Österreich will gegen weibliche Genitalverstümmelung vorgehen

Die meisten von ihnen waren noch keine zwölf Jahre alt, als man ihnen die Klitorisspitze und Teile der äußeren Geschlechtsorgane abgetrennt hat. Diese hat man dann als Haut-Verschluss genutzt, um ihre Vagina so zuzunähen, dass nur eine kleine Öffnung für Urin und Menstruationsblut bleibt. Die Schmerzen? Unbeschreiblich – nicht nur im Moment der Beschneidung selbst, sondern auch danach, bei jeder Menstruation, oder wenn ein Nierenstau entsteht, weil der Harn so schlecht ablaufen kann.
Es ist diese Form der weiblichen Genitalverstümmelung, meist FGM genannt, die Ärzte und Ärztinnen an Mädchen und Frauen in Österreich am häufigsten sehen. Das liege daran, dass diese Form sehr ausgeprägte Beschwerden verursacht und Patientinnen darum häufiger Hilfe suchen, als bei anderen Formen.
Das erklärt Susanne Hölbfer, Oberärztin in der gynäkologischen Abteilung der Klinik Ottakring, beim Besuch von Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) in der FGM-Koordinationsstelle an der Klinik Favoriten.
6.000 bis 8.000 von FGM betroffene Frauen und Mädchen leben in Österreich, ein Drittel davon in Wien. Die Dunkelziffer dürfte noch weit höher sein. Weltweit seien rund 200 Millionen Frauen betroffen, schätzt UNICEF.
Zusätzlich gelten laut einer Studie des European Institute for Gender Equality aus dem Jahr 2021 bis zu 1.000 Mädchen unter 18 Jahren in Österreich als von FGM bedroht. Die meisten von ihnen stammen in erster oder zweiter Generation aus Somalia, Ägypten oder Nigeria. Vermutet wird, dass die Verstümmelungen oft im Rahmen von Reisen in die Herkunftsländer passieren. Hinter der Praktik steht aber keine spezielle Religion oder Kultur, sondern eine Jahrtausende alte Tradition aus bestimmten Gebieten, vor allem aus Afrika aber auch dem Jemen, Indonesien, Brasilien oder Peru.
Ob die Anzahl an in Österreich lebenden betroffenen Frauen in den letzten Jahren zugenommen hat, lässt sich nicht sagen. Durch das bessere medizinische Angebot in Hinblick auf FGM habe aber die kompetente Betreuung dieser Frauen zugenommen, sagt Hölbfer.
Beratung und Prävention
Vor einem Jahr wurde aus diesem Grund das Kompetenzzentrum in Favoriten gegründet. Es steht unter der Leitung des Frauengesundheitszentrums FEM Süd, das seit vielen Jahren die erste Anlaufstelle für Betroffene ist. Sie werden beraten und medizinisch bzw. psychologisch versorgt. Es geht aber auch um Prävention und Aufklärung.
Viele Mütter würden glauben, ihren Töchtern durch die Beschneidung etwas Gutes zu tun – dass dadurch etwa Hygiene erleichtert werde oder die Chance auf einen „guten Ehemann“ steige, erklärt eine Mitarbeiterin. Darum sei es wichtig, vor allem die Mütter zu überzeugen, dass es sich bei FGM um Körperverletzung handelt. Aufklärungsarbeit leistet die Kompetenzstelle aber auch bei Männern.
„Solche Praktiken müssen gestoppt werden. Wenn wir es schaffen, die nächste Generation zu schützen, dann hat das einen Multiplikator-Effekt“, sagt auch Frauenministerin Raab bei ihrem Besuch im Vorfeld des Internationalen Tages gegen weibliche Genitalverstümmelung am 6. Februar. Hölbfer würde sich wünschen, dass das Thema im Rahmen der Mutter-Kind-Untersuchung abgeklärt werden soll.
Erhebliche Komplikationen
Vor Geburten muss die Narbe der von FGM-Typ III betroffenen Frauen in der Regel operativ geöffnet werden. Andernfalls kann es zu erheblichen Komplikationen kommen: Das Mortalitätsrisiko der Mütter ist verdoppelt, jenes der Kinder erhöht sich auf das Drei- bis Vierfache. Viele Frauen hätten aber Angst, sich oder ihre Töchter rückoperieren zu lassen. „Vor allem wenn sie noch keinen gültigen Aufenthaltstitel in Österreich haben“, sagt Hölbfer. „Sie fürchten, dass sie im Falle einer Abschiebung in ihrer Heimat dann neuerlich beschnitten werden.“ Auch die Sorge, dass ihre Community davon erfährt, und sie verurteilt, sei nicht zu unterschätzen.
Wenn Frauen sich doch für eine Operation entscheiden, dann meistens, weil die Schmerzen zu groß sind, sagt die Ärztin. Die Chance auf Freude an der Sexualität? Die sei für die meisten Betroffenen so weit weg, dass sie kaum angesprochen wird.
Kostenlose Beratung für betroffene Frauen, Fachkräfte und Interessierte gibt es unter 01/2677267
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