Die große U-Ausschuss-Bilanz: "Der frühere Nimbus von Kurz ist weg"
Zwei Rücktritte, Ermittlungen gegen den Kanzler wegen möglicher Falschaussage vor dem U-Ausschuss, ein Erdbeben in der Führungsebene im Justizministerium – das sind die politischen und teilweise auch strafrechtlichen Folgen des Ibiza-U-Ausschusses. Vier Anzeigen gegen Wolfgang Sobotka, die allesamt eingestellt werden. Erinnerungslücken, Entschlagungen ohne Ende und Angriffe auf die Justiz stehen an der Tagesordnung. Selten hat ein U-Ausschuss so viel Sand in den politischen Betrieb gebracht, wie der Ibiza-U-Ausschuss.
Für die Opposition war der U-Ausschuss so erfolgreich, dass sie eine Verlängerung will. Allerdings benötigt es dafür eine Mehrheit, die nur die Grünen der Opposition beschaffen könnten. Allerdings ist paktiert, dass die Grünen einer Verlängerung nicht zustimmen.
Am 4. Juni 2020 ging der erste Befragungstag mit der Ladung von Ex-FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache über die Bühne. Auch beim vorerst letzten Tag im Ibiza-U-Ausschuss, am 15. Juli, wird Strache im Mittelpunkt stehen – sofern er sich nicht entschuldigen lässt. Zur Erinnerung: Seine Aussage im Ibiza-Video – „Novomatic zahlt alle“ – führte zur Einsetzung von strafrechtlichen Ermittlungen und des Ibiza-U-Ausschusses.
Allerdings spielte Strache nur am Anfang und nun eben zum Finale eine tragende Rolle bei den Befragungen.
ÖVP statt FPÖ am Pranger
Denn es passierte etwas, das die Türkisen komplett falsch einschätzten: Statt der FPÖ stand plötzlich die ÖVP am Pranger. „Die FPÖ war aus dem Schussfeld“, resümiert Politikberater Thomas Hofer.
Eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshof erlaubte, dass auch abstrakt relevante Dokumente oder Chats an den U-Ausschuss geliefert werden. Vor allem die Chats entpuppten sich als Desaster für die ÖVP. Erst kurz vor dem U-Ausschuss-Finale begriff die ÖVP die prekäre Situation und tauschte den Fraktionsführer aus. Andreas Hanger ersetzte Wolfgang Gerstl und übernahm die „Mission Impossible“.
Wie die Performance der Parteien war, welchen Schaden die vergiftete Atmosphäre bei der Politik im Land verursachte – diese und andere Fragen stellte der KURIER dem Politikinsider Thomas Hofer und der renommierten Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle aus Klagenfurt. Die beiden ziehen eine Bilanz nach 13 Monaten Ibiza-U-Ausschuss (siehe Statements unten), der sich um Tausende Stapel von Dokumente drehte.
Ob es eine Fortsetzung des Ibiza-U-Ausschusses gibt, wird sich im Herbst zeigen. Da könnte ihn die Opposition durch das Minderheitenrecht wiederbeleben.
Die beiden Politikexperten orten jedenfalls einen massiven Vertrauensverlust in die Institutionen und die Politiker. Eine Reform des U-Ausschusses sei dringend notwendig. der KURIER hat ihnen fünf Fragen gestellt:
Fünf Fragen, zehn Urteile
War es der bisher erfolgreichste U-Ausschuss? Oder war es der Erfolg der WKStA, der durch den U-Ausschuss an die Öffentlichkeit kam?
Hofer: „Dieser U-Ausschuss war sicher einer der prägendsten der vergangenen Jahrzehnte. Die Hauptgründe dafür waren die Lieferungen der WKStA und die Entscheidung des VfGH, auch „abstrakt Relevantes“ einzufordern. Politisch ist die ÖVP stärker unter Druck geraten, als sie sich das in ihren kühnsten Albträumen ausgemalt hätte. Die Opposition hatte bis dahin wenige Druckpunkte gegen den Kanzler. Das hat sich geändert, auch wenn der Ausgang weiterhin offen ist. Der Nimbus von früher ist aber jedenfalls weg.“
Stainer-Hämmerle: „Als „Erfolge“ können die Rücktritte von Peter Sidlo und Thomas Schmid gesehen werden. Ob der Untersuchungsausschuss wirklich als Erfolg gesehen werden kann, zeigt sich erst, wenn er zu gesetzlichen Reformen führt. Sei es bei Postenbesetzungen im öffentlichen Bereich, generell in Sachen mehr Transparenz. Ein Untersuchungsausschuss hat einen politischen Auftrag und darf nicht mit einem Gericht verwechselt werden. Das Sittenbild, das mit dem gegenseitigen Ton, im Umgang mit der Justiz, als auch durch die Chats gezeigt wurde, hat das Image der Politik massiv beschädigt.“
Welche Abgeordneten oder welche Partei hat den U-Ausschuss am besten für sich genutzt?
