Corona-Paradoxon: Ein Drittel weniger Krankenstände
Es klingt paradox: Wir durchleben eine Gesundheitskrise – und gleichzeitig gehen die Krankenstände in einem enormen Ausmaß zurück.
Das geht aus der Krankenstandsstatistik der Österreichischen Gesundheitskasse ÖGK (sie versichert alle Arbeiter und Angestellten) hervor, die dem KURIER vorliegt.
Absoluter Spitzenreiter bei den Rückgängen ist Wien: Während des Lockdowns im April 2020 gab es in Wien um 75 Prozent weniger Krankenstände als im April 2019. Im Mai 2020 befanden sich in der Bundeshauptstadt um 70 Prozent weniger im Krankenstand als im Mai 2019.
Im Durchschnitt aller Bundesländer verringerten sich die Krankenstände in den Corona-Monaten März bis September 2020 gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres um 30 Prozent
Am meisten klaffen die Krankenzahlen im April und Mai auseinander, aber die aktuelle Septemberstatistik zeigt, dass die Krankenstände auch jetzt noch um 17 Prozent unter dem Vorjahresseptember liegen.
Die Österreichische Gesundheitskasse führt die Rückgänge auf mehrere Faktoren zurück:
Arbeitslosigkeit „Wer kurz arbeitslos ist und an einer Alltagskrankheit leidet, meldet sich in der Regel nicht krank“, sagt ÖGK-Obmann Andreas Huss (FSG). Rechne man längere Krankenstände wie psychische Erkrankungen oder Krebs aus der Statistik heraus, sind die Arbeitnehmer durchschnittlich fünf bis sechs Tage im Krankenstand. Huss: „Dafür meldet man sich in der Arbeitslosigkeit in der Regel nicht krank.“
Homeoffice Im Homeoffice würden sich viele Arbeitnehmer wegen eines Schnupfens oder eines grippalen Infekts nicht krank melden, „weil man ohnehin zu Hause ist“, meint Huss. „Außerdem könnte der ein oder andere Arbeitnehmer aus Angst vor einem Jobverlust auf die Krankmeldung verzichten.“
Weniger Kontakte, bessere Hygiene Die Reduktion der sozialen Kontakte, das Homeoffice und die Hygienemaßnahmen zusammen würden nicht nur das Coronavirus an der Verbreitung hindern, sondern auch andere Krankheiten eindämmen. Huss: „In Australien, auf der Südhalbkugel, geht die Grippesaison gerade zu Ende. Wir können dort beobachten, dass die Infektionen um 80 Prozent zurückgegangen sind.“ Huss, schlägt daher vor, die Corona-Hygiene „in der Grippesaison in der kalten Jahreszeit beizubehalten: Maske, Händewaschen, Abstandhalten“. Auch sollte im Winter verstärktes Homeoffice praktiziert werden. Huss: „Homeoffice und Hygienemaßnahmen nach der Pandemie beizubehalten, sollte man ernsthaft überlegen und zumindest nachdrücklich empfehlen.“ Denn schließlich koste auch die herkömmliche Grippe alljährlich viele Menschenleben.
Problemzone urbaner Raum
Insbesondere in Ballungsräumen wie in Wien sei der Effekt von Hygiene und Abstand durch den massiven Rückgang von Krankenständen deutlich zu sehen. „Im Lift im Hochhaus und in der dicht gedrängten U-Bahn steckt man sich eben leichter an als im Einfamilienhaus im Lungau“, sagt der aus Salzburg stammende ÖGK-Obmann.
Verschobene Operationen Manche Krankenstände sind nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. In der kritischen Coronazeit wurden planbare Operationen abgesagt, um die Spitäler nicht zu überlasten. Es dürfte sich laut Huss um ca. 20.000 Operationen handeln, die zeitversetzt nachgeholt werden.
Angst vor Ansteckung Chronisch an Herzleiden oder Diabetes erkrankte Menschen meiden, weil sie zur Corona-Risikogruppe gehören, oftmals Arztpraxen oder Spitäler, weil sie sich vor Ansteckung mit dem Coronavirus fürchten. Manche haben das mit dem Leben bezahlt, wie die gestiegene Zahl an Herzinfarkten beweist. Huss: „Ich kann jedem nur dringend raten, die notwendigen Untersuchungen auf jeden Fall wahrzunehmen. Man kann sich ja Termine geben lassen, damit man nicht zu lange in vollen Wartezimmern sitzt.“
Aus der Krankenstandsstatistik in der Pandemie lassen sich laut Huss folgende Lehren ziehen: Es gibt negative Begleiterscheinungen wie verschobene Operationen oder dass sich Patienten nicht zum Arzt oder in Spitäler wagen. Auf der anderen Seite gibt es Glück im Unglück: Hygienemaßnahmen und die Reduktion von Sozialkontakten dämmen das Ausbreiten von Alltags-Infekten ein.
Ersparnis für Betriebe
Finanziell wirken sich weniger Krankenstände günstig für die Arbeitgeber aus. „Die Entgeltfortzahlung im Krankenstand muss der Arbeitgeber übernehmen. Nur Betriebe mit weniger als 50 Arbeitnehmern bekommen 50 Prozent des Krankenentgelts ersetzt.“
Die Kasse hat sich wenig erspart – auch nicht aufgrund seltenerer Arztbesuche: „Es sind zwar die Besuche in den Ordinationen zurückgegangen, aber die Arztkonsultationen am Telefon haben massiv zugenommen.“
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