Wie sehr ist die Politik denn auf die Wissenschaft angewiesen?
Maurer: Bei uns ist die wissenschaftliche Faktenbasis das Um und Auf, um zu wissen, wo's lang geht. Die Wissenschaft sagt, was gescheit wäre, aber die Politik muss das dann zur tatsächlichen Umsetzung bringen. Das ist der Punkt, an dem es sich manchmal spießt.
Wie meinen Sie das?
Maurer: Wir haben grundsätzlich ein Thema mit wissenschaftsbasierter Politik in Österreich – seit ewigen Zeiten. Einerseits nehmen Teile der Politik die Wissenschaft nicht immer ernst. Andererseits ist es oft nicht praktikabel, was Wissenschafter vorschlagen. Das ist keine Kritik, es ist nicht ihre Aufgabe, sich um die Verfassung oder die Logistik zu kümmern. Sie schlagen ein optimales Modell vor, die Politik muss umsetzen. Und da stellen sich dann halt Fragen, wie: Ist der Bund überhaupt zuständig, hat er die Daten oder die notwendige Infrastruktur zur Umsetzung?
Popper: Ich kann mir das „Leiden“ der Politik mit manchen Wissenschaftsaussagen schon vorstellen. In der Politik gibt es 1000 andere Aspekte zu beachten. Ich wiederum höre auf Twitter oft: „Sie Koffer, Sie sollen nur über Zahlen reden und nicht mehr dazu sagen“. Aber was wir tun, nämlich Effekte von Handlungen in dynamischen Systemen einschätzen, ist recht kompliziert, das muss man einordnen und darüber muss man auch transparent diskutieren.
Was wäre Ihr Vorschlag, um das „Leiden“ zu verringern? Popper: Wir brauchen eine Standardisierung: Sowie die Epidemie in Wellen kommt, ist die Wichtigkeit der handelnden Personen einer Wellenbewegung unterworfen. Aber es wäre eigentlich wichtig, stabilere Prozesse zu haben, wie die Wissenschaft in Entscheidungen eingebunden wird. In anderen Ländern geht das auch. Und wir brauchen Transparenz bei Beauftragungen und dem Veröffentlichen von Ergebnissen.
Maurer: Wir haben im Zuge des Beschlusses zum Parteiengesetz festgelegt, dass alle Studien und Gutachten, die auf Bund-, Länder- und Gemeindeebene beauftragt werden, veröffentlicht werden müssen. Das ist ein wichtiger Schritt. Ich kenne das ja noch aus Oppositionszeiten, wie mühsam es ist, wenn eigentlich Studien vorhanden sind, aber die Ergebnisse dem Parlament und der öffentlichen Verwaltung nicht vorliegen.
Herr Popper, können Sie eigentlich auch in Sachen Teuerung modellieren?
Popper: Ja, aber das können andere besser. Ich werd’ mich nicht in die ZiB2 setzen und etwas über Teuerung erzählen, keine Sorge. Sehr wohl arbeiten wir aber mit anderen Expertinnen an den zu Grunde liegenden Energie-, Logistik- und Mobilitätsprozessen. Was mir aber auffällt, ist, dass wir, wie bei Covid, oft wankelmütig sind. Ich habe den Eindruck, viele Jahre haben wir geglaubt, der Strom kommt aus der Steckdose und das ist super und wir leben in einer Rundumversorgung der Gesellschaft.
Maurer: Nein, das haben nicht alle geglaubt. Wir Grüne haben die Abhängigkeit von Putin immer thematisiert.
Popper: Es geht nicht um eine Partei. Ich habe quasi selbstkritisch die gesamte Gesellschaft gemeint. Ich werde immer gefragt, wie die Prognosen ausschauen. Es wird nicht alles lustig werden. Aber in dem Ausmaß, in dem wir vielleicht zu sorglos waren, sind wir jetzt fatalistisch, dabei müssten wir lösungsorientiert vorgehen.
Aber wie geht das?
Popper: Wir versuchen, mit unseren Modellen aufzuzeigen, was die Potenziale sind, wie man etwas ändern kann und was vernünftige Entscheidungen sind. Bei manchen Dingen gibt es eine einfache Antwort. Z. B. nein, Atomenergie ist keine gute Lösung. Bei Atomkraftwerken werden leider seit vielen Jahrzehnten in den Modellen die Systemgrenzen falsch gewählt. Man schaut sich z. B. nur an, was kostet dieses Atomkraftwerk im Betrieb, was baue ich und was kommt an Energie rein und wie viele Leute arbeiten da? Das ist natürlich lieb, aber völlig falsch. Es geht ja auch um eine Kostenbelastung des Risikos, der Lagerung der Abfälle und noch um sehr vieles mehr.
Maurer: Deswegen reden wir ja immer von Kostenwahrheit. Es geht ja letztlich darum, Schäden, die indirekt verursacht werden, etwa durch das Verbrennen von fossilen Energieträgern, einzubremsen. Da sind wir natürlich auf die Wissenschaft angewiesen, die in dieser Frage auch zum Teil versagt hat. Besonders wachstumsorientierte Ökonomen haben die Umweltkosten einfach nicht in entsprechender Art und Weise eingepreist. Verluste werden sozialisiert, Gewinne privatisiert. Das ist ein grundsätzliches Problem in unserer Gesellschaft und im Kapitalismus an sich.
Ich würde gerne noch einen rasanten Themenwechsel machen. Wenn man Porträts über Sie beide liest, findet sich darin nämlich eine interessante Gemeinsamkeit: Sie beide lieben Jazz.
Maurer: Ich wollte eigentlich Jazzsängerin werden, war aber zu spät dran und gleichzeitig zu feig für die Aufnahmeprüfung, dann habe ich Musikwissenschaft studiert und bin dann in die Politik gestolpert, weil Karl-Heinz Grasser dieses Studium damals abschaffen wollte. Aber die Jazz-Liebe ist an sich geblieben.
Sie, Herr Popper, spielen Saxofon und haben neben Mathematik Jazztheorie und Philosophie studiert ...
Popper: ... und beides erfolglos abgebrochen.
Schaffen Sie es trotz Ihrer Jobs noch, auf Konzerte zu gehen?
Maurer: Ich habe eine Jahreskarte fürs Porgy & Bess, aber da wurde ich schon ziemlich lange nicht mehr gesehen.
Popper: Ich hatte in den 90ern eine sogenannte Musikerkarte. Irgendwann in den Nullerjahren hat man mir dann schonend beigebracht, dass ich nicht mehr als Musiker durchgehe. Aber eine Karte habe ich noch immer.
Lustig ist, dass sie sich statt der Musik beide für trockene Fächer entschieden haben, Mathematik und Politik.
Maurer: In der Musik und der Politik muss man manchmal improvisieren können, schnell reagieren und dabei darauf achten, dass es für das zuhörende Publikum möglichst viel Sinn macht und erträglich ist.
Popper: Es geht um das Zusammenspiel. Wenn der Bassist etwas macht, muss ich mich dran anpassen, sonst gehe ich unter. Ich muss flexibel sein und sollte das gut können, was ich mache. Ich sollte geübt haben. Und es gibt heutzutage in der Politik und in der Wissenschaft keine One Woman oder One Man Show mehr.
Es ist also wie in einer Band?
Maurer: Schon vieles, ja.
Kommentare