Die Verschwörung der Schulverweigerer
Der Trend zum Heimunterricht hat im vergangenen Schuljahr in Österreich angehalten. Die Zahl jener Kinder, die von ihren Eltern vom Unterricht abgemeldet wurden, hat sich seit Pandemiebeginn mehr als verdoppelt. Diese mussten am Ende des Schuljahres eine „Externistenprüfung“ absolvieren, um in die nächste Schulstufe aufzusteigen. Nur eine positiv abgeschlossene Prüfung ersetzt den Schulbesuch und ist Voraussetzung zur Erfüllung der Schulpflicht.
Im Schuljahr 2021/22 nahmen laut Bildungsministerium österreichweit 5.680 schulpflichtige Kinder an Externistenprüfungen teil. 439 Kandidaten haben die Prüfung nicht bestanden, 1.020 sind nicht angetreten. Die Konsequenz: Sie steigen nicht in die nächste Schulstufe auf und müssen ab Herbst in den regulären Unterricht zurückkehren. Aber werden sie das auch?
Viele Eltern jener Kinder, die erst gar nicht zur Prüfung erschienen sind, werden der Coronaleugner-Szene zugerechnet. Eine KURIER-Recherche in unterschiedlichen Gruppen auf dem Nachrichtendienst Telegram zeigt: Die Eltern haben sich im Laufe des Schuljahres darauf vorbereitet, rechtlich gegen den verpflichtenden Schulbesuch vorzugehen. In einer Mustervorlage für eine Beschwerde wird etwa argumentiert, dass die Corona-Maßnahmen und der Lehrermangel das körperliche, geistige und seelische Wohl des Kindes gefährden würden.
Es werde einen „harten Kern geben, der es darauf ankommen lassen“ und die Kinder trotz Verpflichtung nicht zur Schule schicken werde, befürchtete der oö. Bildungsdirektor Alfred Klampfer in den Salzburger Nachrichten. Aber was passiert, wenn Eltern die Externistenprüfung verweigern und ihr Kind weiterhin nicht zur Schule schicken?
Kindeswohl verletzt
„Die Nichterfüllung dieser Pflichten stellt eine Verwaltungsübertretung dar, die nach Setzung geeigneter Maßnahmen und je nach Schwere der Pflichtverletzung bei der Bezirksverwaltungsbehörde zur Anzeige zu bringen ist“, sagt Rechtsanwalt Georg Kudrna zum KURIER. Eltern müssen mit einer Geldstrafe von 110 bis 440 Euro und bei Uneinbringlichkeit mit einer Ersatzfreiheitsstrafe von bis zu zwei Wochen rechnen.
Wer sich weiterhin beharrlich weigert, das Kind zur Schule zu schicken, muss mit noch härteren Konsequenzen rechnen, erklärt Kudrna: „In groben Fällen ist auch die Einschaltung des Jugendamts wegen Verletzung des Kindeswohls möglich, was im schlimmsten Fall mit der Übertragung der Obsorge von den Eltern auf das Jugendamt enden kann.“
Was im Übrigen auch nicht erlaubt ist: Die Kinder nicht zur Schule, sondern in eine spontan eingerichtete Privatschule oder Lerngruppe zu schicken. Für Schlagzeilen hat 2021 etwa ein Fall in Villach gesorgt.
Tatsächlich dürften immer wieder private Vereine gegründet werden, um den Heimunterricht für Gruppen zu organisieren. Sie bieten sich als Umgehungskonstrukte zu regulären Schulen an. Eine Hausdurchsuchung ihrer Räumlichkeiten „ohne Zustimmung des Hausherrn wäre nur möglich, wenn der Verdacht einer gerichtlich strafbaren Handlung besteht“, meint Kudrna. „Dies wird oftmals nicht der Fall sein.“ Tipps, wie solche „Privatschulen“ organisiert werden könnten, hat etwa der Verein „Wissen schafft Freiheit“ auf Telegram parat. Er bietet zusätzlich statt herkömmlichem Deutsch- oder Mathematik-Unterricht auch gleich Online-Stunden zu elementaren Wissensgebieten wie Astrologie, Kräuterkunde oder Augenyoga gratis an.
Normalisierung?
Die meisten Externisten gab es mit 1.390 schulpflichtigen Kindern im vergangenen Schuljahr in Niederösterreich, von denen 303 nicht zur Prüfung erschienen sind. Auf Platz zwei folgt Wien mit 1.034 Externisten. Zumindest in Wien und Niederösterreich dürfte aber die Zahl der Kinder im Heimunterricht im kommenden Schuljahr – laut der vorliegenden Abmeldungen – wieder geringer ausfallen. Wer sein Kind für das kommende Schuljahr zu Hause unterrichten wollte, hätte das bis zum letzten Schultag erledigen müssen.
Externistenprüfung
Wer sein schulpflichtiges Kind vom Unterricht abmeldet, muss dafür sorgen, dass es dennoch den Unterrichtsstoff beherrscht. Um das zu überprüfen, muss das Kind eine Externistenprüfung ablegen
Abgemeldet
Im Schuljahr 2021/’22 hätten in ganz Österreich 5.680 Schulkinder eine Externistenprüfung ablegen müssen. Die meisten Externisten gab es mit 1.390 in Niederösterreich, gefolgt von Wien (1.034)
Nicht bestanden
Insgesamt haben 439 Kinder die Externistenprüfung nicht bestanden. Sie können die Prüfung bis zu dreimal wiederholen
Nicht angetreten
Mehr als doppelt so viele Kinder – 1.020 – sind erst gar nicht zur Prüfung erschienen, obwohl sie dazu verpflichtet gewesen wären. Sie steigen damit nicht in die nächste Klasse auf und müssen im kommenden Schuljahr jedenfalls zurück in die Schule
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