Susanne Raab: "Bevorzugung von Migranten halte ich für nicht vernünftig"
KURIER: Die Erste Bank Österreich hat mit Gerda Holzinger-Burgstaller eine Frau in den Vorstand geholt. Zwei Jahre nach Inkrafttreten der gesetzlichen Frauenquote für Aufsichtsräte erfüllt fast jedes dritte Unternehmen die Vorgaben nicht. Wie lange wird es dauern, Selbstverständnis zu etablieren?
Susanne Raab: Ich finde es absolut großartig, wenn Frauen Führungspositionen übernehmen und für mich steht fest: Wir brauchen noch viel mehr Frauen in Top-Jobs. Das hilft den Frauen und den Unternehmen. Die Quote ist da aber kein Allheilmittel. Es braucht ein Bündel an Maßnahmen. Mir persönlich ist es wichtig, junge Frauen darin zu bestärken, diesen Weg zu gehen, Führungsverantwortung zu übernehmen und sich auch in untypische Branchen vorzuwagen. Und es gibt heute bereits viele tolle Frauen, die das vormachen, und die soll man durchaus auch als Vorbilder sehen und vor den Vorhang holen.
14,65 Millionen Euro sind für Frauen im Budget 2021 vorgesehen. Können Sie als Frauenministerin damit zufrieden sein?
Ich freue mich enorm, denn ich habe es geschafft, seit meinem Amtsantritt das Frauenbudget um 45 Prozent zu erhöhen. Frauenthemen sind, das muss man bedenken, eine Querschnittmaterie. Mit dem Budget, für das ich verantwortlich zeichne, werden wir insbesondere in den Gewaltschutz und in die Stärkung von Frauen investieren. Darüber hinaus gibt es in anderen Ressorts Budgetmittel, die nur für Frauen verwendet werden.
Welche Frauenbudgets in anderen Ressorts meinen Sie?
Frauen-Schwerpunkte wird es dank der 700 Millionen Euro schweren Arbeitsstiftung etwa im Arbeitsressort ebenso geben wie im Innenressort. Dort geht es etwa um die Sicherheit von Frauen und auch darum, mehr Frauen zu Polizistinnen auszubilden. Jedes Regierungsmitglied muss in seinem Kompetenzbereich die Gleichstellung von Mann und Frau vorantreiben, und das passiert auch.
Wie profitieren Frauen in der Praxis von der Arbeitsstiftung?
Frauen sind in schlechter bezahlten Branchen wie beispielsweise im Lebensmitteleinzelhandel tätig. Gleichzeitig gibt es leider viele Frauen, die nun arbeitslos geworden sind. Wir wollen eben diesen Frauen die Möglichkeit bieten, sich Qualifikationen anzueignen für Berufe, die gefragt und besser bezahlt sind wie beispielsweise im MINT-Bereich. Damit wollen wir auch den Gender-Pay-Gap schließen.
Was die Sicherheit betrifft, so gingen Experten im Frühjahr von mehr häuslicher Gewalt aus. Ist die Prognose eingetreten?
Bei Betretungs- und Annäherungsverboten haben wir bis Ende August leider konstant hohe Zahlen: rund 1.000 pro Monat. Die 24h-Helpline, an die sich Frauen wenden können, ist immer erreichbar und wie bereits im Frühjahr gibt es Info-Folder für Frauen in Supermärkten. Bei einem Gewaltschutzgipfel im November werden Innenminister Karl Nehammer und ich weitere Maßnahmen vorstellen.
An die Integrationsministerin gerichtet: Die Migration, angefacht von der Debatte um die Aufnahme von Minderjährigen, war eines der Wahlkampfthemen. Finanzminister und Spitzenkandidat Gernot Blümel hat sich dezidiert für Deutschklassen ausgesprochen. Was kontern Sie Kritikern, die sagen, dass das zur Stigmatisierung der Migranten und nicht zu deren Integration beiträgt?
Ich bin absolut vom Modell der Deutschförderklassen überzeugt! Erste Evaluierungen haben gezeigt, dass sich die Befürchtungen nicht bewahrheitet haben. Wir sehen anhand der Zahlen, dass viele Kinder mit Migrationshintergrund die Lese- und Schreibstandards nicht erfüllen, dass es in Wien in einer Klasse bis zu 15 verschiedene Muttersprachen gibt. Daher braucht es unbedingt Deutschklassen, denn so ist es diesen Kindern auch schneller möglich, von der Deutschklasse in den Regelunterricht einzusteigen.
