Neos-Chefin Meinl-Reisinger über Budget-Krise: "Die Party ist vorbei"
Seit 2018 steht Beate Meinl-Reisinger an der Spitze der Neos. Derzeit verhandelt die dreifache Mutter für die Pinken mit ÖVP und SPÖ eine Regierung auf Bundesebene.
KURIER: ÖVP-Chef Karl Nehammer sagt in einem Video: „Hast du dir schon die Frage gestellt, warum wir so lange brauchen“. Haben Sie eine Antwort?
Beate Meinl-Reisinger: Es dauert, weil halten muss, was wir uns ausmachen. Zweitens dauert es, weil wir uns in einer wirtschaftlich und budgetär schwierigen Situation befinden. Wir werden sparen müssen. Und daraus ergibt sich die Frage: Machen wir nur das Nötigste – oder schaffen wir Spielraum für Entlastungen.
War Ihnen die Dimension des Budget-Defizits vor den Koalitionsverhandlungen klar?
Mit dieser Dimension habe ich nicht gerechnet. Aber jeder, der es sehen wollte, wusste im Sommer, dass wir die Maastricht-Kriterien nicht einhalten werden.
Die Wirtschaft schwächelt, einzelne Industrien wandern ab…
Wir müssen, wie es Fiskalratschef Christoph Badelt sagt, darauf achten, dass die Lust, in Österreich arbeiten zu wollen, Unternehmer sein und hier investieren zu wollen, nicht verloren geht. „Lust“ und „Wirtschaftspolitik“ in einem Satz, das klingt komisch. Aber es geht darum, ob ich als Unternehmer eine Perspektive habe – oder eben nicht.
Haben Sie in dieser schwierigen Situation selbst Lust auf Politik?
Ja! Seit der Neos-Gründung höre ich, was alles schwierig ist. Ich bin die Einzige in dem Dreier-Gespann, die sagen kann: „Ich muss nicht.“ ÖVP und SPÖ haben eine knappe Mehrheit ohne uns, und Neos wird es auch in der Opposition erfolgreich geben. Ich habe Lust am Verhandlungstisch, weil ich die Ambition habe, dass etwas weitergeht.
Seit Tagen wird über die Budgetzahlen debattiert. Was ist heute anders als vor zwei Wochen?
Nichts. Wir müssen sparen, sonst geht nichts bei der Senkung der Lohnnebenkosten, nichts bei der Bildung, nichts bei einer Integrationsoffensive. Die Politik muss bei sich selbst zu sparen beginnen, bevor wir schauen, wo wir kürzen oder belasten.
Nehammer erwägt eine Reform der Grundsteuer. Sie treten für keine neuen Steuern ein. Wie geht das zusammen?
Das ist Gegenstand der Verhandlungen. Wenn die Menschen keine Bereitschaft spüren, dass der Staat bei sich selbst spart, wie soll es später eine Bereitschaft der Bevölkerung geben, einen Sparkurs mitzutragen? Ich habe manchmal das Gefühl, man geht in die Verhandlungen mit einer Hand am Rücken gebunden, denn die Erhöhung der Pensionen und die Gehaltserhöhungen der Beamten haben unseren Spielraum für das kommende Jahr deutlich kleiner gemacht. Ich lasse mich gerne als Sparmeisterin schelten, aber: „Die Party ist vorbei“.
Welchen Spielraum sehen Sie?
Wir haben schon im Wahlkampf 20 Milliarden Euro ausfindig gemacht. Der Fiskalrat, die EU-Kommission – alle haben die Informationen auf den Tisch gelegt, man muss sie nur umsetzen. Parallel dazu muss jeder Cent umgedreht werden. „Zero based budgeting“ ist nichts anderes als jede Förderung zu hinterfragen.
Die Neos haben als einzige damit geworben, die Pensionen reformieren zu wollen. Wird daraus etwas?
Es geht uns seit über zehn Jahren um Generationengerechtigkeit! Und ja, ich bin davon überzeugt, dass etwas passieren muss. Allein schon, weil es zu wenige Erwerbstätige geben wird, um das System in seiner jetzigen Form zu erhalten. Nahezu jeder ist überzeugt, dass im Pensionssystem etwas getan werden muss.
Die Frage ist: Sind ÖVP und SPÖ überzeugt?
Das werden wir in den nächsten Tagen klären. Es gibt tatsächlich „Kein Weiter wie bisher“. Die Sozialpartner können nicht mehr damit rechnen, dass sie automatisch eine Regierungsmehrheit im Parlament haben. Das ist neu für ÖVP und SPÖ, und ich hoffe, dass man nicht zuerst an die Wand fahren muss, um die Notwendigkeit der Reformen zu erkennen.
