AI-Experte landet in Wien: Wann werden wir mit Hunden sprechen können?
Michael Bronstein ist ein israelischer Informatiker und Experte für Künstliche Intelligenz. Er ist Professor an der University of Oxford und seit kurzem wissenschaftlicher Direktor des neu gegründeten Aithyra Instituts der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien, das von der Boehringer Ingelheim Stiftung gefördert wird.
KURIER: Das Aithyra-Institut will innovative Forschungsansätze entwickeln, um Krankheiten besser zu verstehen, die Genauigkeit von Diagnosen zu verbessern und zur Entwicklung neuer Behandlungen für derzeit unheilbare Krankheiten beitragen. Wie passt da ein Informatiker als Direktor dazu?
Michael Bronstein: Die KI verändert gerade fundamental das Feld der Biowissenschaften. Da gab es dramatische Durchbrüche, und die Nobelpreise 2024 in Physik und Chemie sind auch eng verknüpft mit KI-Forschung. Das zeigt nur, dass sich hier vielversprechende Möglichkeiten für die KI-Forschung eröffnen. Dafür braucht es eben Computational Thinking, also die Fähigkeit, Daten und Probleme so zu formulieren, dass sie von einem Computer gelöst werden können.
Aber was könnte da die Künstliche Intelligenz besser als Forscher?
Egal, ob es um die Vorhersage des Wetters geht, oder wie bei uns um Proteine: Es geht um das bestmögliche Modellieren eines Problems in einer Sprache, die Computerprogramme richtig interpretieren. Es geht also um mathematische Gleichungen, die Computer lösen sollen und so werden Ergebnisse erzielt. So kann etwa ein Windkanal, wo Strömungseigenschaften untersucht werden, durch solche Berechnungen ersetzt werden. Das Problem bei der Biologie ist, dass es viele unterschiedliche Größen zu berechnen gibt, von der winzigen molekularen Ebene zu den größeren Proteinen zu Organismen und ganzen Ökosystemen. Da kann die KI unglaublich unterstützen.
Wer erstmals KI ausprobiert, ist ja fasziniert von der Geschwindigkeit und der Qualität der Antworten. Sie forschen schon sehr lange zur Künstlichen Intelligenz: Kann KI Sie noch immer überraschen?
Ja, natürlich. Bei manchen Programmen kann mein Verstand nicht nachvollziehen, wie eine Lösung zustande gekommen ist. Es ist gut möglich, dass es bei komplexen Strukturen wie Zellen keine Gleichung gibt, die ein Mensch noch verstehen kann, die aber die richtigen Ergebnisse liefert.
Wie war das für sie am Anfang ihrer KI-Karriere, was hat sie da fasziniert?
Bei mir war das sicher die Bildanalyse. Schon in der Studienzeit sagten wir uns, Lernen ist nur die zweitbeste Möglichkeit, ein Problem zu lösen. Wenn du ein gutes Modell hast, benütze besser das.
Können Sie das genauer erklären?
Für viele Anwendungen, etwa in einem selbstfahrenden Auto, muss der Computer verstehen, was zu sehen ist. Nehmen wir ein Beispiel: Wir wissen wie eine Katze aussieht. Wie eine Katze aussieht, ist aber schwierig in Form einer mathematischen Funktion darzustellen. Wir können dem Programm aber hunderttausende Fotos von Katzen geben, und das System lernt daraus, eine Katze richtig zu interpretieren. Dieser Übergang hin zu einer datengetriebenen Welt der Beschreibungsmethode macht die KI so spannend. Wesentlich sind die enormen Datenbanken, die wir seit Jahrzehnten erstellen.
Es gab vor ein paar Jahren einen Film, AlphaGo, wo es um ein KI-Programm ging, dass das hochkomplexe asiatische Spiel GO erlernt hat – und in einem ersten großen Test einen der weltbesten koreanischen Spieler brutal besiegt hat. Da gab es den inzwischen berühmten Zug 35, wo das KI-Programm einen Stein so gesetzt hat, dass es alle Zuseher schockiert hat, man ging zuerst von einem Fehler aus, es zeigte sich aber, dass es ein genialer Zug war.
Genau, der Spielzug war für uns Menschen nicht verständlich. Das ist ein gutes Beispiel, wie weit KI-Systeme bereits sind. Ein Modell, das gut generalisieren kann, erkennt also nicht nur spezifische Details aus den Trainingsdaten, sondern versteht tieferliegende Muster und Prinzipien, die auch für andere, ähnliche Daten gelten.
Die Entwicklung von KI geht weltweit so rasend schnell. Was erwarten Sie, was in fünf oder zehn Jahren alles möglich sein wird?
Da fällt mir eine Antwort nicht leicht. Heim-Anwendungen wie die Verwaltung persönlicher Finanzen, des Kalenders, der eMails oder ein Programm, das eine Reise bucht, wird es sicher schon in ein paar Jahren geben. Aber Experimente im Labor, oder auch die Arbeit von Installateuren bei verstopften Rohren werden die Programme nicht so schnell schaffen. Es wird spannend, welche großen Probleme und Fragen die KI in der Wissenschaft lösen kann.
Die KI wird bereits für die medizinische Diagnostik eingesetzt, für Röntgenbilder oder Gewebsschnitte, zum Erkennen von Krankheiten oder Fehlbildungen. Wie sehen Sie das?
