Der Mythos von Österreich als „Brückenbauer“
Kanzler Karl Nehammers Besuch bei Wladimir Putin hat ein Schlagwort wieder in die Schlagzeilen gehievt: Österreich als „Brückenbauer“.
Aber ist diese Charakterisierung noch zutreffend? „Zu einem gewissen Grad ist das ein Mythos, den wir fast wie eine Identitätsfrage vor uns her tragen“, sagt die langjährige Spitzendiplomatin Eva Nowotny.
Österreichs „Brückenfunktion“ ist maßgeblich durch die Situation im Kalten Krieg entstanden: ein neutrales Land in geografischer Lage zwischen NATO und Warschauer Pakt, zwischen West- und Osteuropa (siehe Grafik).
„Österreich hatte damals eine weltpolitische Funktion“, sagt Nowotny. Österreich habe Dissidenten unterstützt, Kulturzentren in Osteuropa aufgebaut und politische Kontakte in den Osten gehalten, „was wichtig war“, sagt Nowotny. Ein klassischer Brückenbauer in diesem Sinne sei der kürzlich verstorbene Vizekanzler Erhard Busek gewesen.
Viel geleistet
Im Helsinki-Prozess, bei dem es um Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa über den Eisernen Vorhang hinweg ging, habe Österreich „enorm viel geleistet“. Ein Resultat dieser Leistung sei, dass Wien Sitz der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, wurde.
Der „Seewolf“
Getrieben auch von seinen eigenen Sicherheitsinteressen als kleines Land, das keinem Verteidigungsbündnis angehört, habe sich Österreich immer stark für alles engagiert, was auf Dialog ausgerichtet war: für das Völkerrecht, für internationale Gespräche. „Alles, nur keine gewaltsamen Lösungen“, lautete die Devise.
Viele internationale Abkommen seien daher eng mit österreichischen Diplomaten verbunden: das Weltraumrecht, das Umweltrecht, sogar das Seerecht. „Botschafter Wolf war damals in den Verhandlungen über das Seerecht die Stimme der Länder ohne Meerzugang. Das hat ihm den Beinamen Seewolf eingebracht“, erzählt Nowotny.
Teil der EU-Außenpolitik
Das Know-how der heimischen Diplomatie ist geblieben, aber die Situation ist heute eine völlig andere. Schon optisch sticht ins Auge: die „Brücke“ existiert nicht mehr. Das neutrale Österreich ist heute geografisch eine Insel, umgeben – bis auf die Schweiz – von NATO-Ländern (siehe Grafik).
Auch die EU-Mitgliedschaft ändert die Verhältnisse. Die EU bemüht sich um eine gemeinsame Außenpolitik, damit Europa mehr Gewicht in der Welt bekommt. Das verringert naturgemäß den außenpolitischen Spielraum der einzelnen Mitgliedsländer.
Kurzer Weg am Handy
Nicht zuletzt haben die Handys die Rolle von „Vermittlern“ teilweise überflüssig gemacht. Heute haben Politiker voneinander die Telefonnummern eingespeichert und kommunizieren miteinander auf kurzem Weg.
Es war übrigens Österreich, das in seiner ersten EU-Präsidentschaft unter Kanzler Viktor Klima 1999 eine eigene SMS-Vernetzung für die EU-Regierungschefs etablierte.
Was von Österreichs einstiger Rolle heute noch erhalten ist, beschreibt die erfahrene Diplomatin Nowotny so: „Wir sind ein Gastland für internationale Begegnungen und bringen hier große Erfahrung ein.“
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