Die Stimmen der eigenen EVP-Fraktion, der Sozialdemokraten und Liberalen – die in der EU bisher kooperierten – reichen im Ausschuss nicht für eine Zweidrittelmehrheit. Während die FPÖ, die sich einen „Remigrationskommissar“ gewünscht hätte, gegen Brunner mobilisiert, sollen die Grünen dem 52-Jährigen eher gewogen sein.
Warum ist Brunner dennoch pessimistisch? Die Sozialdemokraten könnten sich querstellen und EVP-Kandidaten ablehnen, solange sie ihre eigenen nicht durchgebracht haben. In diesem Fall müsste Brunner schriftliche Fragen beantworten. Genügt auch das nicht, muss er am 14. November zum zweiten Hearing antreten. Dort reicht eine Mehrheit von 50 Prozent – und die gilt als gesichert.
Die Frontlinien verlaufen woanders
Klar ist auch: Brunner ist prinzipiell kein Wackelkandidat und spielt in den aktuellen Debatten in Brüssel keine größere Rolle. Die Frontlinien verlaufen woanders.
Zwischen den Christdemokraten der EVP und den Sozialdemokraten im EU-Parlament hat sich die Stimmung schon Wochen vor den Kommissarsanhörungen merklich eingetrübt. Vor allem die Sozialdemokraten werfen der EVP vor, mit den Fraktionen am rechten Rand gemeinsame Sache zu machen. Zwei eigentlich unbedeutende Abstimmungen im EU-Parlament wurden da zum Beweis dieses Pakts mit Rechtsaußen stilisiert.
Spanien gegen Italien
Der Kommissarskandidat, der genau deshalb in die Schusslinie der Sozialdemokraten geraten ist, ist der Italiener Raffaele Fitto. Für ihn hat Kommissionschefin Ursula von der Leyen obendrein den Posten eines Vizepräsidenten der Kommission vorgesehen. Für die Sozialdemokraten inakzeptabel. Als Mitglied der rechtspopulistischen Fratelli d’Italia ist Fitto Parteikollege und enger Vertrauter von Italiens Premierministerin Giorgia Meloni. Im EU-Parlament gehören die Fratelli d’Italia zur Rechtsfraktion EKR – und mit der wollen die Sozialdemokraten auf keinen Fall gemeinsame Sache machen.
Doch der Italiener in einer so mächtigen Position ist auch von der Leyens Zugeständnis an Rom und damit an die drittgrößte Wirtschaftsmacht der EU.
Sollten die Sozialdemokraten sich also bei Fitto querlegen, könnte es im Gegenzug deren mächtigste Vertreterin in der EU-Kommission erwischen: die Spanierin Teresa Ribera. Auch für sie ist – neben dem Kommissarsposten für Wettbewerbsfähigkeit – der Rang einer Vizepräsidentin vorgesehen.
Doch die Christdemokraten tischen im Hintergrund bereits gewichtige Argumente gegen die betont linke Sozialdemokratin auf und machen deutlich, dass sie auch bereit wären, diese einzusetzen. Am Dienstag stehen nun Fitto und Ribera vor dem Parlament zur Anhörung. Fällt einer der beiden, erwischt es den anderen vermutlich auch – und die EU und ihre neue Kommission stehen fürs erste still.
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