Franzobel über Opernball-Proteste: „Berufsdemonstrant war ich keiner“

Franzobel über Opernball-Proteste: „Berufsdemonstrant war ich keiner“
Seitenwechsel: Schriftsteller Franzobel demonstrierte einst gegen den Opernball, später besuchte er ihn.

In den 1980er Jahren hat der Autor Franzobel gegen den Opernball demonstriert, zwanzig Jahre später hat er dort getanzt. Was ist dazwischen passiert?

KURIER: Haben Sie sich in zwei Jahrzehnten so verändert oder ist die Welt so anders geworden, dass Sie lieber in der Oper tanzten als davor zu demonstrieren?

Franzobel: Zwanzig Jahre haben gereicht, um die Seiten zu wechseln. Wobei man als Schriftsteller ja immer in der Beobachterperspektive ist. Ich bereue weder das eine noch das andere. In erster Linie bin ich wegen meiner damaligen Frau hingegangen, die das Gehampel im Promi-Getümmel geliebt hat. Außerdem habe ich es vor mir selbst damit gerechtfertigt, dass ich einmal darüber schreibe, was ja mittlerweile mit dem dystopischen Krimi „Rechtswalzer“ auch passiert ist. Ob ich mich verändert habe? Natürlich wird man mit den Jahren gelassener, aber ich sehe mich immer noch aufseiten der sozial Schwachen, und jetzt würde ich wieder eher auf die Demo, wenn es sie denn gäbe, als auf den Ball gehen.

Was hätte Ihr jüngeres Ich dazu gesagt, dass Sie mit dem „Establishment“ tanzen?

Ich habe ja nur mit meiner damaligen Frau getanzt. Der Opernball ist eine aus der Zeit gefallene Veranstaltung, Maturaball der Republik oder das Dschungelcamp der Österreicher. Einmal bin ich im Windschatten der Kim Karadashian über die Feststiege gegangen, der Placido Domingo ist mir auf die Zehen gestiegen und auf der Toilette kam mir ein Cortison-Ballon verdächtig nahe, später hieß es dann, das sei der Harald Glööckler gewesen. Man kann da einiges erleben, dabei habe ich es geschafft, sogar im Frack wie ein Hillbilly auszusehen.

Ihre Erinnerungen an die erste Opernball-Demo?

1986 war ich am Tag des WM-Finales in Wackersdorf, um gegen die dort geplante Wiederaufbereitungsanlage von Brennstäben aus Kernreaktoren zu demonstrieren. Das war das einzige Fußball-Endspiel, das ich seit 1974 verpasst habe. Argentinien wurde Weltmeister und Wackersdorf ging nie in Betrieb. Als dann 1987 Franz Josef Strauß als Opernballgast angekündigt war, damals ein stiernackiges Sinnbild für Mittelstreckenraketen, Atomlobby und katholischen Kapitalismus, hat sich die Demo dagegen fast zwangsläufig ergeben. Ich musste damals mit 1.500 Schilling durch den Monat kommen und wollte, wie wohl die meisten, gegen das soziale Ungleichgewicht demonstrieren, den Reichen zeigen, dass sich nicht alle Champagner und Kaviar leisten können. Naiver, jugendlicher Sozialromantizismus. Ich habe auch immer versucht, mit den Polizisten ins Gespräch zu kommen, zur Deeskalation beizutragen. Vor Prügeln hat mich das nicht bewahrt. Nicht arg. Aber es gab auch Leute, die nachher wochenlang im Krankenhaus gelegen sind.

Haben Sie noch mehr Demo-Erfahrung?

Berufsdemonstrant war ich keiner. Ich wollte nie für Selbstverständlichkeiten demonstrieren, und ehrlich gesagt fand ich eine Waldwanderung immer schöner als eine Kundgebung.

Für welche Anliegen würden Sie auf die Straße gehen?

Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Klima, politische Gefangene, da gibt es vieles. Aber machen tu ich es selten. Zum einen bereiten mir Menschenmassen ein gewisses Unwohlsein, zum anderen bin ich mit der Reduktion auf Parolen oft komplizierter Sachverhalte nicht glücklich. Also lese ich lieber oder schreibe einen Text und stelle ihn auf Facebook.

Wird heute weniger demonstriert? Gibt’s noch eine radikale Linke?

Der Österreicher war immer ein biedermeierliches Gemüt. Dank der Sozialpartnerschaft, manche nennen sie auch Sozialpanzerschaft, gibt es hier keine Streikkultur wie in Frankreich oder Italien, was mir als Benützer öffentlicher Verkehrsmittel nicht ganz unrecht ist. Die Linke ist zweifellos in der Krise, weil es keine Klassen mehr gibt, nur Mittelstand. Die Leute haben vergessen, wem sie die sozialen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte zu verdanken haben. Dass die heutige Jugend unpolitischer ist, glaube ich nicht. Sie hat nur andere Probleme und andere Ausdrucksmöglichkeiten. Die schwedische Klima-Pippi-Langstrumpf, ich meine das gar nicht despektierlich, macht durchaus Hoffnung.

Wie oder was waren Sie eigentlich in Ihrer Jugend?

Ich habe mich immer als Künstler gesehen. Das Äußerste war, Wände mit politischen Sprüchen zu besprühen: Grün statt Grau … mit Lackfarbe gesprayt – auch hirnverbrannt.

Bald hat mich nur noch die Kunst interessiert, weil ich ja vor allem eines wollte: frei sein. Politische Gruppierungen, die Aktion kritischer Schüler oder später Studentenorganisationen haben mich, wie es halt so ist in dem Alter, wegen hübscher Frauen angezogen, aber dann mit ihrem Pragmatismus doch gleich wieder abgeturnt. Also ist mir nur die Kunst geblieben.

Ein Mann in den Fängen der Justiz, ein Mord – und der Opernball als Propagandaspektakel. Der neue Kriminalroman von Bestsellerautor Franzobel: Der erfolgreiche Getränkehändler und Barbesitzer Malte Dinger ist ein Glückspilz. Als er jedoch unverschuldet in die Fänge der Justiz gerät, steht plötzlich seine ganze Existenz auf dem Spiel. Für den Balkan-Casanova Branko ist das Leben da schon vorbei. Vieles deutet darauf hin, dass er das Opfer abseitiger sexueller Praktiken geworden ist, doch Kommissar Groschen glaubt nicht recht daran. Das Verhältnis Brankos zu der lustig gewordenen Witwe des Bautycoons Hauenstein bringt dann die Machenschaften der neuen rechtsnationalen Regierung ans Licht, die den bevorstehenden Opernball als Propagandaspektakel inszenieren will. Franzobels neuer Krimi spielt in der Zukunft, ist aber brandaktuell.

Kriminalroman, Zsolnay, 416 Seiten

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