Ist das Volk Demokratie-müde?

Volksbegehren
Warum die jüngsten Plebiszite durchgefallen sind, Bürger-Befragungen aber boomen.

Der Fiaker, der Johannes Voggenhuber Dienstagmorgen in der Wiener Innenstadt ansprach, war ahnungslos. Und für den früheren EU-Mandatar war das symptomatisch. „Wos? Sie moch’n a Vuiksbegehren? Wo kaun i des unterschreiben?“, wollte der Kutscher vom Mit-Initiator des Demokratie-Begehrens wissen. Es war zu spät, die letzten Wahllokale hatten Montagabend geschlossen. Doch zumindest wusste Voggenhuber: Die Botschaft kam nicht an, wir drangen nicht durch.

Tatsächlich waren die Ergebnisse der beiden am Montag abgeschlossenen Volksbegehren ernüchternd. Nur 0,9 Prozent aller Wahlberechtigten (56.660 Bürger) unterzeichneten das Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien; nicht viel mehr unterstützten jenes für mehr Demokratie (1,1 Prozent bzw. 69.841).

Ist das direktdemokratische Instrument Volksbegehren tot? Wollen die Menschen ihre Polit-Meinung nicht kundtun? Der KURIER hat die Ursachen ergründet.

Wollen die Bürger in der Politik nicht mitreden?

Natürlich wollen sie, sagt Politologe Fritz Plasser im KURIER-Gespräch: „Da hat sich über die Jahre nichts geändert. Weder das Interesse und schon gar nicht das Bedürfnis mitzubestimmen haben abgenommen.“

Ist das Volk Demokratie-müde?
Ist das direkt-demokratische Instrument Volksbegehren abgenutzt? Tatsächlich ist es so, dass die Beteiligung bei Volksbegehren zuletzt deutlich geringer war als jene bei Volksbefragungen (siehe Grafik).

Das letzte Begehren, das 15 Prozent (rund 915.000) der Wahlberechtigten unterstützten, war jenes zu Temelin im Jahr 2002. Die meisten Unterschriften erhielt das Begehren gegen das Konferenzzentrum – vor mehr als 30 Jahren. Ein wesentlicher Faktor für die überschaubare Teilnahme ist wohl eine gewisse Ernüchterung – die meisten Begehren werden von Parlament und Regierung nicht umgesetzt. „Ich habe in den vergangenen Wochen viele getroffen, die gesagt haben: Warum unterschreiben? Das ändert ohnehin nichts“, sagte Johannes Voggenhuber am Dienstag.

Die Erfahrung vergangener Begehren bestätigt das: Das Bildungsvolksbegehren im Jahr 2011 wurde von 383.724 Menschen unterschrieben, blieb – wie de facto alle Begehren – im Parlament aber weitgehend ohne Konsequenzen.

Warum sind Volksbefragungen wie das zur Wehrpflicht erfolgreicher gewesen?

Die österreichweite Befragung über die Wehrpflicht und die beiden Wiener Befragungen hatten „Abstimmungscharakter“, sagt Plasser. Dadurch wurden sie attraktiver, die Beteiligung war höher. Es entstehe mehr Aufmerksamkeit, mehr Diskussion. Formalrechtlich waren die Ergebnisse zwar nicht bindend, die Politik hatte aber etwa bei der Heeresbefragung angekündigt, die Mehrheitsmeinung zu akzeptieren. Auch in Wien reagierte die Politik auf des Volkes Meinung: Nacht-U-Bahn und Kampfhunde-„Führerschein“ wurden eingeführt.

Setzten die Initiatoren der vergangenen Volksbegehren möglicherweise auf die falschen Themen?

Auf jeden Fall boten „manche ein zu breites Themenspektrum“, meint Plasser – und nennt in diesem Zusammenhang das Bildungs-, das Anti-Kirchen-Privilegien- und das Demokratiebegehren. „Die Kernbotschaft muss sofort erkennbar sein – und sollte polarisieren.“ Das würde zu Diskussionen und Aufmerksamkeit führen. Negativ hätte sich wohl ausgewirkt, dass die letzten beiden Begehren synchron abliefen. „Die Aufmerksamkeit ist dadurch begrenzt.“

Warum hatten die Begehren wenig Unter­stützung?

