, wenn man die Augen vor ihr verschließt. Wir Grüne haben die sehr klare Vision Klimaglück. Und dafür braucht es mutiges, politisches Handeln.
Nehammers Inspiration für die Rede war US-Kernkraftlobbyist und Trump-Berater Michael Shellenberger. Eine gute Lektüre?
Nein. Shellenberger verfolgt hier eine eigene Agenda. Und wenn man ehrlich ist, ist das eine moderne Form der Klimawandelleugnung.
Ist die ÖVP aus Ihrer Sicht immer noch eine fossile Partei?
Die Geschichte der ÖVP und des Klimaschutzes lässt sich ja an 30 Jahren Regierungsbeteiligung transparent nachvollziehen: an schlechten Klimabilanzen und steigenden Emissionen. Wenn es nach den Prioritäten der ÖVP geht, gibt es also zu wenig Klimaschutz. Die Grünen machen in dieser Koalition den Unterschied, weil wir konsequent und beharrlich die Politik machen, die es braucht – vom Ökostromausbau, über das Klimaticket bis zum Pfand.
Müssen Sie also immerzu gegen die ÖVP arbeiten?
Jedes einzelne dieser Projekte war ein Bohren dicker Bretter. Dass die ÖVP und die Grünen unterschiedliche Positionen haben im Klimaschutz, wird niemanden überraschen. Das braucht Hartnäckigkeit, aber ich lasse mich nicht beirren. Und das Ergebnis zeigt: Es gelingt auch.
Haben Sie Sorge, dass Einigungen wie die CO2-Bepreisung von einer möglichen FPÖ-ÖVP-Regierung wieder aufgehoben werden?
Wir haben auf nationaler und europäischer Ebene einen Rahmen geschaffen. Österreich hat sich verpflichtet, die Emissionen bis 2030 um 48 Prozent zu reduzieren. Schaffen wir das nicht, drohen Strafzahlungen. Mir stimmen, glaube ich, viele Menschen und Parteien zu, dass es gescheiter ist, wir investieren das Geld gleich in eine lebenswerte Zukunft. Ich bin überzeugt: Bei diesen wichtigen Weichenstellungen lässt sich die Zeit nicht mehr zurückdrehen.
Ein robustes Klimaschutzgesetz würde da helfen. Laut ÖVP hat es aber keine Priorität. Kommt das noch?
An dem Gesetz wird beständig gearbeitet. Es ist einer der Pflöcke, die wichtig sind für den Klimaschutz. Könnte ich es allein machen, hätten wir es schon. Das ist auch klar.
Viele Experten sagen, dass sich das 1,5-Grad-Ziel sowieso nicht mehr ausgeht. Sollten wir größeren Fokus darauf legen, uns an eine heißere Erde anzupassen?
Die Wissenschaft sagt: Je mehr wir zögern, desto schwieriger wird es. Ja, das 1,5 Grad-Ziel wird mit jedem Jahr ambitionierter. Aber das heißt doch nur, dass wir noch konsequenter um jedes Zehntelgrad ringen müssen. 0,1 oder 0,2 Grad mehr machen ganz real einen Unterschied, Klimakrise heißt für ganz viele Menschen auf dieser Welt, dass ihre Heimat unbewohnbar wird. Mit der Frage der Anpassung beschäftigen wir uns dennoch. Manche Effekte sind schon da und werden nicht mehr verschwinden.
Sind Sie für E-Fuels?
Ja, wir werden E-Fuels brauchen, dringend und in großen Mengen. Sie können dort eingesetzt werden, wo wir keine Alternative haben, etwa im Flug- und Schiffverkehr. Aber wir müssen ehrlich sein in der Debatte. E-Fuels brauchen viel Energie und werden teuer sein. Man streut den Menschen Sand in die Augen, wenn man meint, sie können 2035 mit E-Fuels Autofahren – und dann kostet der Liter 4 Euro. Im Pkw-Bereich hat sich die E-Mobilität durchgesetzt. Sie ist die effizientere und bessere Technologie für den Klimaschutz, der Markt hat das entschieden. Alle großen Autohersteller sind Richtung E-Mobilität unterwegs. Und die Politik ist gefordert, jetzt die Rahmenbedingungen zu setzen.
Wie soll sich ein Normalverdiener derzeit ein E-Auto leisten, wenn diese 50.000 bis 60.000 Euro kosten?
Sie sprechen da ein wichtiges Thema an: Klar muss das sozial gerecht gehen. Wir reden bei dem Umstieg ja nicht über morgen, sondern über 2035. Die Autohersteller bringen immer kleinere Modelle auf den Markt und für die E-Mobilität entwickelt sich bereits ein Gebrauchtwagenmarkt. Die Technologie entwickelt sich weiter und wird insgesamt günstiger.
Warum sagt der Bundeskanzler dann, dass der Verbrenner nicht verboten wird?
Österreich hat mit einer Mehrheit von EU-Mitgliedstaaten dem Kompromiss, dass es ab 2035 nur noch emissionsfreie Neuzulassungen gibt, bereits mehrmals zugestimmt. Ich sehe keinen Anlass, diese Position zu verändern.
Eine Konsequenz des Klimatickets waren überfüllte Pendlerzüge. Ist die Ausbau-Kapazität an manchen Strecken schon erreicht?
Wir arbeiten gerade am Zielnetz 2040, dem Öffi- und Bahnausbauplan für Österreich. Auf dem Weg dorthin haben wir seit 2020 jedes Jahr mehr in die Infrastruktur investiert. Wir bauen das Netz und auch das Angebot aus, gerade auf den Pendlerstrecken.
Was genau steht in dem Ausbauplan?
