Der Pride-Monat Juni war heuer auffallend ruhig, weniger schrill und bunt als sonst – was wohl der Weltenlage und den aktuellen Geschehnissen in Graz zuzuschreiben ist. Es lohnt sich dennoch ein Blick auf die Anliegen der LGBTIQ+-Community für eine offenere, pluralistische Gesellschaft; wobei vieles schon geschafft ist.
Teils hat es Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes gebraucht – etwa bei der Ehe für alle, die seit 2019 möglich ist. Deutliche Akzente hat aber auch die türkis-grüne Regierung gesetzt, wobei die ÖVP da mehr Passagier war. Umgesetzt wurde die lang geforderte Abschaffung des Blutspende-Verbots für Homosexuelle, der Entschädigungsfonds für Menschen, die bis 2002 wegen ihrer sexuellen Orientierung strafrechtlich verfolgt wurden, oder die kostenlose Vergabe von „PrEP“, einem Medikament zur HIV-Prävention.
Leben, wie man möchte
Mit SPÖ und Neos befindet sich die Volkspartei nun wieder in einer Koalition mit Parteien, die stark für Diversität und Gleichberechtigung eintreten. Zwei Maßnahmen, die seit Langem von der Community gefordert werden, finden sich auch im Regierungsprogramm (dazu später mehr).
Die Neos haben bei dem Thema den wohl entspanntesten Zugang. Dass jeder Mensch so leben soll, wie er möchte, gehört zur politischen DNA der Partei – und das umfasst freilich auch alle Lebensentwürfe, die unter dem Kürzel LGBTIQ+ zusammengefasst sind. Ein klares Zeichen hat Bildungsminister Christoph Wiederkehr in Wien dadurch gesetzt, dass er nicht nur Vizebürgermeister, sondern auch LGBTIQ+-Stadtrat war. Als solcher hat er unter anderem das erste queere Jugendzentrum eröffnet.
In der Bundesregierung wollen die Neos weiter an Verbesserungen der rechtlichen Lage arbeiten, wie es auf KURIER-Anfrage heißt. Dazu zähle etwa die Überarbeitung des Reproduktionsrechts, um bürokratische Hürden für lesbische Paare abzubauen.
Anti-Diskriminierung
Bei der SPÖ, die sich in allen Bereichen des Lebens gegen Diskriminierung einsetzt, ist es beim Thema LGBTIQ+ nicht anders. Zudem befürwortet die SPÖ (neben Grünen und Neos) auch das sogenannte „Levelling up“. In den Regierungsverhandlungen gab es dazu aber keine Einigung mit der ÖVP.
Gemeint ist damit, Anti-Diskriminierungsregeln, die derzeit für den Arbeitsbereich gelten, auf privatrechtliche Bereiche auszuweiten. So kann es einem homosexuellen Paar in Österreich noch noch immer passieren, aus einem Taxi geworfen zu werden oder eine Wohnung verwehrt zu bekommen.
Ein Fokus liegt aktuell auf dem Kampf gegen Hassverbrechen. Auf Initiative der SPÖ wurde im Parlament ein Nationaler Aktionsplan beschlossen. Nur die FPÖ stimmte nicht mit.
Manderl und Weiberl
Die FPÖ, die sich zur Zeit von Parteichef Jörg Haider in keine Richtung zu dem Thema geäußert hat, schwankt heute zwischen zwei Extremen: komplettem Desinteresse und populistischer Ablehnung.
Auf KURIER-Anfrage bei allen Parteien, welche Maßnahmen noch nötig wären, heißt es bei den Blauen: „Die aktuellen gesetzlichen Bestimmungen sind aus unserer Sicht ausreichend.“ In Zeiten multipler Krisen sei es aus freiheitlicher Sicht auch nicht vorrangig, „sich mit einer lauten Minderheit zu beschäftigen, die ihren Willen der Bevölkerung aufzwingen möchte“.
Wenn dann eine Drag Queen in einem Kindergarten vorliest, demonstrieren vor der Tür Freiheitliche. Oder stopfen eine Regenbogenfahne in den Mistkübel – siehe Abgeordneter Michael Gruber im Wahlkampf im vergangenen Herbst. „Wir wollen ein Manderl und ein Weiberl, und dann gibt’s Kinder“, sagte er in einem Video auf Social Media.
