Johannes Voggenhuber: BP-Wahl war nur ein "Etappensieg"

Johannes Voggenhuber
Nur eine Gesamterneuerung der Partei würde den Grünen bei der kommenden Nationalratswahl helfen, sagt Johannes Voggenhuber.

Man kann es auch so sehen. Mit Alexander Van der Bellen wird erstmals ein ehemaliger Grünen-Politiker das höchste Amt der Republik Österreich bekleiden. Ein Vorteil für seine alte Partei? Johannes Voggenhuber, selbst lange Grünen-Politiker und kritischer Begleiter seiner Partei, ist da skeptisch. Er fordert im Interview mit Kurier.at die richtigen Konsequenzen aus der Bundespräsidentenwahl zu ziehen. Für ihn ist der Sieg Alexander Van der Bellens nur ein "Etappensieg in der Auseinandersetzung mit der extremen politischen Rechten in Österreich".

Kurier.at: Was bedeutet der Wahlsieg Alexander Van der Bellens für seine alte Partei, die Grünen?

Johannes Voggenhuber: Erst einmal bedeutet er für das Land eine ganze Menge. Da ist wirklich ein Kelch an uns vorübergegangen. Ich glaube, es hätte wirklich eine Erschütterung in Europa gegeben, zusammen auch noch mit der italienischen Entscheidung. Damit ist ein gutes Verhältnis zu den anderen Mitgliedstaaten gegeben – den Antieuropäern und dem Nationalismus wurde eine Absage erteilt. Das ist einmal das Allerwichtigste – und das war von Van der Bellen ja auch so angekündigt. Das war eine Richtungswahl und keine Wahl der Parteien, er war ein unabhängiger Kandidat.

Wie weit die Grünen daraus einen Gewinn ziehen können, wird sich zeigen. Es gibt sicherlich eine große Diskrepanz zwischen dem Erfolg dieses Kandidaten und der Grünen, die in den eigenen Kandidaturen seit Langem stagnieren.

Die Grünen haben Van der Bellen sowohl finanziell als auch personell unterstützt. Eva Glawischnig meinte am Sonntag, die Partei habe für den nunmehrigen Wahlerfolg "sehr viel hintan gestellt". Das hieß in der Vergangenheit auch, dass man sich auffällig zurückhaltend zeigte, was die tagespolitische Äußerungen anging, um der FPÖ keine Angriffsfläche zu bieten. Offenbar eine erfolgreiche Taktik.

Das war offenbar eine notwendige Taktik, weil man die Chancen Van der Bellens damit jedenfalls nicht erhöht hätte.

Kritiker monieren, dass die Grünen damit stark an Profil verloren haben.

Naja, die Grüne haben in den letzten zehn Jahren an Profil verloren. Ich glaube nicht, dass man dieses Dahindümpeln in Wahlen jetzt auf das heroische Zurücknehmen zur Bundespräsidentenwahl schieben kann. Es gibt eine Führung der Partei, die alles andere als überzeugend ist. Es gibt eine große Wüste der Konzepte. In vielen wichtigen politischen Bereichen haben die Grünen nichts anzubieten. Weder zur Finanzkrise, noch zur Situation Europas, noch zu Griechenland oder zur Ukraine oder zu irgendwelchen anderen entscheidenden Fragen haben die Grünen etwas beizutragen gehabt. Diese mangelnde Performance als Taktik zu interpretieren befremdet mich etwas.

Zumindest im Bundespräsidentenwahlkampf scheint das die Taktik gewesen zu sein.

Taktik hat die Politik der Grünen die letzten Jahre über bestimmt. Das ging ja so weit, dass man von der "Erwartungssteuerung" sprach. Dazu hat man alles einer möglichen Regierungsbeteiligung untergeordnet, ohne wirklich eigene, starke Positionen zu haben. Das ist – mit Ausnahme von Vorarlberg – auch in den meisten Landesregierungen der Fall. Die Grünen haben im Wesentlichen SPÖ- oder ÖVP-Programme unterschrieben. Ihnen ging’s mehr um die Regierungsbeteiligung als um die große Chance, das Land zu verändern. Dabei sind die Grünen einmal gegründet worden, um die Gesellschaft zu verändern, und nicht um auf hohen Posten mitzufahren.

Unter dieser Führung sind sie Teil eines großen Systems geworden. Das war auch eines der Probleme von Van der Bellen. Dass er – eigentlich auch durch die Grünen – als Teil des Establishments gesehen wurde.

In der Zwischenzeit ist den Grünen mit der SPÖ der vermeintlich gesetzte Koalitionspartner – sofern sich eine Mehrheit ausgehen würde – abhanden gekommen. Das klare "Nein" der SPÖ zur FPÖ ist weg. Wie können sich die Grünen hier wieder ins Spiel bringen?