Bis 2030 wird die Anzahl der Sitzplätze allein im Fernverkehr um ein Drittel steigen.
Eine Studie zeigte diese Woche, dass die Bundesländer beim Erneuerbaren-Ausbau nicht in die Gänge kommen. Wer ist schuld?
Niemand kann einem erklären, dass es 2023 noch Bundesländer ohne Windrad gibt. Deswegen gibt es jetzt eine Novelle des Umweltverträglichkeitsprüfungs-Gesetzes, wo drinnen steht: Fehlende Energieraumplanung der Länder kann nicht mehr verhindern, dass wir beim Windkraft-Ausbau vorankommen.
Nehmen Sie auch die Netzbetreiber in die Pflicht? Vielerorts können Photovoltaik-Betreiber ihren Strom gar nicht einspeisen, weil es die Netze nicht aushalten.
Bei den großen Übertragungsnetzleitungen machen wir jetzt den österreichischen Netzinfrastruktur-Plan. Da geht es darum, wo in Zukunft große Stromverbraucher sein werden – wie zum Beispiel die Voest, die auf Elektor-Stahl umsteigt. Parallel dazu bearbeiten wir aber auch die Ebene der kleinflächigeren Verteilnetze. Das betrifft wiederum die Netzbetreiber auf Landesebene. Wir wollen im neuen Elektrizitätswirtschaft-Gesetz festlegen, dass die Verteilnetzbetreiber mehrjährige Entwicklungspläne haben müssen.
Wann kommt das Erneuerbaren-Wärmegesetz?
Das Gesetz ist deshalb so wichtig, weil es festlegt, wie wir bis 2040 unsere Gebäude erneuerbar und klimaneutral heizen. Die Koalition hat sich geeinigt, der Entwurf liegt dem Parlament vor. Aber als Energiegesetz braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Wir brauchen also eine Oppositionspartei, die mitzieht. Ich erwarte mir, dass all die, die Klimaschutz einfordern, diesen Worten auch Taten folgen lassen.
Laut OGM-Vertrauensindex gehören sie in Österreich zu den unbeliebteren Politikerinnen. Wissen Sie, warum?
Ich war jahrelang in der Zivilgesellschaft und habe die Politik aufgefordert, im Klimaschutz aktiv zu sein. Ich bin also nicht mit dem Ziel in die Politik gegangen, um einen Beliebtheitswettbewerb zu gewinnen, sondern um in der Realität einen Unterschied zu machen. Ich will, dass wir auch 2040 in diesem Land noch gut leben können und unsere einzigartige Natur schützen. Und mir war völlig klar: Das erfordert auch unpopuläre Entscheidungen, wie den Stopp gewisser Straßenbauprojekte.
Österreich muss immer mehr Strom importieren. Werden Erneuerbare zu langsam ausgebaut?
In den letzten Jahrzehnten waren wir nicht schnell genug. Aber gerade deshalb haben wir mit dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz, der UVP-Novelle und viel höheren PV-Förderungen den Erneuerbaren-Turbo gezündet. 2022 war ein absolutes Rekordjahr beim Photovoltaik-Ausbau, da liegen wir über dem Zielpfad. Genauso muss es jetzt weitergehen.
Wird das PV-Fördersystem noch weiterentwickelt?
Selbstverständlich müssen wir hier immer daran arbeiten noch besser zu werden. Eine Möglichkeit, die ich dem Finanzminister übermittelt habe, ist die Mehrwertsteuer-Befreiung für PV-Anlagen.. Deutschland hat damit gute Erfahrungen gemacht.
Sie haben gesagt, das BMF müsste wissen, was in den langfristigen OMV-Verträgen mit der Gazprom steht. Haben Sie seit Kriegsbeginn da auch Druck auf den Finanzminister ausgeübt?
Wir haben im Frühjahr 2022 unseren Ausstiegsplan aus russischem Gas bis 2027 vorgelegt. Jahrzehntelang haben sich österreichische Bundesregierungen Richtung Russland orientiert. Wir haben die Abhängigkeit seit Kriegsbeginn von 80 auf etwa 50 Prozent reduziert. Das waren wichtig Schritte, aber wir sind noch nicht am Ziel.
Der E-Control, die dem Energieministerium berichtet, hat die Verträge auch.
Die E-Control kennt natürlich gewisse Details.. Es ist aber klar reguliert, dass ich diese Details nicht wissen darf. Die Republik sitzt aber über den ÖBAG und somit über das BMF im OMV-Aufsichtsrat. Deswegen bin ich der Meinung, dass der Finanzminister da eine Möglichkeit finden wird, an die Inhalte zu kommen.
Es fällt schwer, der Regierung den Ausstiegsplan zu glauben, wenn sie sich nicht einmal über die Konsequenzen dieser Verträge informiert.
Wir haben in einer unmittelbaren Krisensituation eine Vielzahl an Maßnahmen gesetzt. Wir haben das Gas-Diversifizierungs-Gesetz und die strategische Reserve beschlossen. Wir haben der OMV ermöglicht, Leitungs-Kapazitäten zu ersteigern, die uns unabhängiger machen. Und wir machen konsequent weiter. Wir werden zwar noch länger fossiles Erdgas brauchen, aber nicht aus Russland.
Die EU-Kommission hat jetzt einen Vorschlag präsentiert, wie man den Strom- vom Gaspreis entkoppeln kann. Zufrieden?
Er bleibt hinter den Erwartungen zurück. Wir werden ihn analysieren, konkrete Vorschläge erarbeiten und sie bei der Kommission einfordern. In Österreich machen wir unsere Hausaufgaben und haben einen hohen Anteil Erneuerbarer. Das sollen die Menschen auch im Preis spüren.
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