Im Sommer gab es Kurse für lernschwache Schüler und damit verbundene Elternkurse, von denen man nichts mehr gehört hat.
Es war ein erster Versuch, und rund 1.500 Eltern haben daran teilgenommen. Ich prüfe derzeit Maßnahmen, wie wir diese Elternkurse verbindlicher gestalten können, denn ich möchte sie ausbauen, da ich davon überzeugt bin, dass es richtig ist, dass wir die Eltern im Bildungsprozess der Kinder mitnehmen.
Verbindlicher heißt: Wer sich nicht daran hält, der hat mit Sanktionen zu rechnen?
Wir wollen generell die verpflichtenden Maßnahmen für Integration ausbauen - ein Teil davon sind die Elternkurse. Insgesamt gibt es fünf Themenfelder: Elternkurse, Werte- und Orientierungskurse, der Kampf gegen Parallelgesellschaften, die Integration von Frauen sowie der Fokus auf das Ehrenamt. Wenn man sich bei der Freiwilligen Feuerwehr oder der Rettung engagiert, dann ist das für die Integration oft schon der halbe Weg. Jeder Asylberechtigte muss laut Gesetz einen solchen Werte- und Orientierungskurs absolvieren.
Wie lange dauert ein Werte- und Orientierungskurs?
Mein Ziel ist es, den derzeitigen Acht-Stunden-Kurs deutlich auszubauen, um noch mehr über die Gleichberechtigung von Mann und Frau und den Kampf gegen Antisemitismus zu informieren nebst den Pflichten, die wir gegenüber dem Sozialstaat oder im Bildungssystem haben.
Was, wenn der Verpflichtung nicht nachgekommen wird?
Die Verpflichtung bedeutet, dass es eine Koppelung an die Sozialhilfe gibt. Das heißt konkret: Wenn jemand den Kurs nicht besucht, dann wird ihm die Sozialhilfe gekürzt. Die Kürzung kann - je nach Bundesland und Anzahl der Verstöße - 50 Prozent und mehr betragen.
Vier von zehn Migranten leben in Wien, gleichzeitig stieg die Zahl der Arbeit suchenden Migranten. Ist es denkbar, die Zumutbarkeitsbestimmungen für Nicht-Österreicher am Arbeitsmarkt zu adaptieren?
Wir haben derzeit über 35.000 arbeitslose Asylberechtigte, und ein Großteil davon lebt in den Ballungszentren. Aus meiner Sicht ist es nur logisch, dass jene, die in Österreich noch nicht verwurzelt sind, womöglich alleine hier sind, dorthin vermittelt werden, wo es Ausbildung und Arbeit gibt.
Für wen soll die Zumutbarkeit konkret geändert werden?
Wenn ein junger Flüchtling allein in Wien lebt und es zum Beispiel gleichzeitig viele freie Lehrstellen in der Gastronomie in Tirol gibt, dann ist es nur logisch, dass der Asylberechtigte diese Stelle annehmen sollte. Dementsprechend haben wir uns im Regierungsprogramm darauf verständigt, dass wir einen neuen Kriterienkatalog der Zumutbarkeit erarbeiten.
Die Wiener Grünen haben sich für eine Migrantenquote bei Gemeindebediensteten bei gleicher Qualifikation ausgesprochen. Kann das Teil der Integration sein?
Natürlich nicht. Es ist wichtig, dass jeder in Österreich einen Job findet, von dem er leben kann. Aber eine Bevorzugung von Migranten vor Österreichern halte ich für nicht vernünftig.
Sie sprechen davon, dass Österreich keine weitere Zuwanderung erlauben soll. Bis 2030 werden wir 100.000 Pflegekräfte benötigen. Woher soll in den kommenden neun Jahren das Schlüsselpersonal kommen, wenn nicht aus dem Ausland?
Mein Zugang ist folgender: Bei einer Rekordarbeitslosigkeit, wie wir sie derzeit haben, in einer Zeit, in der die Regierung alles versucht, um Menschen wieder in Beschäftigung zu bringen, muss es unser Ziel sein, die Arbeitslosen wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
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