Das Popfest Wien will heuer agitieren, aber nicht schockieren
In der „Lücke zwischen Repräsentation und Agitation“ haben FM4-Moderatorin Dalia Ahmed und Ja-Panik-Sänger Andreas Spechtl das Programm der heurigen Ausgabe des Popfests Wien angesiedelt. Heute, Donnerstag, beginnt das viertägige Event, das wieder am Karlsplatz stattfindet, und bis Sonntag bei freiem Eintritt auf der Seebühne, aber auch an sieben weiteren Örtlichkeiten rund um den Karlsplatz neue Musik vorstellt. Dem KURIER erklären Ahmed und Spechtl, wie sie als Kuratorin und Kurator an die Programmgestaltung herangegangen sind.
KURIER: Was kann man sich unter der „Lücke zwischen Repräsentation und Agitation“ vorstellen?
Dalia Ahmed: Wir wollten die Musiker und Musikerinnen raussuchen, die aktuell am spannendsten sind, die experimentell arbeiten, aber die Leute nicht vor den Kopf stoßen und immer noch zugänglich sind. Künstler, die anecken, nur um anzuecken, wollten wir gar nicht. Natürlich braucht man auch bekanntere Acts wie Friedberg, Dives oder Clara Luzia, die die Leute anziehen. Aber die, die kommen, sollen auch viel Neues entdecken können.
Andreas Spechtl: Gleich bei den ersten Telefonaten mit Dalia waren wir uns einig, dass wir auch andere Kunstformen reinbringen wollen. Zum Beispiel Jung An Tagen. Dahinter steckt Stefan Juster, der an der Schnittstelle zwischen Kunst, Musik und Sounddesign arbeitet und auf der Bühne selbst live die Visuals gestaltet, was im Gesamtpaket mit der Musik, die mit Psychoakustik und Sinustönen arbeitet, auch eine spirituelle Dimension hat.
An der Grenze zwischen Musik und Performancekunst ist auch die Wiener Komponistin Abu Gabi.
Dalia Ahmed: Auch bei ihr sieht man live auf der Bühne, wie ihre Sounds entstehen. Die sind neu, hart elektronisch, haben vom Feeling her eher Punk-Charakter, und es ist ein performatives Gesamterlebnis. Auch Kenji Araki gehört zu diesen Gesamtperformance-Acts. Auf ihn freue ich mich besonders, weil er so schön wuchtige Bässe mit Eingängigem zusammenbringt. Das live zu hören und nicht nur über den Kopfhörer, die Bässe am ganze Körper zu spüren, ist sicher ein tolles Erlebnis.
Wie war es für Sie Herr Spechtl, neue österreichische Acts zu finden, die Sie vorstellen wollen? Sie leben in Berlin, wo man diese Newcomer noch nicht in Clubs sehen kann.
Andreas Spechtl: Ich habe zwar von anderen Kuratoren gehört, dass sie ein Jahr lang fast jeden Tag in Clubs waren, um neue Acts zu entdecken, aber selbst wenn ich in Wien gewesen wäre, wäre uns das wegen der Pandemie eh nicht möglich gewesen. Ich lebe jetzt seit 14 Jahren in Berlin , aber ein Teil von mir lebt schon auch noch in Wien. Ich habe engen Kontakt zur Szene und bin da immer im Austausch geblieben. Das Interessante an unserem Programm ist ja gerade auch, dass wir viele Acts dabei haben, die in der letzten Jahren spannende Platten herausgebracht haben, aber wegen der Pandemie noch nicht viel live spielen konnten.
Ihr Programm hat einen sehr hohen Frauenanteil und ist das vielleicht diverseste, das das Popfest je hatte. War das ein bewusstes Ziel?
Dalia Ahmed: Nein, überhaupt nicht, das hat sich einfach aus dem heraus ergeben, was wir als spannend empfunden haben. Mit ist im Gegenteil in diesem Jahr der Arbeit an dem Programm aufgefallen, wie schwer es wäre, ein wirklich gutes Line-up zusammenzustellen, das nur so klassisch weiß, männlich, cis und hetero wäre. Deshalb verstehe ich jetzt noch weniger, warum es an anderen Stellen nicht möglich ist, ein Programm zu haben, das reflektiert, wer in diesem Land Musik macht.
Andreas Spechtl: Genau: Man muss die Frage nach der Diversität anderen Leuten stellen. Denn der Mainstream ist gemacht. Weiße Bubenbands kommen einfach mehr im Radio, in den Magazinen und im Feuilleton vor. Diese Plattformen werden von einer weißen, männlichen Welt gemacht und dort muss man ansetzen. Wenn dort mehr Frauen, mehr Nicht-Cis-Personen vorkommen würden, und in der Öffentlichkeit besser repräsentiert wären, würden sie schnell viel bekannter werden. Außerdem soll so ein Festival ja die Lebensrealität einer Stadt widerspiegeln. Und die ist in Wien eben so wunderbar vielfältig. Das beim Popfest nicht abzubilden, wäre eine Lüge.
DAS PROGRAMM
Auftrittsorte
Neben Konzerten auf der Seebühne am Teich vor der Karlskirche finden Veranstaltungen im Karlsgarten, im Club U, hinter der Seebühne und in zwei Sälen der TU statt. Für den Abschluss am Sonntag in der Karlskirche haben Rojin Sharafi, die Noise, Folk und Ambient fusioniert, und die Videokünstlerin Dagmar Schürrer eine Performance zum Thema „Apokalypse und Revolution“ erarbeitet
Arrivierte Acts
Zu den bekannten Acts, die heuer beim Popfest auf der Seebühne auftreten, zählen Kerosin95 (Do 18.30 Uhr) und Anna F. mit ihrer Band Friedberg (Do 20.30 Uhr). Am Samstag folgen die Dives (19.30 Uhr)
und Clara Luzia (20.30 Uhr)
Vinylograph-Sessions
In der Künstlerhaus Factory kann man Musikerinnen wie SOIA, KeKe und Sakura bei improvisierten Sessions im Schaffensprozess beobachten, während der Vinylograph Teile der Musik direkt auf Vinyl presst. Die so entstanden Platten sind Einzelstücke und können vor Ort gekauft werden
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