Analyse: Renzi, der tragische Held

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Früheres Siegerimage, rücksichtsloser Aufstieg, ehrgeiziges Programm. Matteo Renzi wollte das Land verändern, aber die Italiener folgten ihm nicht.

Was für ein Absturz. Matteo Renzi hatte seinen Vorgänger Enrico Letta ohne Bedenken zur Seite geschoben und dann den Italienern die Hoffnung gegeben, dass es Politiker jenseits von Mafia und Korruption geben kann, aber gerade ihm sind sie nicht gefolgt. Auch Hoffnungsträger sollten sich nicht überschätzen, erst recht nicht in unserem Zeitalter der Emo-Kratie, wo auch Helden nicht die Gefühle des Volkes kontrollieren können. Ohne Not hat der Ministerpräsident sein Land in eine Krise gestürzt, die auch Europa schaden kann, weil die Abhängigkeiten auf unserem kleinen Kontinent so groß geworden sind.

Früher, da gehörte es einfach zur politischen Folklore, dass in Rom Regierungen stürzen, Minister, die zumeist der Democrazia Christiana angehörten, ihre Posten tauschen und dann irgendwie weitermachen. Der 2013 verstorbene Giulio Andreotti war der Großmeister dieser Methode, an 33 Regierungen beteiligt und sieben Mal Ministerpräsident. Mit dem Vatikan war er offiziell bestens vertraut, Geheimwissen über die Mafia nahm er mit ins Grab.

Berlusconisierung

Anfang der 1980er-Jahre wurde dann Giovanni Spadolini Regierungschef, erstmals kein Christdemokrat, dann kam der Sozialist Bettino Craxi. Er starb im Jahr 2000 im tunesischen Exil, er hatte unter anderem beim Bau der Mailänder U-Bahn Geld kassiert . Stichwort Tangentopoli. Tangenti, das sind Schmiergelder, Craxi will sie nur für die Partei genommen haben, wie viele andere Politiker auch. Aber sein Lebensstil ließ sich nicht vom Gehalt eines Politikers finanzieren. Ein Parteifreund formulierte es lächelnd so: "Das Kloster ist arm, aber die Mönche sind reich."

Der Schmiergeldskandal und in der Folge Silvio Berlusconi beendeten das politische Nachkriegsitalien. Übrigens mit Hilfe Craxis, der dem Bauunternehmer beim Aufbau eines Medienimperiums geholfen hatte. Berlusconi, immer am Rande der Legalität, war vor den Staatsanwälten in die Immunität des Parlamentariers geflüchtet, das italienische Volk war der ausgebufften Berufspolitiker müde und ließ sich von dem ehemaligen Pianisten auf Kreuzfahrtschiffen gerne unterhalten. 1994 wurde er Ministerpräsident, versprach viel, hielt wenig und wurde trotzdem immer wieder gewählt. 2013 verlor er auch sein Abgeordnetenmandat – Verurteilung wegen Steuerbetrugs.

Lichtgestalt Renzi

Matteo Renzi, beliebter Bürgermeister von Florenz, war endlich ein Politiker, der sein Image für echte Reformen nützen wollte. Was haben die Italiener geklagt über die 600 Senatoren mit ihren Privilegien, die viel Geld kosten und im Zweifel nur miese Geschäfte zum eigenen Wohl oder auch zum Vorteil ihres Wahlkreises machen. Weil sie ja alle Gesetze blockieren konnten und Italien dadurch oft unregierbar machten, auch wenn gerade eine mehr oder weniger stabile Regierung da war. Renzi wollte wie viele Italiener eine Staatsreform, auch um die Regionen zu entmachten, die nur ihre Spiele spielten, um den Staat schlanker aufzustellen.

