Es ist eine Woche der Ankündigungen und Beschlüsse für den Pflegesektor. Dass es hier in Österreich auch dringend Maßnahmen braucht, daran zweifelt niemand, denn die Zahlen sprechen für sich: Bis 2030 fehlen in Österreich mehr als 75.000 Pflegekräfte.
Von einer groß angelegten Pflegereform ist daher seit Jahren die Rede. Die türkis-grüne Regierung hat im Koalitionsprogramm zahlreiche Maßnahmen festgehalten, um im Pflegesektor aufzuholen.
Sie selbst ist mit der bisherigen Bilanz zufrieden. "Es hat noch keine Legislaturperiode gegeben, wo so viel in der Pflege weitergebracht wurde, wie in diesem letzten Jahr", sagt etwa ÖVP-Klubobmann August Wöginger. Alle Punkte des ersten Teils der Pflegereform seien bereits umgesetzt oder in Umsetzung, nun folge knapp ein Jahr später "das zweite große Paket zum Themenbereich Pflege".
Auch Pflegeorganisationen und Seniorenvertreter freuen sich über die gesetzten Schritte, mahnen aber gleichzeitig ein, dass noch vieles passieren muss.
Was schon in Umsetzung ist, und was noch fehlt:
- Angehörigenbonus auch außerhalb des Haushalts
Am heutigen Donnerstag beschließt der Nationalrat die Etablierung der Pflege als Lehrberuf, mit drei- bzw. vierjähriger Ausbildung zur Pflegeassistenz bzw. Pflegefachassistenz. Ebenso wird gesetzlich festgelegt, dass den Bonus für pflegende Angehörige nun auch jene, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben.
Am Mittwoch hat die Bundesregierung weitere Maßnahmen im Pflegebereich beschlossen. Die Rede ist vom „zweiten Teil“ der Pflegereform, dessen Ziel es sei, "strukturelle Verbesserungen für alle Pflegenden zustande zu bekommen", wie Sozialminister Johannes Rauch sagte. Insgesamt umfasse das Paket 18 Maßnahmen, für die die Regierung 120 Millionen Euro bis zum Ende der Legislaturperiode zur Verfügung stellt.
- Änderungen bei 24-Stunden Pflege
Die Förderung für die 24-Stunden-Betreuung von Pflegebedürftigen daheim wird neuerlich angehoben. Ab spätestens 1. September soll es um 160 Euro mehr geben - statt 640 Euro also 800 Euro, sofern zwei selbstständige Personenbetreuer zum Einsatz kommen. Werden die Betreuer angestellt, gibt es statt 1.280 Euro dann 1.600 Euro. Für 2023 übernimmt der Bund die Kosten von 23 Millionen Euro. Ab 2024 soll eine Übernahme in die Regelfinanzierung erfolgen (60 Prozent Bund, 40 Prozent Länder).
Selbstständige 24-Stunden-Betreuerinnen dürfen außerdem künftig bis zu drei Personen in einem privaten Haushalt betreuen, auch wenn diese nicht in einem Verwandtschaftsverhältnis stehen. Diese Teilbarkeit soll es Menschen erleichtern, im Alter zusammenzuziehen.
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- Erleichterung der Nostrifikation
Umgesetzt werden nun auch die bereits angekündigten Erleichterungen bei Nostrifikationen. Damit werden im Ausland erworbene Qualifikationen für Pflegekräfte einfacher und schneller anerkannt. Künftig werden bei ausländischen Pflegekräften Gesamtqualifikation und Berufserfahrung beurteilt und nicht mehr das Stundenausmaß der Fächer in der Ausbildung.
- Mittel für Arbeitsmarktintegration von Migranten im Pflegebereich
Das Pflegepaket bringt auch eine Million mehr für die Arbeitsmarktintegration von Migranten im Pflegebereich. Migranten sollen durch Beratung sowie fachspezifischen Unterricht auf Ausbildungen im Pflege- und Betreuungsbereich vorbereitet werden, teilte Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) in einer Aussendung mit.
- Erweiterung der Kompetenzen von Pflegekräften
Auch soll es laut Regierungsangaben Pflegekräften künftig möglich sein, Ersteinstufungen fürs Pflegegeld vorzunehmen. Ziel ist es, die Wartezeit auf das Pflegegeld zu verkürzen. Diplomierte Gesundheits-und Krankenpfleger dürfen zudem Medizinprodukte, wie zum Beispiel Inkontinenzbedarf, nicht nur weiter- sondern auch erstmalig verordnen.
- Pflegeausbildung für Zivildiener
Zivildiener können künftig - auf freiwilliger Basis - eine Grundausbildung Pflege absolvieren, der dann in einer eventuellen späteren Pflegeausbildungen anrechenbar ist, wie Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) erklärte.
Was noch fehlt
Mit den präsentierten Maßnahmen sei es in puncto Pflege nicht getan, sagte Sozialminister Rauch. "Im nächsten Schritt geht es darum, über den Finanzausgleich eine langfristige Absicherung der Finanzierung und der Maßnahmen hinzubekommen." Er sei zuversichtlich, dass das möglich sei.
Auch Seniorenvertreter sehen noch viel Handlungsbedarf in Sachen Pflege: „Das Wichtigste ist nach wie vor die Finanzierung aus einer Hand. Wir müssen wegkommen von unübersichtlichen und teuren Finanzströmen und hin zu Einheitlichkeit, Klarheit und Transparenz“, sagt die Präsidentin des türkisen Seniorenbund, Ingrid Korosec, zum KURIER. Außerdem brauche es österreichweit einheitliche Standards, sowohl was das Angebot als auch Verfügbarkeit, Personalschlüssel und Arbeitsbedingungen betrifft. Auch müssten die Pflegeangebote in jedem Bundesland gleich leistbar sein. „Aktuell sehen wir Kostenunterschiede von bis zu 100 Prozent“, sagt Korosec.
Obwohl sie die nun gesetzten Schritte für „richtig und wichtig“ hält, sieht sie bei der Förderung für die 24-Stunden-Betreuung „noch Luft nach oben“. Die beschlossene Anhebung der Förderung auf 800 Euro sei gut. Aber: „Meine Forderung war stets die Verdoppelung auf 1.100 Euro. Die Förderung zur 24-Stunden-betreuung wurde seit ihrer Einführung 2007 nicht angehoben und hat damit in 15 Jahren stark an Wert verloren. Das muss zumindest ausgeglichen werden.“
Peter Kostelka, dem Präsident des Pensionistenverbandes, ist die Erhöhung der Förderung auf 800 Euro ebenfalls zu wenig. Auch er fordert 1.100 Euro.
Die Gewerkschaft sieht unterdessen „immer noch keine wesentliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen“ im Pflegesektor.
Das Hilfswerk, dessen Präsident Othmar Karas selbst ÖVP-Europa-Abgeordneter ist, ruft die Regierung dazu auf, sich auch der Entwicklung einer intelligenten und nachhaltigen Strategie zur „Steuerung, Finanzierung und zum Ausbau einer bedarfsgerechten und zukunftsfähigen Versorgungslandschaft“ annehmen.
„Die oft beschworene Stärkung der Pflege zu Hause findet in den aktuellen Entwicklungsdaten keine Bestätigung, ganz im Gegenteil“, sagt Hilfswerk-Präsident Die neu gegründete Pflegeentwicklungskommission von Bund, Ländern und Gemeinden müsse sich daher, unter Einbindung von Praktikern und Fachexperten, rasch an die Arbeit machen.
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