Engagement, Empathie, Egoismus: Wer in der Not auffängt
Für die einen ist die Religion ausschlaggebend. Für andere ein durch und durch säkularer Solidaritätsgedanke. Für die nächsten hat es wissenschaftliche Gründe, und manch einer macht keinen Hehl daraus, dass es etwas mit Egoismus zu tun hat.
Warum Menschen ihr (Berufs-)Leben dem sozialen Engagement oder „dem Helfen“ widmen, das hat unterschiedliche Gründe. Krisen gibt es genug – rund um den Globus und vor der eigenen Haustüre.
Welche Formen das Helfen annehmen kann, was dazu motiviert und wie sehr die Auseinandersetzung mit Not, Armut und Leid manchmal an einem zehrt, darüber sprach der KURIER mit Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser, YesWeCare-Heldenplatz-Konzert-Initiatoren Daniel Landau und Cley Freude, Volkshilfe-Geschäftsführer Erich Fenninger, Österreichisches Rotes Kreuz-Generalsekretär Michael Opriesnig und Ärzte ohne Grenzen-Geschäftsführerin Laura Leyser, die mit Organisation und aus eigenem Antrieb immer dann im Einsatz sind, wenn es irgendwo brenzlig wird.
„Traumjob“
Die meisten von ihnen beschreiben ihre Arbeit als Traumjob und den (meist) geringeren Verdienst als sekundär. Erich Fenninger wusste schon als Teenager, dass er Ungerechtigkeit schwer aushalten kann.
ist seit 2003 Geschäftsführer der Volkshilfe. Besonders engagiert sich der studierte Sozialarbeiter in den Bereichen der Kinderarmut und der Menschenrechte
Die Volkshilfe Die Wohlfahrtsorganisation Volkshilfe setzt sich in vielen Bereichen für Menschen in Notlagen ein. Dazu zählen: Armutsbekämpfung, Arbeitsmarktpolitik,
Migrationsarbeit und humanitäre Hilfe in Katastrophenfällen. In der Ukraine ist die Volkshilfe seit 2006 tätig. Sie verteilt dort Notfallpakete, bietet Notunterkünfte
und soziale Unterstützung.
„Ich mag nicht in einer Gesellschaft leben, die in Kauf nimmt, dass in einem reichen Land 1,5 Millionen Menschen armutsgefährdet sind“, sagt er auch heute. Mittlerweile ist er 58 und Geschäftsführer der Volkshilfe. Damals, mit 15, las er und las er: zuerst Zeitungen, später Bücher – über kritische politische Theorie und Psychologie. Zu Schulzeiten engagierte er sich ehrenamtlich bei Amnesty International und studierte dann soziale Arbeit. Noch heute ist er der Ansicht, dass der Hilfsarbeit auch eine wissenschaftliche Komponente zugrunde liegt: „Wenn wir das richtig machen wollen, müssen wir schon sehr genau Bescheid wissen über die Menschen und ihre soziale Praxis verstehen“, erklärt Fenninger. „Und es ist wichtig, sich mit Theorien zu beschäftigen, nicht mit Ideologien.“
Eine ganz ähnliche Geschichte erzählt Laura Leyser, die Geschäftsführerin von Ärzte ohne Grenzen Österreich.
Laura Leyser ist seit 2018 Geschäftsführerin von Ärzte ohne Grenzen. Sie studierte u. a. in Wien, arbeitete in London, Mosambik und Nepal. Seit mehr als zehn Jahren beschäftigt sie sich mit komplexen Krisensituationen Ärzte ohne Grenzen bringt momentan Hilfsgüter und (medizinische) Mitarbeiter in die Ukraine und hält dort Schulungen für Notfallversorgung, Triage und Kriegschirurgie ab. Außerdem leistet die Organisation medizinische und psychologische Unterstützung an den Grenzen und führt Evakuierungen von Kranken und Verletzten per Zug durch.
Ihr war schon als Kind klar, dass sie einmal im Bereich Entwicklungszusammenarbeit tätig sein möchte. Dass man dabei nicht reich wird, hat sie nie groß gestört. Den bestbezahlten Job ihres Lebens hatte sie direkt nach der Uni in einer großen Beratungsfirma. Das war aber doch nicht ganz das Richtige für sie. „Für mich hat die tiefe Überzeugung überwogen, dass jeder Mensch gleich ist, gleiche Möglichkeiten haben und gleiche Gerechtigkeit erfahren sollte“, sagt sie. Auslandsaufenthalte – etwa nach dem großen Erdbeben in Nepal oder in Mosambik – haben sie in dieser Einstellung bestärkt, mehr noch aber das Heimkommen nach Österreich, „wenn man merkt, was für ein Luxus das ist, wenn man rund um die Uhr nicht nur tolles Trinkwasser hat, sondern zum Beispiel auch Strom“.
Erfahrung im Ausland
Es sind immer wieder solche und ähnliche Erfahrungen, von denen die Helferinnen und Helfer erzählen, wenn es um die Motivation für ihr Tun geht. Auch Michael Opriesnig, Generalsekretär des Österreichischen Roten Kreuz und Vorstandsmitglied bei „Nachbar in Not“, ist in seiner Funktion in der Welt herumgekommen.