Analyse: Renzi, der tragische Held
Italian Prime Minister Matteo Renzi arrives with his wife Agnese before a media conference after a referendum on constitutional reform at Chigi palace in Rome, Italy, December 5, 2016. REUTERS/Alessandro Bianchi

Dabei hat Renzi sich überschätzt, die zerstörerische Kraft eines Beppe Grillo und all der anderen Populisten aber unterschätzt, die davon leben, dass es den Menschen noch schlechter gehen soll. Grillo will raus aus Europa, aber wohin? Ihm kann es gleichgültig sein, er ist reich, so wie Nigel Farage, Boris Johnson und die anderen Unruhestifter. Wer weiß, wo sie ihr Geld inzwischen haben. Zum Abgeordneten darf Grillo übrigens nicht gewählt werden, nach einem Autounfall wurde er wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Virginia Raggi von der Grillo Partei Cinque Stelle muss als Bürgermeisterin von Rom alles mit ihm absprechen. Das Chaos ist seither noch größer. Der Lega Nord haben die Wähler verziehen, dass dort schon zur Zeit ihres Gründers Umberto Bossi mehr Korruption herrschte als sonst wo im Land.

Die vielen Gruppen, die Renzi bekämpften, werden bald aufeinander losgehen. Aber jetzt einmal haben sie erreicht, dass Italien wieder einmal unregierbar wirkt. Das macht Populisten Spaß. Umgekehrt wissen die Italiener, dass sie von der EU profitieren. Die Mehrheit will nicht raus aus der Gemeinschaft. Ohne Not hat Renzi eine Regierungskrise angezettelt, die, im Vergleich zu früher, nicht mehr eine Sache Roms und schon gar nicht Folklore ist, sondern Europa trifft.

Die kleine Halbinsel

Die Bürger und die Politiker Europas sollten begreifen, dass wir als Kontinent und Gemeinschaft voneinander abhängig sind. Diese Abhängigkeit können wir jetzt innerhalb der demokratischen Gremien der EU austragen, wobei auch hier Reformen notwendig sind. Natürlich kann man, wie Marine Le Pen das offen will und manche bei uns inzwischen nur mehr insgeheim hoffen – weil es in Österreich nicht mehrheitsfähig ist – die EU sprengen. Die Geografie werden wir dadurch nicht ändern. Europa bleibt eine kleine Halbinsel mit einem großen russischen Nachbarn, die USA setzen mit Trump auf Protektionismus und leider auch auf Irrationalismus, China erobert mit seiner Logistik die Weltmeere und Teile Afrikas. Und Deutschland würde nach einem Zerfall der EU noch stärker, nicht nur wirtschaftlich .

Die späte Nation

Und Italien? Italien ist wie Deutschland eine verspätete Nation, 1861 von Garibaldi und den Savoyern geeint. Geeint? Das Land ist geteilt, Norden und Süden passen ökonomisch nicht zusammen, das Dreieck Genua-Mailand-Turin gehört zu den reichsten Regionen Europas, viele Versuche, durch Betriebsansiedlungen den Süden zu entwickeln, sind gescheitert. Die Lega Nord will für den Süden überhaupt nicht mehr zahlen, die Zahl der Schimpfwörter für Süditaliener ist riesig. Solidarität funktioniert also nicht einmal in einer Nation, wie schafft das Europa?

Analyse: Renzi, der tragische Held
(FILES) This file photo taken on August 22, 2016 shows (From L) Italian Prime Minister Matteo Renzi, German Chancellor Angela Merkel and French President Francois Hollande on the island of Ventotene on August 22, 2016 during a meeting Italy, France and Germany to discuss the post-Brexit EU. Italian Prime Minister Matteo Renzi said his goodbyes on December 5, 2016 after a ruinous referendum defeat that was cheered by populist leaders and sent shockwaves rippling around Europe. "My experience of government finishes here," said a downcast Renzi after accepting a defeat of almost 60-40 percent over his constitutional reform bid. / AFP PHOTO / POOL / CARLO HERMANN
Die EU sei keine Solidargemeinschaft, das haben wir in der Euro-Krise stets aus dem Norden gehört – und trotzdem für Griechenland bezahlt. Oder für die Stabilität des Euro. Jeder gegen Jeden oder ein gemeinsames Europa, das sind die Möglichkeiten. Abstimmungen erzwingen und sich dann davonmachen wie Matteo Renzi, das wird nicht funktionieren. Für Überzeugungen kämpfen schon. Gibt es welche jenseits der Rechtspopulisten? Ja, sehr leise hören wir sie schon.

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