Die rote Linie bei impfkritischen Ärzten: Wo die Therapiefreiheit endet
Ein Uni-Professor wurde gekündigt, weil er die Corona-Vorschriften an der MedUni Wien nicht eingehalten hat und mitunter sagte: „Diese Erkrankung wird maßlos überschätzt.“ Kürzlich trat er mit FPÖ-Chef Herbert Kickl auf.
Eine Schulärztin aus Wien wurde gekündigt, nachdem sie in einem Youtube-Video behauptet hatte: „Es sind leider schon sehr viele junge Menschen an Nebenwirkungen der Impfung gestorben, die an Corona nicht gestorben wären.“
Gegen einen steirischen Allgemeinmediziner wurde ein Berufsverbot verhängt, weil er auf Facebook „Atteste gegen den Maskenwahnsinn“ für zehn Euro angeboten hat. Kürzlich wurde er auch strafrechtlich angeklagt.
199 impfkritischen Ärzten, die dem Ärztekammer-Präsidenten kürzlich einen Brief geschickt haben, droht ein Disziplinarverfahren (die Schulärztin ist eine davon).
Diese Beispiele zeigen, wo die rote Linie verläuft: wenn sich Ärzte gegen wissenschaftliche Fakten stellen, Falschinformationen verbreiten oder gar Profit daraus schlagen. Patienten müssen sich darauf verlassen können, richtig behandelt zu werden, sagt Christiane Druml, Vorsitzende der Bioethik-Kommission. „In der Pandemie ist es umso wichtiger, dass dieses Vertrauen geschützt und schädliches Verhalten sanktioniert wird.“
Wie kommt es zu solchen Sanktionen? Und welche Rolle spielt die Therapiefreiheit?
Hohe Geldstrafen bis Berufsverbot
Zuständig für die knapp 48.000 Ärzte in Österreich ist die Ärztekammer. Gibt es Vorwürfe, prüft die Disziplinarkommission. Dabei geht es um die Frage, ob die Berufspflicht verletzt oder ob das Standesansehen beeinträchtigt wurde. Ein Ehrenrat kann beratend beigezogen werden, um die Vertrauenswürdigkeit zu beurteilen. Zur Berufspflicht zählt, dass ein Arzt seine Patienten auf dem Stand der Wissenschaft behandeln und dies dokumentieren muss.
Bei Verstößen reicht die Palette von einem schriftlichen Verweis über Geldstrafen von bis zu 36.000 Euro bis hin zur Streichung von der Ärzteliste – was einem Berufsverbot entspricht.
Eine Nebenachse geht über die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK). Es ist in Ordnung, wenn ein Arzt nicht selbst impfen möchte – Vertragsärzte können nicht gezwungen werden, alle Behandlungsmethoden anzubieten. Nicht in Ordnung ist es aber, generell Anti-Impf-Beratung zu betreiben oder Corona zu leugnen. Das ist sogar ein Kündigungsgrund, weil das Patientenwohl gefährdet sei, heißt es bei der ÖGK.
Ohne Kassenvertrag kann man zwar noch eine Wahlarzt-Praxis eröffnen – aber auch das fällt weg, wenn man von der Ärzteliste gestrichen ist.
Wie viele solcher Fälle es seit Beginn der Pandemie gab bzw. wie viele aktuell laufen, verrät die Ärztekammer nicht.
Individuell das Beste?
Corona- bzw. impfkritische Mediziner argumentieren häufig mit der Therapiefreiheit und dass sie täten, was individuell für ihre Patienten das Beste sei. Kritisiert wird zudem, dass im medizinischen Diskurs keine Gegenmeinung mehr erlaubt sei.
Für Bioethikerin Druml aber ist der Fall klar: „Medizinisch-wissenschaftliche Evidenzen werden an den Universitäten gelehrt und sind in der Fachliteratur nachzulesen. Bei Corona gibt es immer neue Erkenntnisse, aber auch diese sind zentral erfasst.“ Kurzum: An Fakten gebe es nichts zu rütteln.
Ein Arzt habe durch die Therapiefreiheit zwar einen Ermessensspielraum – bis zu einem gewissen Ausmaß ist auch Homöopathie erlaubt. Er muss aber umfangreich beraten und die Therapie schlüssig begründen. Und genau da kann es sich spießen, erklärt Druml: „Zu sagen: ‚Ich habe ein schlechtes Gefühl, Sie zu impfen, weil ich da im Internet etwas gelesen habe …‘, reicht nicht in der Dokumentation.“
Wenig Spielraum gibt es bei Attesten zur Befreiung von der Impfpflicht, die ab Februar kommt. Die offizielle Liste an Kontraindikationen ist kurz. Und auch hier will die Ärztekammer genau auf die Argumentation schauen.
Mit einer großen Welle an Berufsverboten rechnet keiner der Experten: Die Impfgegner seien eine laute, aber kleine Gruppe. Die 199 Ärzte der Brief-Aktion entsprechen nur 0,4 Prozent der Ärzteschaft.
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