Es ist – um in der Sprache der Virologen zu bleiben – eine beachtliche Mutation, die die Wiener FPÖ in nur wenigen Wochen vollzogen hat: Noch Anfang Februar wies der blaue Vizebürgermeister Dominik Nepp angesichts der drohenden Corona-Pandemie empört darauf hin, dass Rudolf AnschobersGesundheitsministerium „in der Pendeluhr“ schlafen würde.
Ungewohnt staatstragend gab sich Nepp dann am 26. März im Wiener Gemeinderat, als sich die Krise auf den Höhepunkt zubewegte: „Jetzt ziehen alle an einem Strang.“ Gleichzeitig verwies er darauf, dass es die FPÖ gewesen sei, die als erste Partei auf die Gefahren des neuen Erregers hingewiesen habe. „Darüber reden, was alles falsch gelaufen ist, werden wir danach“, sagte Nepp damals.
Dieses Danach scheint nach FPÖ-Lesart freilich deutlich rascher eingetreten zu sein, als es sich selbst die optimistischsten Mediziner hätten vorstellen können: Schon am 19. April waren Nepp die Maßnahmen der Regierung zu viel: Nur 0,04 Prozent der Bevölkerung seien aktiv krank. Dafür zerstöre Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die Wirtschaft, lästerte der Vizebürgermeister auf seinem Facebook-Account.
„Corona-Wahnsinn“
In dieser neuen Tonart ging es seither weiter. Erst am Dienstag geißelte Nepp gemeinsam mit Klubchef Herbert Kickl den „Corona-Wahnsinn“ der Bundesregierung, der bloß zu Massenarbeitslosigkeit und Verletzung der Grundrechte geführt habe.
Die Regierung für ihre Säumigkeit und wenig später für ihre Maßnahmen zu kritisieren, darin sieht der blaue Vizebürgermeister keinen Widerspruch: „Wir waren tatsächlich die ersten, die kritisiert haben, dass wichtige Maßnahmen nicht getroffen wurden. Etwa die Schließung der Grenzen zu Italien.“ Genauso wenig könne man aber hinnehmen, dass die Regierung aktuell für massive Rechtsunsicherheit sorge. „Viele Unternehmer haben sich darauf verlassen, dass ihnen der Staat in der Pandemie hilft. Tatsächlich werden sie zu Bittstellern degradiert“, kritisiert der designierte Wiener Parteichef.
Bei den Wählern sind solche Botschaften noch nicht angekommen: Denn rückgängig sind aktuell nicht nur die Covid-Neuinfektionen, sondern in noch viel rasanterem Ausmaß die Umfragewerte der FPÖ. Nur noch acht Prozent werden ihr für die Wien-Wahl im Herbst vorausgesagt. Ein Jahr nach dem Ibiza-Skandal befinden sich die Blauen damit im freien Fall. Was lange undenkbar war: Ex-Parteichef Heinz-Christian Strache liegt mit seiner DAÖ schon fast im Windschatten.
FPÖ fordert Ende der Freiheitsbeschränkungen
Unter Druck aggressiv
So wundert es nicht, dass ein altbekannter blauer Mechanismus einsetzt: Je mehr die FPÖ unter Druck gerät, desto aggressiver schlägt sie um sich. Da ist es fast schon logisch, dass nach der Lesart der Blauen selbst hinter der Coronapandemie das Ausländerproblem steckt. So lautet plötzlich „Österreich zuerst“ die FPÖ-Parole, auch wenn es um die Beseitigung der wirtschaftlichen Corona-Folgen geht. So soll laut Nepp der AUA geholfen werden, indem sie Abschiebeflüge übernimmt. Und so wird aus dem Covid-Erreger „fast schon ein Asylantenvirus“, wie Nepp zuletzt nach einem Infektionsausbruch in einem Flüchtlingsheim sinnierte. Was ihn prompt mehrere Anzeigen wegen Verhetzung einbrachte.Nepp sieht das gelassen: „Anzeigen sind das letzte Mittel, um uns mundtot zu machen.“
Wie gelassen Nepp am Wahlabend am 11. Oktober sein wird, wird sich zeigen.
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