Wie die Kandidaten im EU-Wahlkampf performt haben

Wie die Kandidaten im EU-Wahlkampf performt haben
Politikberater Thomas Hofer stellt grundsätzlich allen Kandidaten ein positives Zeugnis aus. Dennoch zeichnen sich klare Sieger und Verlierer ab.

Der EU-Wahlkampf ist geschlagen. Am Sonntag stimmen die Österreicher zum siebten Mal über ihre Vertreter in Brüssel ab. Mit Blick auf die Umfragen kündigt sich seit Monaten ein Wahlsieg der FPÖ und ein Absturz der ÖVP an. Auch den Grünen droht wegen der Causa Schilling ein beschwerlicher Abend.

Wie haben die Spitzenkandidaten performt, wer könnte noch überraschen? Eine Einordnung.

Reinhold Lopatka, ÖVP: Er hat es sich angetan

Mit „Danke, dass du dir das antust“ hat Bundeskanzler Karl Nehammer Spitzenkandidat Lopatka im Jänner in den EU-Wahlkampf verabschiedet. Politikberater Thomas Hofer spricht „von einem der authentischsten und ehrlichsten Momente der Innenpolitik der vergangenen Jahre“. Denn zuvor hatten alle prominenten Alternativen der ÖVP abgesagt. Auch, weil es nichts zu gewinnen gibt: 2019 erreichte die ÖVP bei einem Erdrutschsieg 34,55 Prozent. „Dieses Ergebnis ist einfach nicht zu halten“, sagt Hofer zum KURIER.

Lopatka sei ein „inhaltlich sattelfester“ Profi, der versucht habe, die „dominante Strategie“ der Bundespartei auf die Europaebene zu transportieren – etwa beim Migrationsthema. Seinen Wahlkampf könnte man als „solide Performance auf verlorenem Posten“ betiteln, meint Hofer. „Ein Quotenbringer, der zusätzliche Zielgruppen angesprochen hat, ist er nicht.“ In den Umfragen lag die ÖVP meist auf Platz drei, knapp hinter der SPÖ. Platz zwei, mit möglichst geringem Abstand zur FPÖ, wäre „schon ein Erfolg“, meint Hofer.

ÖVP-Spitzenkandidat Reinhold Lopatka beendete am Donnerstag den Wahlkampf vor der VP-Zentrale

Andreas Schieder, SPÖ: Vermied Unangenehmes

Auch Andreas Schieder sei „kein Kandidat, der die Zielgruppen der SPÖ groß erweiterte“. Er habe gleichsam keine Fehler gemacht und unangenehme Themen vermieden. „Die hätte es durchaus geben können“, sagt Hofer.

Beispiel? SPÖ-Parteichef Andreas Babler hatte die EU 2020 in einem Video-Interview noch als das „aggressivste, außenpolitische, militärische Bündnis, das es je gegeben hat“, bezeichnet. Auch wenn sich Babler davon distanziert hat, hält es Hofer für klug, dass sich der SPÖ-Chef kaum in den EU-Wahlkampf einmischte. Die Umfragen prophezeien Schieder ein Niveau wie 2019: Platz zwei mit rund 24 Prozent. Kein Erfolg, aber: „Wenn es gelänge, an der ÖVP vorbei zu ziehen, liegt der komplette Negativfokus der Medien natürlich auf der ÖVP.“ Inhaltlich versuchte sich die SPÖ im Wahlkampf als Umweltpartei – etwa beim Renaturierungsgesetz. Und sie habe ihre Migrationslinie „deutlich nachgeschärft“, so Hofer. Denn auch die Roten fordern nun Abschiebungen krimineller Asylwerber nach Afghanistan oder Syrien.

Wie die Kandidaten im EU-Wahlkampf performt haben

Harald Vilimsky, FPÖ: Postfaktisch, aber handwerklich gut

„Nichts Überraschendes“ hat der Experte beim wahrscheinlichen Wahlsieger Harald Vilimsky erlebt. Dieser habe seine Rolle als „Haudegen“ erfüllt. Geplante Aufreger sollten dazu einladen, sich an der FPÖ-Kampagne abzuarbeiten. Etwa das Wahlplakat „EU-Wahnsinn stoppen“, das die Bild-Zeitung zum „ekelhaftesten Wahlplakat Europas“ kürte. „Das war genauso zu erwarten. Der FPÖ geht es nicht um Applaus kritischer Medien. Ihr geht es darum, ihre hochemotionalisierte und gegenüber dem sogenannten ‚System‘ negativ enthusiasmierte Zielgruppe zu erreichen“, sagt Hofer.

Und zwar direkt, über eigene Medienkanäle. Ob Ablehnung der Russlandsanktionen, ob Klimaschutzmaßnahmen: „Wie Donald Trump führt die FPÖ einen postfaktischen Diskurs. Rein emotional, aber handwerklich sehr, sehr gut gemacht.“

Wie die Kandidaten im EU-Wahlkampf performt haben

Lena Schilling, Grüne: Besser als die Grünen

Lena Schilling werden von ehemaligen Freunden und Dritten „Lügen“ vorgeworfen. Die Debatte über ihren Charakter hat ihre Auftritte überschattet. Ein zweistelliges Ergebnis, also leichte Verluste, wäre laut Hofer ein Erfolg. „Die Grünen sind mit Schilling rauf- und wieder runtergegangen.“ Am Beginn des Wahlkampfs sei die Partei nur wegen ihr in Umfragen überhaupt bei 14 Prozent gelegen.

Junge Frau, rhetorisch talentiert, Kämpferin für das Klima: Schillings Alleinstellungsmerkmale waren laut Hofer „ideal“ für die Grünen. Genauso schädigend sei die Charakter-Debatte gewesen. Die Grünen hätten diese mit Pressekonferenzen „dramatisch verschlimmbessert“. Und Schilling? Machte es laut Hofer „dramatisch“ besser: „Sie hat auf Vorhalte so reagiert, wie das auch Sebastian Kurz sehr gut konnte: Er hat sich auch gerne für Dinge entschuldigt, die ihm gar nicht vorgeworfen wurden.“

ÖVP-Spitzenkandidat Reinhold Lopatka beendete am Donnerstag den Wahlkampf vor der VP-Zentrale

Helmut Brandstätter, Neos: Klare Kante

EU-Armee, Neutralität neu definieren, Vereinigte Staaten von Europa: Helmut Brandstätter hat keine mehrheitsfähigen Positionen vertreten, aber europapolitisch klare Kante gezeigt. „Für die Neos geht es darum, ihre Zielgruppen zu erreichen. Das haben sie sehr gut gemacht“, sagt Hofer. Brandstätter habe nicht nur provokant formuliert, sondern auch ruhig und sonor argumentiert. 

Nach mehreren schweren Wahlniederlagen – von Salzburg bis Innsbruck – würden die Pinken einen Erfolg mit Blick auf die Nationalratswahl auch „wie einen Bissen Brot“ benötigen. Der wäre? „Das zweite Mandat ist in absoluter Griffweite. Und wenn es gut kommt, überholen sie auch die Grünen“, meint Hofer.

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