Freispruch vs. Schuldspruch: Justiz in der Zwickmühle
Ein – nicht rechtskräftiger – Schuldspruch in einer höchst sensiblen Causa lässt seit vergangenem Mittwoch Beobachter rätseln. Johann Fuchs, der Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien, war im Landesgericht Innsbruck unter anderem wegen Verletzung des Amtgeheimnisses zu einer Geldstrafe in Höhe von 72.000 Euro verurteilt worden. Fuchs meldete „volle Berufung“ an – nun liegt der Ball beim Oberlandesgericht Innsbruck.
Nur wenige Wochen davor bestätigte das Oberlandesgericht Wien in derselben Causa einen Freispruch gegen den – aktuell suspendierten – Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek.
„Dann können wir zusperren“
Die Sachverhalte sind fast ident. Die Urteile könnten nicht konträrer sein. Positiver Aspekt: Die freie Entscheidungsfindung der Richterschaft funktioniert. Allerdings: Innerhalb der Justiz herrscht große Verwunderung und Verunsicherung. Offiziell will sich auf KURIER-Anfrage kaum jemand dazu äußern. Ausnahme ist Manfred Ainedter – und auch der will nur als Rechtsanwalt und nicht als Präsident der Vereinigung der österreichischen Strafverteidiger sprechen, wie er betont: „Das Urteil kam sehr überraschend. Als außenstehender Beobachter ist man verblüfft, dass es in ein und derselben Sache zwei divergierende Urteile gibt.“
Hinter vorgehaltener Hand hört man innerhalb der Justiz von einem „allgemeinen Misstrauen“: „Dann darf man künftig nicht mehr untereinander reden oder Kollegen um Einschätzungen bitten.“ Oder: „Man will die Leute innerhalb einer Behörde isolieren. Das ist ja durchgeknallt.“ Oder: „Wenn das Oberlandesgericht Innsbruck den Schuldspruch bestätigt, dann können wir zusperren.“
Stein des Anstoßes war ein kritischer Artikel der Presse-Journalistin Anna Thalhammer. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) fühlte sich dadurch auf den Schlips getreten und zeigte Thalhammer wegen öffentlicher Beleidigung einer Behörde und Verleumdung an. Der Akt landete bei der Oberstaatsanwaltschaft Wien, deren Leiter Fuchs war über das Vorgehen der WKStA empört: „Das ist ein Angriff auf die Pressefreiheit.“
Pilnaceks Handy
Er rief in Folge „aus fachlichen Gründen“ Sektionschef Pilnacek an, der seine Empörung teilte. Auch zwei Seiten des Schriftstücks landeten auf Pilnaceks Handy. Wer sie geschickt hatte, konnte nicht restlos geklärt werden. Fuchs jedenfalls stellte den Vorwurf in Abrede. Pilnacek wiederum informierte eine KURIER-Journalistin darüber. Der Fall kam an die Öffentlichkeit.
Was den beiden österreichischen Spitzenbeamten ein Gerichtsverfahren wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses einbrachte.
Pilnacek wurde in Wien von dem Vorwurf freigesprochen. Begründung: Die Informationsweitergabe war nicht dazu geeignet, ein öffentliches oder ein berechtigtes privates Interesse zu verletzen.
Frage der Beeinflussung
Weder sei die „Willensbildung der Entscheidungsorgane in der Justiz dadurch beeinflusst“, noch seien die Interessen der Presse-Journalistin verletzt worden. Diese hatte die Anzeige auch selbst veröffentlicht (zur Einleitung eines Verfahrens kam es in ihrer Sache übrigens gar nicht mehr).
Das sah zumindest der Ankläger in Innsbruck völlig anders: Sehr wohl wäre es möglich gewesen, dass mediale Berichterstattung in dem Fall die Justiz beeinflusst. Oder wie im Strafantrag gegen Fuchs argumentiert wird: „Kein Mensch ist vollständig gegen unterbewusste Beeinflussung gefeit.“ Und auch dass der Presse-Journalistin „das öffentliche Bekanntwerden der Anzeige im Nachhinein betrachtet möglicherweise nicht unrecht war, vermag an ihrem fehlenden Einverständnis im Tatzeitpunkt nichts zu ändern“.
Sollte das OLG Innsbruck den Schuldspruch von Fuchs bestätigen, liegen zwei rechtskräftige, divergierende Entscheidungen zu einem sehr ähnlichen Sachverhalt vor. Dann könnte nur noch der Oberste Gerichtshof für Klarheit sorgen.
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