Kika/Leiner, KTM, die Abwanderung von Schaeffler - wird es ohne staatliche Eingriffe in den Markt gehen?
Wir werden Kika/Leiner oder KTM nicht auffangen, wenn Sie das meinen. In beiden Unternehmen muss sich das Management auch unangenehme Fragen gefallen lassen. Dass Werke wie jenes von Schaeffler geschlossen werden zeigt, dass wir hausgemachte Wettbewerbsnachteile haben. Da kann sich Österreich nicht auf Lieferketten oder Krisen ausreden. Unterm Strich ist es aber egal, was die individuellen Gründe sind: Arbeitsplatzverlust ist eine Katastrophe, und wir müssen die steigenden Arbeitslosenzahlen in den Griff bekommen.
Arbeitgeber und Arbeitnehmer wollen, dass netto mehr vom Bruttolohn bleibt. Warum ist es so schwierig, sich auf eine Senkung der Lohnnebenkosten zu einigen?
Weil die Diskussion noch immer sehr ideologisch geführt wird. Wir wissen aus Studien, dass sich niedrigere Lohnnebenkosten positiv auf das Beschäftigungsniveau auswirken. Es ist aber eine Tatsache, dass man den Spielraum, um so eine Maßnahme zu finanzieren, erst im Budget schaffen muss – und darüber verhandeln wir ja gerade.
Täuscht es, oder sind Sie betont zurückhaltend, was konkrete An- und Aussagen zu den Verhandlungen angeht?
Das täuscht nicht. Ich halte wenig davon, Gesprächspartnern außerhalb von Verhandlungen Dinge auszurichten oder zu drohen, dass ich aufstehe, wenn dies oder jenes nicht passiert. Die Menschen warten auf Ergebnisse. Zurufe von außen nach dem Motto „Warum tun die nicht weiter?“ helfen herzlich wenig. Wir verhandeln komplexe Dinge, dafür brauchen wir Zeit – und niemand will in irgendetwas hineinstolpern.
Was passiert am 12. Dezember (avisierter Termin der Verhandler für eine erste Bilanz, Anm.)?
Es ist spürbar, dass überall Dynamik in die Gespräche gekommen ist, wir brauchen aber auch eine gemeinsame Geschichte als neue Regierung. Die Sanierung des Staatshaushaltes ist ein Teil davon, ebenso wichtig ist für mich die Zukunftserzählung.
…die berühmten Leuchttürme. Wann werden sie die präsentiert?
Am Ende der Verhandlungen.
Ist Neutralität ein großes Verhandlungsthema?
Die Menschen haben längst begriffen, dass uns die Neutralität allein nicht schützt. Europa schützt uns. Wenn die USA unter Donald Trump entscheiden, dass man nicht mehr so viel in die Nato einzahlen will, muss sich Europa viel stärker um seine Sicherheit kümmern. Sicherheit gibt’s nicht zum Nulltarif.
Sie haben den Satz zitiert „Wer in der Demokratie schläft, wacht in einem autoritären Staat“ auf. Was tut die mögliche Dreier-Koalition, um die Demokratie zu schützen?
Die liberale, säkulare Gesellschaft muss sich gegen alle Angriffe, auch gegen religiösen Fundamentalismus wehren. Hier müssen wir Grenzen ziehen. Wir haben als Gesellschaft zu lange zugeschaut – etwa, wenn Jugendliche über TikTok die Scharia super finden. Das ist inakzeptabel. Wehrhafte Demokratie heißt, endlich die Naivität abzulegen. Fakt ist: Wir werden die ganze Zeit schon angegriffen. Über Bots, über soziale Medien. Wir müssen die Institutionen mit aller Kraft schützen. Es gilt einen Schutzwall um den Verfassungsgerichtshof, die Justiz, das Parlament, etc. zu errichten. Da gehört im Übrigen auch die Vielfalt und Unabhängigkeit der Medien.
Die Hälfte von Österreichs Volksschülern kann nicht genug Deutsch, um dem Unterricht zu folgen. In Wien sind die Neos für den Bildungsbereich verantwortlich - dennoch sind hier die Zahlen schlecht.
Christoph Wiederkehr (Neos-Vizebürgermeister, Anm.) hat viel auf den Weg gebracht. Die Assistenzkräfte in Kindergärten, die Sprachförderung, etc. Reicht das? Natürlich nicht. Man muss die Pädagoginnen stärken, man muss Sanktionen ermöglichen, um Eltern, die sich an keine Regeln halten, zu disziplinieren. Christoph Wiederkehr spricht Probleme schonungslos an und tut alles, was er in der Stadt erledigen kann. Was man aber sieht ist, dass wir nur weiter kommen wenn Bund und Länder miteinander arbeiten und nicht gegeneinander.
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