Ich sag’s jetzt schon seit zehn Jahren, dass man dafür nicht gegründet wurde. Die Grünen wurden einmal die Grüne Alternative genannt. Sie haben sich gegründet angesichts des offenkundigen Auflösungsprozesses der ehemals staatstragenden Parteien SPÖ und ÖVP. Angesichts der heraufdräuenden Gefahr einer neuen politischen Rechten. Und sie müssten jetzt das Vakuum, das die Großparteien auftun, füllen können. Sie können es aber nicht. Dafür hat man sich ein Bündel von Ausreden zurechtgedacht. Das Wählerpotenzial ist angeblich begrenzt, die eigene Wählerschaft ist so kritisch und so weiter. Wenn Van der Bellen den Grünen eines gezeigt hat, dann dass es kein begrenztes Wählerpotenzial gibt. Wenn man Menschen überzeugt, wenn man Positionen und Konzepte vertritt und Lösungen vorschlägt und dafür auch kämpft, dann kann man auch eine große öffentliche Unterstützung dafür bekommen. Wer nur eine Regierungsbeteiligung als Ziel hat, landet im Nirvana.

Das Konzept einer grünen Alternative wird mit einem Bundespräsidenten Van der Bellen einigermaßen schwer zu verkaufen sein, oder?

Die Ausgangslage bei den Nationalratswahlen ist ja eine völlig andere. Die Umfragen sind bekannt. Der Sieg von Alexander Van der Bellen war damit nur ein Etappensieg in der Auseinandersetzung mit der extremen politischen Rechten in Österreich. Bis dahin müssen die Grünen ihre Lehren aus dieser Situation gezogen haben – und es wird nur eine Gesamterneuerung dieser Partei etwas ändern. Das betrifft auch die anderen Parteien. Wenn die SPÖ glaubt, sie kann so weitermachen wie bisher, die ÖVP glaubt, sie kann so weitermachen wie bisher, dann wird auch die FPÖ so weitermachen wie bisher. Und wenn sich die Grünen nicht für diese umfassende Erneuerung entscheiden, werden sie bei der Nationalratswahl nicht mehr als ihre zwölf Prozent bekommen.

Es gibt seit über einem Jahrzehnt keinen Nachdenkprozess mehr, kaum Antworten an den Bruchlinien dieser Gesellschaft. Es gibt eine höchst unpopuläre Funktionärsspitze, die niemanden überzeugt; ein Funktionärsmanagement, das an die Stelle einer großen, neuen Bewegung getreten ist.

Sie haben vorher von Etappensieg gesprochen, kann man auch von einem Pyrrhussieg sprechen, wenn sie mit Van der Bellen jetzt ein ehemals aus ihren Reihen stammenden Kandidat Bundespräsident ist? Sich als Alternative darzustellen, wird da doch schwerer.

Nein, Van der Bellen ist ja als unabhängiger Kandidat angetreten – und das hat ja auch seine Gründe. Es ist schon eine Wegmarke: Der politischen extremen Rechten ist verwehrt worden, das Staatsoberhaupt zu stellen. Ob das jetzt mit irgendwelchen taktischen Überlegungen dem Herrn Strache vielleicht sogar ins Konzept passt, ist eine Frage, die mich weiter nicht beschäftigt. Die FPÖ wird jedenfalls weiter nach der Macht im Staat greifen, mit allen Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen. Sie werden weiter versuchen, mit den Ängsten der Menschen zu spielen. Und wer dagegen antreten will – und das ist jetzt die Aufgabe der Grünen, da gibt es keine Auslagerung an Parteiunabhängige mehr, das werden die Grünen selbst leisten müssen – muss sich völlig anders dafür aufstellen.

Dieses Schreckgespenst der "blauen Republik", vor dem Van der Bellen immer wieder gewarnt hat, ist ja erst einmal vom Tisch. Nützt das der FPÖ bei künftigen Wahlen?

Natürlich. Aber wenn man genau hinschaut, kann doch von diesem „Alle gegen Einen“ überhaupt keine Rede sein. Die ÖVP war gespalten, weite Teile der SPÖ waren in dieser Wahlauseinandersetzung gespalten, Teile der Kirche sind für die FPÖ eingetreten – also die Fronten dieser Auseinandersetzung laufen quer durch die Parteien, quer durch alle Lager. Am Sonntag war der entscheidende Sieger die Zivilgesellschaft, die mit einer unglaublichen Mobilisierung gegen extreme politische Rechte aufgetreten ist und sich mobilisiert hat. Wie zuvor schon in der Flüchtlingsfrage. Wenn die Grünen das Vertrauen dieser Menschen, die sich hier politisiert haben, gewinnen können, dann haben die Grünen die Chance, ihr selbstgeschneidertes Korsett zu sprengen.


Zur Person: Johannes Voggenhuber

Der ehemalige EU-Mandatar gilt als einer der kritischsten Stimmen innerhalb seiner Partei. Der langjährige Abgeordnete der Grünen kam über eine Salzburger Bürgerinitiative in die Politik. Von 1988 bis 1991 war er Bundesgeschäftsführer der Grünen Alternative, später Nationalratsabgeordneter und Klubobmann der Grünen. 1995 wurde der 66-Jährige Abgeordneter im Europäischen Parlament, 2009 jedoch nicht mehr von den Grünen aufgestellt.

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