Noch spannender finde ich da, dass sich der Zugang zu medizinischer Hilfe in Regionen ohne medizinische Versorgung bald für sehr viele Menschen massiv verbessern wird, und zwar durch einfache Mobiltelefone mit billigen Sensoren und mithilfe von KI
Hat Europa den Anschluss an die KI-High-Tech aus den USA, Israel oder Asien eigentlich verschlafen?
Die großen Tech-Firmen wie Google oder Meta sind in den USA. Die haben das Geld, aber auch weniger administrative und steuerliche Hürden, große Dinge zu bewegen. Ich glaube aber nicht, dass Europa völlig ins Hintertreffen geraten ist. Was die Europäer zum Beispiel sehr gut machen, ist die Wissenschaftler zu vernetzen, wie etwa beim Teilchenbeschleuniger am CERN.
Es gibt auch immer mehr prominente Persönlichkeiten wie Yuval Harari, die vor KI-Technologien warnen. Man müsse verstehen, sagt er in einem Video, dass KI kein Werkzeug ist, sondern ein „Agent“, der bestimmte Ziele selbstständig verfolgen kann. Müssen wir uns vor KI sorgen?
Grundsätzlich habe ich eine positive, optimistische Einstellung gegenüber Technologie und denke, dass technologische Entwicklungen weitgehend zu Fortschritt und Verbesserung der Gesellschaft führen. Natürlich nehme ich die Warnungen der vergangenen Jahre vor KI wahr. Aber das sind für mich sehr unwahrscheinliche Szenarien über die Auslöschung der Menschheit, vor denen hier gewarnt wird. Und ich fürchte, dass das nur von aktuelleren Problemen wie gezielten Falschnachrichten in den Sozialen Medien ablenkt. Das passiert ja schon und hat gefährliche Auswirkungen. Aber KI hat kein Bewusstsein, wenn das die Frage ist.
Also keine Angst, dass die Menschheit ausgelöscht wird durch die KI?
Nein, das wird nicht passieren. Es sei denn, wir Menschen ermöglichen das. Etwa wenn gefährliche Viren entwickelt werden, die sich selbst reproduzieren können. Davon sind wir aber sehr weit entfernt. Und solche Forschung gab es auch schon lange vor der KI.
Wie sollen wir mit KI-generierten Fake News umgehen, inzwischen kann man sich ja nicht einmal mehr bei einem Video eines Politikers sicher sein, dass das real ist, weil es eben eine Fälschung, ein deep fake, sein könnte? Wie sollen wir künftig erkennen, was echt und was gefälscht ist, was wahr und was generiert ist?
Das passiert schon weltweit und führt zu immer mehr Misstrauen, auch gegenüber Medien. Aber das ist kein technologisches Problem, sondern ein gesellschaftliches. Und Fake News ist so alt wie die Menschheit. Wir sollten nicht darauf zählen, dass Technologie solche gesellschaftlichen Probleme lösen soll oder wird. Technologie kann uns aber helfen herausfinden, ob etwas echt oder generiert ist.
Wie sehr dürfen wir denn hoffen, dass KI für unsere großen komplexen Probleme, vom Klimawandel zum Artensterben zu Kriegen und Konflikten, bessere Lösungen anbieten wird?
Vielleicht kann KI helfen, neue disruptive Technologien wie die Kernfusion nutzbar zu machen und damit unseren Energiebedarf für immer zu decken und den Kohlenstoff wieder aus der Atmosphäre zu holen.
Sie haben auch versucht, mithilfe von KI mit Tieren zu kommunizieren oder sie zumindest zu verstehen?
Tatsächlich habe ich an einem Projekt mitgearbeitet, wo es darum ging, die Kommunikation von Walen zu verstehen. Ich bin mir sicher, dass es Analogien mit der Struktur menschlicher Kommunikation gibt. Sollte es einmal möglich sein, wirklich mit Tieren kommunizieren zu können, wären die Auswirkungen natürlich riesig. Denn was die Menschheit von den Tieren unterscheidet, ist die Fähigkeit für komplexe Kommunikation. Aber eine Welt, in der manche Tierarten eine Stimme bekommen, wäre wohl eine andere und würde von Grund auf verändern, wie wir unsere Welt und das Tierreich sehen. Mag sein, dass das noch lange Science-Fiction ist.
Österreich ist ein Land von Katzen- und Hundeliebhabern, Sie denken wirklich, dass wir einmal mit Schnurrli und Bello sprechen werden können?
Ich wäre mir nicht so sicher, ob Katzen und Hunde überhaupt eine komplexe, hochentwickelte Kommunikation haben. Das wissen wir nicht, noch nicht.
Sie sind auch Vater, wie sehen Sie das Thema KI und Schule? Unsere Bildungspolitik weiß nicht wirklich, wie ein Schulalltag mit ChatGPT & Co. aussehen soll?
Klar ist, dass es die Art und Weise, wie Schule und Bildung funktionieren, fundamental ändern wird. Das haben aber zuvor schon der Taschenrechner, das Internet oder Suchmaschinen wie Google gemacht. Bisher waren die Pädagogen für Information und deren Weitergabe wesentlich, jetzt nicht mehr. Also müssen sich vor allem die Lehrer darauf einstellen, es geht nicht mehr nur um Wissensvermittlung, sondern um die Frage, woher ich Informationen bekomme, wie diese eingeordnet werden - und wie man das kritisch hinterfragt.
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