Hofer: „Stephanie Krisper (Neos) und Kai Jan Krainer (SPÖ), weil sie sich medial und innerparteilich etabliert und ihre Parteien in eine offensivere Spielanlage gebracht haben. Christian Hafenecker (FPÖ), weil er seine Partei aus dem Schussfeld genommen hat und den Fokus auf die ÖVP richten konnte. Andreas Hanger (ÖVP), weil er medial zwar zweifelhaften Ruhm erlangt hat, sich aber innerparteilich klar vom Nobody zum „bad cop“, der kein mögliches oder unmögliches Argument auslässt, etabliert hat.“
Stainer-Hämmerle: „Bekannt geworden sind Stefanie Krisper von den Neos als akribische Aufdeckerin mit manchmal losem Mundwerk und Andreas Hanger von der ÖVP als eifriger Verteidiger mit geringem Hang zur Differenzierung. Den größten Spagat musste Nina Tomaselli bewältigen, da die Grünen einerseits in ihrer Oppositionsrolle im Ausschuss den Erwartungen ihrer Wähler entsprechen mussten und andererseits ihren Regierungspartner nicht verärgern durften. Glücklich gelaufen ist es sicher für die FPÖ, da der Satz von Heinz-Christian Strache „Novomatic zahlt alle“ der Ausgangspunkt war. Am wenigsten profitieren konnte die SPÖ.“
Was war der Tiefpunkt im Ibiza-U-Ausschuss?
Hofer: „Ich würde da jetzt nicht einen singulären Punkt herausnehmen. Demokratiepolitische Rückschläge gab es nämlich durchaus zahlreiche: Das reicht von der Etablierung der Strafanzeige als inflationäres Stilmittel in der politischen Auseinandersetzung über den exzessiven Rückgriff auf Entschlagungen und aufreizend inszenierte Erinnerungslücken bis zu persönlichen Untergriffen und Entgleisungen von Abgeordneten. Das Problem ist aber, glaube ich, nicht der U-Ausschuss an sich, sondern das politische Klima insgesamt.“
Stainer-Hämmerle: „Die gegenseitigen Vorwürfe und Anzeigen, die ständig widersprüchliche Darstellung des Geschehens im Anschluss an die Sitzungen, das Hinauszögern und die Art der Aktenlieferung, die verschiedenen Versuche sich der Befragung zu entziehen. Das alles zusammen beschädigte ein wichtiges Instrument der parlamentarischen Kontrolle und somit der demokratiepolitisch so wichtigen Gewaltenteilung. Die als Beifang aufgetauchten Chats haben die Gruppe vergrößert, die eine schlechte Meinung von der Politik hat. Jedenfalls führte der Ausschuss zu einem Tiefpunkt bei den Vertrauenswerten.“
Hat der Ibiza-U-Ausschuss das politische Klima vergiftet?
Hofer: „Im U-Ausschuss wurde das sichtbar, was generell dominiert, nämlich eine massive gegenseitige Abneigung. Dass das im U-Ausschuss explodierte, ist logisch, weil es für die Kanzlerpartei um sehr viel ging und die Opposition dieses Einfallstor nutzen musste. Zur Feststellung des Kanzlers: Hass gibt es tatsächlich. Das trifft aber eben alle Fraktionen, auch die ÖVP. Eine Gemengelage geht ja deshalb hoch, weil es sich hochgeschaukelt hat, also „Vorleistungen“ – gerade auch von der ÖVP – „erbracht“ wurden.“
Stainer-Hämmerle: „Ich sehe es umgekehrt: Im U-Ausschuss wurde das vergiftete Klima offensichtlich. Kein politisches System, keine Verfassung, kein Gesetz und keine Geschäftsordnung kann Parteien, politische Institutionen oder Gewalten in einem Staat zwingen, miteinander respektvoll zu diskutieren, wenn die handelnden Personen sie verweigern. Wir können nur vermuten, inwieweit dieser Umgang andere Entscheidungen prägt. Von einer Konsensdemokratie, für die die Zweite Republik stand, haben wir uns inzwischen weit entfernt. Die Unfähigkeit zum Dialog und zur Fehlerkultur bedroht die Grundlage unserer Demokratie.“
Ein Vorsitzender, der in der Kritik steht, Erinnerungslücken und unendliche Geschäftsordnungsdebatten: Wie muss der U-Ausschuss reformiert werden?
Hofer: „Der U-Ausschuss wurde zum Spielfeld strategischer Geplänkel und Verzögerungstaktiken. Natürlich kann man an Stellschrauben drehen. Klarerweise müssen aber weiter Abgeordnete die Fragen stellen. Andere angedachte Reformen würden in der aktuellen Gemengelage nicht viel helfen. Es dominiert einfach die parteipolitische Positionierungslogik. Dass etwa TV-Übertragungen, die schon Sinn machten, zur Beruhigung beitragen, sehe ich nicht. Im Plenum oder TV-Studio ging’s zuletzt auch nicht gerade fein zu.“
Stainer-Hämmerle: „Jedenfalls wäre Öffentlichkeit in Form eines Livestreams wünschenswert. Wahrscheinlich sind nicht so viele Bürger daran interessiert, aber die Verwirrung durch die unterschiedlichen Darstellungen der Parteien vom Ablauf könnte aufgeklärt werden. Ebenso hat sich die Vorsitzführung des Nationalratspräsidenten nicht bewährt. Ein unparteiischer Richter könnte die Fairness wohl besser wahren. Die Fragen sollten hingegen weiter von der Opposition kommen, immerhin ist der U-Ausschuss, seit er ein Minderheitenrecht ist, deren stärkstes Kontrollinstrument. An der Wahrheitspflicht sollte nicht gerüttelt werden.“
Kommentare