Die Strategien im Kurz-Prozess: Umkehr versus Angriff
Während Glatz-Kremsner beim Prozessauftakt Reue zeigte, startete Kurz einen Rundumschlag und pocht auf Freispruch. Was steckt dahinter – und könnte er am Freitag bei seiner Aussage noch umschwenken?
Sie teilten die Anklagebank – und dennoch trennte sie vieles: Der erste Verhandlungstag gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) war nicht nur aus juristischer Sicht bemerkenswert (Stichwort Diversion für die ehemalige Vize-Parteiobfrau und Casinos-Chefin Bettina Glatz-Kremsner). Auch die Körpersprache und die Wortwahl der drei Angeklagten im Falschaussage-Prozess sprachen Bände.
Vor dem Betreten des Schwurgerichtssaals trat Kurz gewohnt selbstbewusst vor die Presse und teilte gegen die Anklagebehörde aus. Im Prozess legte sein Verteidiger Otto Dietrich nach, präsentierte seinen Mandanten als Opfer der politischen Opposition und der WKStA, die seinem Mandanten das Wort im Mund umdrehe. Und er stellte eine Befangenheit von Richter Michael Radasztics in den Raum.
Körpersprache
Kurz selbst zeigte sich vor Verhandlungsbeginn betont entspannt, scherzte mit Glatz-Kremsners Anwalt Lukas Kollmann. Die pensionierte Casinos-Chefin wirkte, als wollte sie bewusst Abstand halten. Sie drehte sich nicht dem Kanzler zu, blickte starr in eine andere Richtung.
Und auch die Wahl der Sitzplätze ließ Raum für Interpretationen. Während der ehemalige Kabinettschef Bernhard Bonelli dicht an der rechten Seite von Kurz Platz nahm und sich auch während der Verhandlung immer wieder zu ihm beugte und sich mit ihm austauschte, ließ Glatz-Kremsner auf der linken Seite zwei Sitzplätze zum Ex-Kanzler frei.
Kurz und Bonelli ließen sich lässig in die Sessellehnen fallen, die 61-Jährige aber beugte sich nach vorn, verfolgte die Verhandlung aufmerksam, gestand später ein, Fehler gemacht zu haben und die Verantwortung tragen zu wollen – und bekannte sich gleichzeitig „nicht schuldig“.
Was steckte hinter diesem Manöver? „Für eine Diversion ist kein Geständnis nötig. Eine Verantwortungsübernahme reicht aus“, erklärt der Linzer Strafrechtsprofessor Alois Birklbauer. Ein Geständnis könnte Glatz-Kremsner sogar schaden.
Denn: Nachdem die WKStA der Diversion nicht zugestimmt hat, trifft das Oberlandesgericht die Entscheidung, ob es dabei bleibt. Sollte es nicht so sein, wird die Verhandlung gegen die Ex-Managerin fortgesetzt. „Mit einem Geständnis hätte sie dann ganz schlechte Verteidigungskarten“, erklärt Birklbauer.
Den Weg der Diversion könnten theoretisch auch noch die beiden anderen Angeklagten einschlagen. Doch bis jetzt gab es keine nötige Verantwortungsübernahme. „Wenn Kurz seine Strategie ändern würde, wäre das nach meiner Ansicht durchaus noch denkbar“, sagt der Strafrechtsexperte. Doch je länger man sich dafür Zeit nehme und taktische Gründe dahinter seien, desto unwahrscheinlicher wird das.
Bis jetzt erklärte Kurz, keine falschen Aussagen getätigt zu haben. Gleichzeitig brachte sein Verteidiger Dietrich einen möglichen Aussagenotstand ins Spiel: Die Befragung im U-Ausschuss sei in absolut feindlicher Umgebung geschehen, Kurz hätte befürchten müssen, dass gegen ihn ein Strafverfahren laufe und er sich selbst belasten würde. „Eine Entschlagung wäre damals als Schuldeingeständnis interpretiert worden“, erklärte Dietrich.
Schuldspruch
Auf falsche Beweisaussage (§ 288 Strafgesetzbuch), stehen bis zu drei Jahre Haft, alternativ eine Geldstrafe.
Diversion
Wenn die Schuld erwiesen, der Sachverhalt aber hinreichend geklärt ist und der Beschuldigte für seine Taten Verantwortung übernimmt, kann das Verfahren ohne Schuldspruch beendet werden. Dafür muss er eine Geldbuße oder Sozialstunden leisten, erspart sich aber den Eintrag im Strafregister.
Aussagenotstand
Wer sich bei seiner Aussage selbst belasten müsste, wenn er die Wahrheit sagt, darf schweigen. Wenn man sich durch Schweigen verdächtig machen würde, darf man lügen.
Außenwirkung
„Der Aussagenotstand setzt voraus, dass das Gericht davon überzeugt ist, dass jemand vorsätzlich die Unwahrheit gesagt hat. Aber es war dieser Person, salopp gesagt, nicht zuzumuten, die Wahrheit zu sagen, weil sie zu große Angst gehabt hat“, beschreibt Birkblauer.
Ein Aussagenotstand würde einen Freispruch bedeuten – gleichzeitig aber auch, dass das Gericht davon ausgeht, dass vorsätzlich die Unwahrheit gesagt wurde – ein Bild, das auch eine entsprechende Außenwirkung hat. Und auf seine Außenwirkung hat Kurz bekanntlich immer größten Wert gelegt.
Späte Einsicht
Ganz anders scheint, wie geschildert, Glatz-Kremsner gestrickt zu sein. Die 61-jährige Ex-Casinos-Managerin ist in Pension und dürfte auch politisch keine Ambitionen mehr haben. Dass sie beim Prozess Verantwortung für ihre Fehler übernommen und wortreich beschrieben hat, wie schwierig die Umstände damals für sie persönlich waren, war ein Akt der Umkehr, durch den ihr Schlimmeres (vorerst) erspart bleibt.
Gleichzeitig wurde die Diversion auch als Signal von Richter Michael Radasztics gewertet: Wer Reue zeigt und kooperativ ist, darf mit Milde rechnen und erspart sich einen langen Prozess.
Die WKStA war aus generalpräventiven Gründen gegen eine diversionelle Erledigung, die Geldbuße von 104.060 Euro erscheinen ihr immer noch zu wenig. Gegen den Beschluss kann die Behörde Beschwerde einlegen.
Nützliche Zeugin
Dabei wäre es strategisch nicht unklug, es dabei bewenden zu lassen, sagt ein Justiz-Insider zum KURIER: Wenn die Diversion durchgeht, ist Glatz-Kremsner den Status der Angeklagten los – und die WKStA könnte noch einmal auf sie als Zeugin (unter Wahrheitspflicht!) zurückgreifen. Immerhin war sie stellvertretende Parteichefin und verfügt über entsprechendes Insider-Wissen.
Am Freitag wird der Prozess ohne Glatz-Kremsner fortgesetzt. Ab 9.30 Uhr dürfte Kurz seine Aussage machen.
Kommentare