FPÖ: Eine Partei zwischen "Entfesselung" und Einstelligkeit
"Asylantenvirus“, "Rollkommando“, "Regierungsnarzissmus“. Kanzler Sebastian Kurz ist der "Sektenführer einer schwarzen Messe“, die grüne Klubchefin Sigrid Maurer rücktrittsreif, der grüne Sozial- und Gesundheitsminister Rudolf Anschober klagswürdig, und gegen die türkis-grüne Regierung selbst gilt es eine "Allianz gegen den Corona-Wahnsinn“ zu schmieden.
Ein Jahr nach Ibiza stellt die FPÖ beinah täglich zumindest rhetorisch unter Beweis, dass sie wieder in der Opposition ist. Allen voran kraft öffentlicher Auftritte von Klubchef Herbert Kickl, Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch und Generalsekretär Michael Schnedlitz. Und mit bemerkenswerten Auswirkungen.
Die einstige Regierungspartei liegt nach 26 Prozent (Nationalratswahl 2017) und 16,2 Prozent (Nationalratswahl 2019) derzeit in Umfragen auf 13 Prozent oder darunter. Was die FPÖ derzeit aus- oder kennzeichnet, das wissen selbst Parteigänger auf KURIER-Nachfrage nicht genau zu benennen. "Spagat“, "Schere“ und "Stillstand“ sind Worte, die oft fallen.
Ein Spagat zwischen Bundes-FPÖ und Landesparteien, zwischen Parteichef Norbert Hofer und Klubchef Herbert Kickl, zwischen radikalem Populismus und realpolitischen Themen.
Der FPÖ sei – da sind sich Parteigänger wie -kenner einig – nicht nur Strache, sondern auch das blaue Kernthema „Ausländerpolitik“ abhandengekommen. Die "soziale Heimatpartei“ wisse derzeit nicht, wofür sie stehe. Außer gegen die Regierung – und das sei à la longue zu wenig.
"Linke Sozial-, rechte Migrationspolitik"
"Die FPÖ hat immer mit linker Sozialpolitik, rechter Migrationspolitik und Wirtschaftskompetenz gepunktet“, sagt ein Freiheitlicher, der wie alle vom KURIER Befragten nicht namentlich genannt werden will. Die Partei sei in einem schlechten Zustand, da wolle man nicht zusätzlich Öl ins Feuer gießen, zumal das nächste Ungemach drohe. Der Ibiza-Untersuchungsausschuss ab Sommer und die Wien-Wahl am 11. Oktober.
"Wenn ich Fraktionsführer einer anderen Partei bin, lade ich alle Freiheitlichen vor, um der Partei nur ja für die Wien-Wahl zu schaden“, sagt ein FPÖ-Mandatar. "Die Frage in Wien ist nicht, ob wir ein- oder noch zweistellig sind. Die Frage ist, ob Strache vor oder hinter uns liegt“, sagt ein anderer.
Der Ex-Parteichef werde Schmutzwäsche waschen, da sind sich die Freiheitlichen sicher. Und jedenfalls gegen Spitzenkandidat Dominik Nepp und Wahlkampfmanager und Ex-Generalsekretär Harald Vilimsky wettern.
Sollte die FPÖ in der Bundeshauptstadt katastrophal abrutschen – was nach 30,8 Prozent 2015 nicht nur wahrscheinlich, sondern realistisch ist – hat Norbert Hofer als FPÖ-Chef jede Wahl verloren (EU, Nationalrat, Vorarlberg, Steiermark, Burgenland) und eine Obmann-Debatte am Hals.
"Norbert Hofer ist Passagier der derzeitigen Situation. Wichtig ist, wer nach ihm kommt“, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Und: "In der Opposition ist der Klubchef immer der Parteichef.“ Nachsatz: "Gerade bei den Freiheitlichen.“
Doch Herbert Kickl, der mit Hofer gleichsam eine Doppelführung bildet, will nicht allein an die Spitze. Er könne die Partei zwar womöglich im zweistelligen Bereich halten, sich aber nicht auf die Gunst der Länderchefs verlassen. „Der Westen lehnt Kickl ab“, so der einhellige Tenor. "Der Westen“, das sind Tirol, Vorarlberg und Salzburg, die hinter Manfred Haimbuchner stehen. Oberösterreichs FPÖ-Chef Haimbuchner ist der einzige potenzielle, neben Kickl genannte FPÖ-Chef in spe. Doch auch er will nicht. Jedenfalls noch nicht.
Haimbuchner ist der einzige in Regierungsverantwortung verbliebene Freiheitliche – und das will der Landeshauptmann-Stellvertreter von Thomas Stelzer auch bleiben. 2021 wird in Oberösterreich gewählt, und Haimbuchner setzt alles daran, wieder mitzuregieren. Einen Vorgeschmack, wie er das anzugehen gedenkt, gibt ein Video anlässlich des 1. Mai.
Darin geht Haimbuchner in Anzug und Krawatte durch eine Werksruine, kritisiert Kanzler und Kammer und spricht mit Mandataren aus Oberösterreich darüber, wie es gemäß dem Motto "Österreich entfesseln“ wieder aufwärtsgehen soll.
Sollte es bei der Wien-Wahl derart bergab gehen, wie derzeit prognostiziert, steht nicht nur Hofers, sondern wohl auch Nepps Posten zur Disposition. An seiner Statt kommt für viele auf Nachfrage immer wieder ein Name: Dagmar Belakowitsch.
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