Erfolgreiche Volksbegehren wurden stets von großen Gruppen unterstützt – etwa von Parteien oder Gewerkschaften. Auch Medien haben mehrfach Volksbegehren mitgetragen. Das alles war weder beim Kirchen- noch beim Demokratie-Begehren der Fall.

Ist das Volk Demokratie-müde?
APA12435414-2 - 23042013 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT II - (v.l.) Wolfgang Radlegger, Friedhelm Frischenschlager, Heinrich Neisser und Johannes Voggenhuber im Rahmen einer PK mit dem Titel "Ergebnisanalyse zu Demokratie-Volksbegehren" am Dienstag, 23. April 2013, in Wien. Das Volksbegehren "MeinOE" erhielt nicht die nötige Unterstützung um im Nationalrat behandelt zu werden. APA-FOTO: ROLAND SCHLAGER
Den Demokratie-Proponenten fehlte vor allem Geld. Sie wünschen sich, dass Begehren – nach dem Vorbild der Parteienförderung – vom Staat unterstützt werden. So könnten Plakate und Öffentlichkeitsarbeit finanziert werden.

Würden Volksbegehren von mehr Leuten unterstützt, wenn sie online unterzeichnet werden könnten?

„Ganz sicher würde das eine Ausweitung des Potenzials bringen, vor allem in der jüngeren Generation“, sagt Experte Plasser. Der Kreis jener, die mit Online-Abstimmungen umgehen können, sei nicht groß, wachse aber.

Würden Volksbegehren attraktiver, wenn es ab einer gewissen Beteiligung automatisch zu einer Volksabstimmung käme?

Plasser meint, die Beteiligung werde dadurch wohl gesteigert, der Experte mahnt aber zur Vorsicht. Worum geht es? Einzelne Parteien wie die ÖVP wollen, dass Volksbegehren ab einem gewissen Quorum zu einer Volksabstimmung führen (deren Ergebnis bindend ist). Die Schwarzen peilen als Grenze 10 Prozent der Wahlberechtigten an (zirka 630.000 Personen). Der Experte meint, es sollten 10 bis 15 Prozent sein. Die zweite, heikle Frage sei, über welche Themen die Bürger entscheiden dürfen – und über welche nicht. Das müsse genau definiert werden.

So wenig Volk mobilisierte noch kein Volksbegehren wie das für „Mehr Demokratie“ und das „Gegen Kirchenprivilegien“. Der Flop ist zu allererst „hausgemacht“: Die Kirchenvolksbegehrer kämpften für ein Minderheiten-Anliegen. Wer nach den vielen Missbrauchsskandalen der Kirche Geld und Einfluss entziehen wollte, hat das zu Hunderttausenden bereits per Kirchenaustritt getan. Brauchtumskatholiken fühlten sich vom geforderten Trennungsstrich zwischen Staat und Kirche nicht angesprochen.

Das gute Dutzend an Anliegen der Demokratie-Volksbegehrer – vom stärkeren Persönlichkeitswahlrecht bis zur Abschaffung des Bundesrats – ist zwar durchwegs mehrheitsfähig. Die Initiatoren investierten aber zu viel Hirn und zu wenig Herz in ihr Begehren. Sie wollten alles und zugleich nichts.

Die Bundesregierung hat diesen Malus großzügig „verdoppelt“. Seit Monaten verspricht sie ein „Demokratiepaket“. Jeder Zeitungsleser weiß aber: Das wird ein Begräbnis erster Klasse. Die Ex-Politiker Voggenhuber, Busek, Schmidt & Co zahlen zudem den Preis dafür, dass sie und ihre Kollegen „Volksbegehren“ seit Jahrzehnten als Vehikel für Zwischenwahlkämpfe missbrauchen.

Der klammheimliche Jubel, der nach dem Volksbegehren-Flop in den ehemaligen Großparteien vernehmbar war, ist dennoch voll daneben.

Auf Twitter machte der kluge Satz einer Kollegin die Runde: „Was ist Ironie? Wenn ein Volksbegehren durch die geringe Teilnahme beweist, dass es eine Demokratiereform braucht.“

Busek & Co konnten den tiefsitzenden Wählerfrust nicht heben. Das werden bei den kommenden Wahlen andere tun – und die haben weitaus weniger intellektuelle Skrupel als die gescheiterten Volksbegehrer von gestern.

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