Michael Opriesnig arbeitete zunächst im Verlagswesen, 1998 wechselte er zum Roten Kreuz, seit 2019 ist er Generalsekretär Das Rote Kreuz ist seit 2014 in der Ukraine tätig und leistet dort derzeit Nothilfe, versorgt die Bevölkerung etwa über mobile Kliniken und hat Waren im Wert von knapp 2,5 Millionen Euro ins Land gebracht, darunter medizinisches Material, Medikamente und Hygienepakete. Außerdem kümmern sich die Mitarbeiter um Wasserversorgung und Hygienemaßnahmen in den Notquartieren
Angenehm war das nicht immer – er hat vieles gesehen, „was man eigentlich lieber nicht sehen würde, vom Erdbeben in Haiti über kriegerische Konflikte bis zum Tsunami und alles was dazugehört“. Warum er das trotzdem macht? „Es ist immer ein Antrieb zu sehen, dass die Hilfen auch tatsächlich ankommen und es schon für viele Menschen einen Unterschied ausmacht.“ Mehr als 20 Jahre ist Opriesnig nun schon beim Roten Kreuz. Mürbe ist er von der Arbeit nicht geworden. Denn: „Immer wenn ich gedacht habe, ich muss etwas anderes machen, ist irgendwas Spannendes dazugekommen“, erzählt er.
Daniel Landau und Clemens Cley Freude sind die Initiatoren des YesWeCare-Konzerts am Wiener Heldenplatz (27.3). Den Kontakt zwischen dem jungen Musiker Clemens „Cley“ Freude und dem Dirigenten, Mathematik- und Musiklehrer und Gründer zahlreicher Bildungsinitiativen Daniel Landau stellte kurz nach Kriegsbeginn
Matthias Strolz her. #YesWeCare: 2021 organisierten Daniel Landau und Roman Scamoni das erste #YesWeCare Lichtermeer zum Gedenken der Corona-Toten. Im März fand das "We Stand with the Ukraine"-Konzert am Wiener Heldenplatz statt.
Explizit von „egoistischen Tatmotiven“ dafür, Gutes zu tun, spricht Daniel Landau (57). „Es macht glücklich zu sehen, dass man etwas beitragen kann, und es gibt eine große Neugierde, Menschen zu begegnen und neue Situationen bewältigen zu können.“ Der Pädagoge, Dirigent und Initiator von #YesWeCare ist der Bruder von Caritas-Präsident Michael Landau. Liegt das Helfen bei Landaus also in der Familie? „So lange ich mich erinnern kann, ging es mir immer darum zu schauen, was ist links und rechts von mir und was kann ich tun. Das war und ist immer auch ganz stark von meinem Gerechtigkeitssinn getrieben. Gerechtigkeit ist ein Wert, den meine Eltern meinem Bruder und mir von klein auf vermittelt und vorgelebt haben.“ Ob sein Engagement für andere etwas mit Spiritualität oder Gläubigkeit zu tun hat? „Ich glaube, dass unsere Leben einem höheren Sinn folgen.“
Mit dem Musiker Cley Freude (25) hat Landau das Benefiz-Konzert für die Ukraine am Heldenplatz organisiert. „Ich als Musiker habe keine andere Möglichkeit, als Musik zu machen und so zu zeigen, dass es mir nicht egal ist, was in der Ukraine passiert“, sagt Freude. Er sei der „klassische Vorstadtjunge“, dem es nie an etwas gefehlt habe. Die Arbeit als Sanitäter nach dem Zivildienst habe ihm gezeigt, wie es anderen gehen kann. „Da habe ich realisiert: Ich kann mein Privileg, anders aufgewachsen zu sein als andere, einsetzen für Menschen, denen es nicht so gut geht. Ich kann nur Musik machen und auf Themen aufmerksam machen. Das ist es, was ich versuche.“ Er persönlich zweifelt daran, ob die Welt auch wegen des Klimawandels in Zukunft noch lebenswert sein wird. Er und viele seiner Freunde wollen deshalb keine Kinder haben.
Maria Katharina Moser ist seit September 2018 Direktorin der Diakonie Österreich. Die Wienerin studierte katholische und evangelische Theologie in Wien und Interkulturelle Frauenforschung in Manila Die Diakonie ist Dachverband von 30 Hilfs- und Sozialorganisationen. Seit fast 150 Jahren begleitet sie Menschen in schwierigen Lebenssituationen, außerdem betreibt sie Krankenhäuser. Mit Nothilfezentren, Versorgung von Senioren, Hygieneartikeln, Essen sowie psychosozialer Betreuung unterstützt sie in der Ukraine.
Für Maria Katharina Moser, Direktorin der Diakonie, ist das Helfen eine menschliche Verantwortung. Vor der Frage, warum Gott Kriege zulassen kann, verstumme man auch als Pfarrerin, sagt sie. „Jede Antwort, die wir geben können, wird dem Leiden nicht gerecht.“ Aber: „Den Krieg führt nicht Gott, sondern Russland gegen die Ukraine.“ Für eine bessere Zukunft und Gegenwart ist laut Moser vor allem eines wichtig: Empathie. „Egal ob im Krieg, auf der Flucht, bei Krankheit oder Pflegebedarf. Es geht darum, die Fähigkeit zu besitzen, sich in das Leid anderer hineinzuversetzen und sich vorzustellen: Das könnte auch ich sein und mich betreffen.“
Und wenn alles Leid auf der Welt einen verzweifeln lässt? Auf diese Frage antwortet Moser anders, als die anderen Gesprächspartner, die sich Zeit für sich, Sport oder Familie nehmen. Moser: „Auf einer spirituellen oder theologischen Ebene hilft mir tatsächlich der Gedanke an Ostern.“ Auferstehung bedeute, dass Hoffnungslosigkeit nicht das letzte Wort hat. „Hoffnung heißt nicht, dass alles gut wird. Hoffnung heißt, dass wir die Zukunft nicht der Verzweiflung überlassen.“
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