Noch immer konservativ
Das traditionelle Familienbild haben die Blauen mit den Türkisen gemeinsam, wobei da einer seit Jahren ruhig und beharrlich an einer Neudefinition arbeitet: Nico Marchetti. Der Wiener war viele Jahre der einzige offen homosexuelle Mandatar im ÖVP-Klub und ist mittlerweile Generalsekretär der Bundespartei.
2017 musste er zähneknirschend zur Kenntnis nehmen, dass seine Partei im Nationalrat gegen die „Ehe für alle“ stimmt. Als die FPÖ heuer im April im Nationalrat anzweifelte, ob die ÖVP überhaupt noch konservativ sei, konterte er: Die Partei und er selbst seien sogar so konservativ, dass er vor einigen Wochen seinen Mann geheiratet hat.
Auf KURIER-Anfrage wird in der Bundespartei betont, dass die ÖVP „jegliche Diskriminierung ablehnt“ und in der Regierungsarbeit einen „sachlichen und verantwortungsbewussten Zugang zu den sensiblen Themen“ verfolge. Verwiesen wird auf das Regierungsprogramm mit SPÖ und Neos, das unter anderem das Verbot von Konversionstherapien vorsieht.
Bei diesen Therapien, die aus den evangelikalen Bewegungen in den USA kommen, sich über christliche Jugendbewegungen aber auch in Europa verbreitet haben, wird Homosexualität als Krankheit gesehen. Es wird mit fragwürdigen Mitteln versucht, diese zu „heilen“. 2019 gab es dazu den ersten Entschließungsantrag im Parlament, 2021 den nächsten, und während der türkis-grünen Koalition auch mehrere Verhandlungsrunden. Die endgültige Umsetzung sei an der ÖVP gescheitert, heißt es bei den Grünen.
Sichtbarkeit
Aber auch die Grünen tun sich beim Thema LGBTIQ+ nicht gerade leicht. Die Offenheit gegenüber allen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten gefällt nicht allen Feministinnen. Zum Beispiel Faika El-Nagashi, die seit der Wahl nicht mehr im Parlament ist. So sprach sie sich vor einigen Jahren in einem Falter-Interview gegen ein Gesetz in Deutschland aus, wonach Männer durch Selbsterklärung zur Frau werden können. „Wenn das Frau-Sein beliebig wird, ist es auch um die Frauenrechte geschehen“, sagte sie – und löste einen Shitstorm in der Community aus. Kürzlich gab sie ihren Parteiaustritt bekannt und sagte, sie sei von den Grünen „gemobbt“ worden.
Dabei ist klar: Keine Partei ist im Pride-Monat Juni so aktiv wie die Grünen, die vermehrt auch im ländlichen Bereich Aktionen setzen. Genannt wird nach KURIER-Anfrage etwa die erste „Innviertel Pride“. Sichtbarkeit sei ein zentraler Baustein für gesellschaftliche Akzeptanz, und „solange sich einige Menschen noch immer an Regenbogenfahnen stören, ist volle Gleichberechtigung nicht erreicht“, wird erklärt.
Schutz von Kindern
Was ist nun von der aktuellen Bundesregierung in Richtung LGBTIQ+ zu erwarten? Im Regierungsprogramm ist, wie erwähnt, das Verbot von Konversionstherapien fixiert. Etwas vorsichtiger wird darin die andere offene Forderung der Community als „Schutz intergeschlechtlicher Kinder“ umschrieben. Laut Schätzungen werden pro Jahr rund 50 Babys geboren, deren Geschlecht nicht eindeutig ist. Ärzte dürfen nach aktueller Rechtslage operativ eingreifen – und das auch ohne Rücksprache mit den Eltern.
ÖVP, SPÖ und Neos haben sich darauf verständigt, dass Kinder vor medizinisch nicht notwendigen Eingriffen geschützt werden sollen. Dazu gehören Maßnahmen, um das Gesundheitspersonal zu sensibilisieren und über Intergeschlechtlichkeit aufzuklären. „Irreversible Operationen dürfen nicht leichtfertig oder aus gesellschaftlichem Druck heraus durchgeführt werden“, heißt es bei der ÖVP.
Hinter diesen beiden offenen Punkten steht offenbar auch die FPÖ, wie es gegenüber dem KURIER heißt: „Kinder und Jugendliche sollen in einem natürlichen familiären Umfeld glücklich aufwachsen. Das beinhaltet auch eine natürliche sexuelle Entwicklung, die weder durch Therapien, Pubertätsblocker oder chirurgische Eingriffe beeinträchtigt oder geändert werden soll.“
So weit, scheint’s, sind die Parteien also gar nicht voneinander entfernt.
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