Geplatzt nach 96 Tagen: So lange verhandelten ÖVP, SPÖ und Neos bisher
Dass es mit einer erstmaligen Dreierkoalition auf Bundesebene schwer wird, war zu erwarten. Auch, dass die Schnittmengen zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS gering ausfallen, ist keine Überraschung. Dass Parteichefin Beate Meinl-Reisinger am Freitagvormittag den Hut draufhaute, macht eine baldige Regierungsbildung noch schwieriger.
Eine Geduldsprobe für die Wählerinnen und Wähler: Bis zum Ausstieg der NEOS wurde bereits 96 Tage lang verhandelt.
Schon jetzt ist es die fünftlängste Regierungsbildung
Über die durchschnittliche Regierungsbildungszeit nach den bisherigen Wahlen der Zweiten Republik von 62,4 Tagen bis zur Angelobung ist man schon seit 1. Dezember hinweg. In der Rangliste der Verhandlungsdauer stehen die türkis-rot-pinken Gespräche mit 96 Tagen seit der Wahl am 29. September aktuell an der fünften Stelle, bereits am kommenden Dienstag wäre es Platz 4.
Dauern die Verhandlungen noch einen weiteren Monat und würde die Regierung erst ab 6. Februar ihr Amt antreten, wäre es die allerlängste Regierungsfindung der Zweiten Republik. Platz 2 gäbe es diesmal schon am 1. Februar - wenn die 124 Tage überholt sind, die es 1999 dauerte, bis letztlich die (parallel schon vorgebaute) erste schwarz-blaue Regierung unter Wolfgang Schüssel - nach langen, letztlich gescheiterten SPÖ-ÖVP-Verhandlungen - angelobt wurde. Am bisher längsten - nämlich 129 Tage - mussten die Österreicherinnen und Österreicher bisher 1962/63 warten, bis ÖVP und SPÖ - widerstrebend - zum letzten Mal vor der Phase der Alleinregierungen einig wurden.
Die geplatzten Koalitionsgespräche im Überblick
Im Folgenden eine Chronologie der geplatzten Koalitionsverhandlungen seit dem Wahltag am 29. September und dem Auftrag zur Regierungsbildung durch Bundespräsident Alexander Van der Bellen am 22. Oktober.:
29. September: Nationalratswahl: Die FPÖ wird erstmals stärkste Partei im Parlament. Sie erreicht 28,8 Prozent der Stimmen (57 Mandate), die ÖVP 26,3 (51), die SPÖ 21,1 (41), die NEOS 9,1 (18) und die Grünen 8,2 Prozent (16). Als Zweier-Koalitionen kommen nur FPÖ-ÖVP, FPÖ-SPÖ sowie - mit äußerst knapper Mehrheit - ÖVP-SPÖ in Frage.
1. Oktober: ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer spricht sich dafür aus, dass FPÖ-Obmann Herbert Kickl von Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit Sondierungen beauftragt wird.
2. Oktober: Die türkis-grüne Regierung bietet dem Bundespräsidenten den Rücktritt an, er betraut sie mit der Fortführung der Geschäfte. Einzig Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) gibt ihren Posten auf eigenen Wunsch bereits ab.
4. Oktober: Van der Bellen beginnt mit der ersten Gesprächsrunde mit den fünf Parlamentsparteien. Als erster wird Kickl in der Präsidentschaftskanzlei empfangen. Dabei teilt er dem Bundespräsidenten seinen Willen zum Regieren mit, wie er am folgenden Tag in einer Pressekonferenz berichtet.
8. Oktober: Nehammer und SPÖ-Chef Andreas Babler kommen zu einem ersten "atmosphärischen Austausch" zusammen.
9. Oktober: Van der Bellen erteilt nach der ersten Gesprächsrunde vorerst keinen Regierungsbildungsauftrag und fordert die Chefs der stimmenstärksten Parteien FPÖ, ÖVP und SPÖ auf, "zu klären, welche Zusammenarbeit vorstellbar wäre", um die "Pattsituation" zu lösen. FPÖ-Chef Kickl erklärt, dass er die Gespräche koordinieren will.
15. Oktober: Kickl und Nehammer kommen zu einem Gespräch zusammen. Nehammer bleibt dabei, dass er eine Koalition mit der FPÖ unter Kickl ausschließt.
18. Oktober: Kickl und Babler kommen zu einem Gespräch zusammen. Auch der SPÖ-Chef schließt erneut jede Zusammenarbeit mit der FPÖ aus.
21. Oktober: Zweite Gesprächsrunde beim Bundespräsidenten: Van der Bellen empfängt nacheinander Kickl, Nehammer und Babler.
22. Oktober: Van der Bellen erteilt Nehammer den Auftrag zur Regierungsbildung und ersucht ihn, umgehend Verhandlungen mit der SPÖ aufzunehmen und zu klären, ob es einen dritten Partner braucht. Nehammer nimmt den Auftrag an.
24. Oktober: Konstituierende Sitzung des Nationalrats mit der Wahl von Walter Rosenkranz (FPÖ) zum Nationalratspräsidenten.
25. Oktober: Start der Sondierungsgespräche zwischen ÖVP und SPÖ
12. November: Nach der vierten Sondierungsrunde laden ÖVP und SPÖ die NEOS ein, als dritten Partner am Gesprächstisch Platz zu nehmen.
13. November: Sondierungen zu dritt beginnen.
18. November: Nehammer, Babler und Meinl-Reisinger kündigen die Aufnahme offizieller Koalitionsverhandlungen an.
21. November: Die Koalitionsverhandlungen in sieben Hauptclustern und 33 Untergruppen starten.
26. November: Der Gehaltsabschluss der öffentlich Bediensteten sorgt für den ersten Zwist zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS. Die pinken Verhandler fordern ein klärendes Gespräch, das am folgenden Tag stattfindet.
2. Dezember: Die angespannte Budgetsituation belastet das Koalitionsklima. Die SPÖ droht mit einer Pause der Koalitionsgespräche, sollte es keinen "Kassasturz" geben.
13. Dezember: Die Untergruppen schließen ihre Arbeit ab.
16. Dezember: Von der EU-Kommission werden die vier möglichen Konsolidierungspfade vorgelegt: Innerhalb von vier oder sieben Jahren muss Österreich zwischen 18 und 24 Milliarden Euro eingespart werden.
20. Dezember: Nach Gerüchten über ein mögliches Platzen der Koalitionsverhandlungen im Dreierformat einigt man sich in neunstündigen Verhandlungen auf einen Minimalkompromiss zum Konsolidierungspfad: Die Budgetsanierung soll auf sieben Jahre angelegt werden.
3. Jänner: NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger erklärt den Ausstieg ihrer Partei aus den Koalitionsverhandlungen. Sie vermisst die Bereitschaft zu grundsätzlichen Reformen seitens ÖVP und SPÖ.
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