Darf ich schon heizen, oder schade ich damit Österreich?
Es wird kälter, der Winter ist nicht mehr weit. Österreichs Gasspeicher sind, wie versprochen, gut gefüllt. Wie angespannt ist die Situation rund um Österreichs Energie jetzt noch? Der KURIER sprach mit der Expertin Carola Millgramm, der Leiterin der Abteilung Gas der Regulierungsbehörde E-Control.
KURIER: Frau Millgramm, es war ein kalter September. Da haben sich schon viele Menschen gefragt, ob sie die Heizung aufdrehen dürfen oder ob sie damit Österreichs Energiesicherheit gefährden. Wie sehen Sie das?
Carola Millgramm: Ich glaube, alleine schon wegen der gestiegenen Energiekosten gibt es für jeden Haushalt Anreiz genug, Energie zu sparen. Da verstehe ich, dass viele überlegen, die Heizung noch nicht aufzudrehen oder nur in einem geringen Ausmaß zu verwenden. Das ist aber keine Frage von Dürfen, wir sollten einfach generell weniger verbrauchen.
Die Gasspeicher sind inzwischen zu achtzig Prozent gefüllt, reicht das nicht?
Auf den ersten Blick ist der Speicherstand komfortabel. Bis zu den einhundert Prozent könnten wir aber noch einige Terawattstunden einspeichern. Alles, was wir jetzt nicht verbrauchen, können wir weiter speichern. Denn aus der North Stream 1 Pipeline wird in diesem Winter wohl kein Gas mehr kommen, es gibt neue Probleme mit dem Gas-Transitvertrag durch die Ukraine und Unsicherheiten, wie sich die Lage weiter entwickeln wird. Da spielen die Speicher-Entnahmen im Winter natürlich eine sehr große Rolle.
Aber was heißt das, wir haben 80 Prozent Speicherstand?
Das sind etwa 75 Terawattstunden, unser Jahresverbrauch sind bis zu 90 TWh, der Winterverbrauch sind ca. zwei Drittel. Kaum ein Land hat so große Gasspeicher wie Österreich, wir sind also in einer ganz guten Situation. Jetzt kommt es tatsächlich darauf an, wie viel Gas wir im Winter verbrauchen. Das hängt ab vom Sparwillen, von der Frage, ob der Winter mild oder kalt sein wird, wie viel Gas wir zur Stromproduktion brauchen. Durch die niedrigen Pegel haben die Wasserkraftwerke in diesem Jahr um 38 Prozent weniger Strom produziert gegenüber einem Durchschnittsjahr.
Wie spart man Gas ein?
Da gibt es viele, einfache Möglichkeiten. Die Heizung weniger stark aufdrehen, zum Beispiel 21 Grad statt 24 Grad, vor allem in den Räumen, die man nicht aktiv bewohnt werden, die Türen schließen. Also einfache Maßnahmen, die früher sicher üblich waren, als jeder Raum noch mit einem Ofen beheizt wurde. Oder Fenster und Türen abdichten, wenn dort Wärme verloren geht.
Aber wissen denn die Menschen überhaupt, wie sie ihre Heizung regeln können? Die Systeme sind ja nicht immer sehr bediener-freundlich.
Ja, damit muss man sich schon beschäftigen und sich genau ansehen, wie das geht – oder Profis kommen lassen, die das erklären können.
Setzt die Regierung die richtigen Maßnahmen mit der Strompreisbremse und der Energiespar-Kampagne, oder hätten die hohen Energiepreise für sich sprechen sollen?
Als Ökonomin verstehe ich das Argument, man soll die preislichen Anreize wirken lassen. Aber es gibt einfach Grenzen, was man wirklich einsparen kann, und die Menschen haben einen Grundbedarf für Strom und Wärme. Und das muss man fair und nicht diskriminierend ermöglichen.
Wie schlimm ist es, dass die Ostsee-Pipelines North Stream 1 und 2 durch mutmaßliche Sabotage offenbar dauerhaft ausfallen?
Aus North Stream 1 kommt ja schon seit dem 1. September kein Gas mehr, diese war früher eine der wichtigsten Routen beim Gas. Dass diese Pipeline technisch nicht mehr liefern kann, ist zweifelsfrei für Deutschland ein Problem. Für unsere Versorgung hat es aber derzeit keine Auswirkung.
Und wenn einer unserer Gasspeicher durch Sabotage oder ein Gebrechen ausfällt?
Der Ausfall eines Gasspeichers wäre natürlich problematisch.
Wie gut kann Europa das russische Gas durch Importe aus anderen Staaten ersetzen?
Da gab es sehr viele erfolgreiche Anstrengungen, etwa in Frankreich oder Italien. Norwegen kann zurzeit keine größeren Mengen liefern, Algerien schon, zudem kommt mehr Flüssiggas von überall in Europa an, was vor allem für Deutschland sehr wichtig ist. Aus Russland in die EU kommen nur mehr bis zu 10 Prozent der Gesamtimporte. Aber unterm Strich können wir das russische Gas nicht ganz durch andere Gasquellen ersetzen.
Viele Wirtschafts- und Industrie-Betriebe sagen, sie können niemals auf Erdgas verzichten. Verstehen Sie das angesichts der seit 30 Jahren avisierten Energiewende und dem Klimaschutz?
Ich denke, dass viele Industriekunden nicht auf gasförmige Brennstoffe verzichten können. Nur ist erneuerbarer Wasserstoff als Ersatz für Erdgas aus rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten zurzeit noch keine Option, die Produktion von erneuerbarem Wasserstoff ist aktuell noch zu teuer. Viele Industrieunternehmen überlegen auch, die Produktion zum Beispiel in die USA auszulagern wegen der hohen Energiekosten. Das ist keine gute Entwicklung.
Was erwarten sie beim Gaspreis, wo doch jetzt die Speicher gut gefüllt sind? Wann wird sich der Markt wieder normalisieren?
Die Speicher sind gefüllt, aber der Verbrauch von Haushalten und zur Stromproduktion wird ja im Winter stark ansteigen. Daher könnten auch die Gaspreise wieder steigen. Und im Frühjahr hängt alles davon ab, was aus Russland kommt, was von den Flüssiggas-Terminals und wie viel noch in den Speichern ist. Alle Experten, die ich kenne, gehen davon aus, dass wir die hohen Gaspreise noch zwei, drei Jahre haben werden.
Kommentare