Die Bildungskarenz war ursprünglich dafür gedacht, Berufstätigen eine sinnvolle Weiterbildung zu ermöglichen. Zumindest führte sie die Große Koalition 1998 zu diesem Zweck ein. Arbeitnehmer können sich dafür zwei bis zwölf Monate freistellen lassen, der Arbeitgeber muss zustimmen, das AMS bezahlt die Weiterbildung. Fakt ist: Das Modell boomt. 2022 wurden rund 29.000 Anträge auf Bildungskarenz genehmigt, 2019 waren es noch 20.500.
In den vergangenen fünf Jahren haben sich die Ausgaben für die Bildungskarenz mehr als verdoppelt. 2019 gab der Staat für das Weiterbildungsgeld inklusive Sozialversicherungsbeiträgen 213,6 Millionen Euro aus. 2023 waren es bereits 512,1 Millionen. Warum gibt es diesen Anstieg? „Der Hauptgrund ist wahrscheinlich die Zweckentfremdung der Förderung“, sagt Carmen Treml, Ökonomin vom wirtschaftsliberalen Thinktank Agenda Austria.
Online-Sprachkurs während der Babypause
Auch der Rechnungshof kritisierte vor rund einem Jahr, dass Dienstnehmer häufig Kurse besuchen, die für den Arbeitsmarkt kaum relevant seien.
Was für eine Zweckentfremdung spricht: Bis 2018 gingen noch etwa genauso viele Frauen wie Männer in Bildungskarenz. Mittlerweile beziehen monatlich rund 18.000 Frauen und nur 4.000 Männer das Weiterbildungsgeld. Die meisten Frauen kommen aus der Alterskohorte zwischen 25 und 39 Jahren. Die Daten zeigen laut Treml, dass sich immer mehr Frauen über die Bildungskarenz ihre Elternkarenz verlängern würden. 70 Prozent der weiblichen Weiterbildungsgeldbezieher kamen 2021 direkt aus der Elternkarenz.
Eine Bildungskarenz nach der Babypause war nicht immer erlaubt. Seit 2015 ist sie gesetzlich nicht nur möglich, Unternehmen bewerben das Modell teilweise sogar. Unter Weiterbildung fällt zum Beispiel auch ein Online-Sprachkurs auf Anfängerniveau, für den für die Dauer der Karenz mindestens 20 Wochenstunden aufgewendet werden müssen. Das AMS lehnt wegen der schwammigen Vorgaben nur zwei Prozent der Anträge auf Bildungskarenz ab. Etwa dann, wenn die Weiterbildung gar keinen Bezug zur Arbeitswelt mehr hat.
Reformieren oder abschaffen?
„Berufliche Weiterbildung und Umorientierung sind prinzipiell wichtige Maßnahmen. Und in kaum einem Land gibt es so ein flächendeckendes Angebot wie in Österreich. Es wäre sinnvoll, es auf zwei bis drei Leistungen zu beschränken“, sagt Treml. Die Bildungskarenz sei ein besonderes Sorgenkind: „In ihrer jetzigen Form müsste man die Bildungskarenz eigentlich abschaffen oder stark reformieren.“
Wie soll diese Reform aussehen? Die Ökonomin plädiert dafür, den Fokus wieder auf Niedrigqualifizierte zu legen – wie ursprünglich von der Politik intendiert. Zudem soll die Bildungskarenz künftig die Fähigkeiten des Beziehers zumindest ergänzen oder erweitern.
Auch bei den Kosten, die derzeit zu 100 Prozent das AMS trägt, müsse sich etwas ändern, meint Treml: „Einen wesentlichen Teil der Kosten, mindestens die Hälfte, sollten die Unternehmen bezahlen. Das wäre ein großer Anreiz für Betriebe, nur noch zielsichere Weiterbildungen zu genehmigen.“ Erhöhen müsse man die Förderung nicht. Derzeit erhalten Personen in Bildungskarenz 55 Prozent der Nettoersatzrate ihres durchschnittlichen Monatsgehalts, was der Höhe des Arbeitslosengeldes entspricht.
Warum eine Reform nicht in Aussicht ist
Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) kündigte im Juli 2023 nach der Rechnungshof-Kritik eine Reform an und hofft weiterhin auf eine Lösung. Doch die Gespräche mit den Grünen stocken seitdem.
Grünen-Sozialsprecher Markus Koza meint auf KURIER-Anfrage, die Bildungskarenz werde laut dem Rechnungshofbericht gut angenommen. Mehr als die Hälfte der Absolventinnen und Absolventen hätte "einige Zeit nach der Karenz" ein deutlich höheres Einkommen. "Für Verbesserungen im Sinne der Betroffenen stehen wir natürlich zur Verfügung, für eine Verschärfung beim Zugang zur Bildungskarenz allerdings nicht", betont Koza.
Kein gutes Datenmaterial
Welche Auswirkungen die Bildungskarenz derzeit auf die Beschäftigung und Weiterqualifizierung von Arbeitnehmern hat, könne man kaum beurteilen, meint wiederum Treml: „Hier wurden zu selten Daten erhoben.“ Datenlücken gibt es auch in der Frage, aus welcher Bildungsschicht Personen in Bildungskarenz gehen.
Laut AMS-Schätzungen waren es im zweiten Quartal 2023 mehr als 8.000 Akademiker oder Personen mit höherer Ausbildung – und nur 2.500 tatsächlich Niedrigqualifizierte. Gleichzeitig liegen zu rund 6.000 Personen keine Angaben vor.
Kommentare