Flucht vor Kriegsdienst: Kein pauschaler Schutz für russische Flüchtlinge geplant
Rund 60.000 Ukrainer haben wegen des Krieges in ihrer Heimat in Österreich Zuflucht gefunden und befinden sich in Grundversorgung. Mit der Teilmobilisierung von Reservisten für das russische Heer flüchten seit gestern, Mittwoch, vermehrt auch Russen aus ihrem Land.
Nun stellt sich die Frage: Sollen Russen, die nicht in den Angriffskrieg ziehen wollen, ebenso unbürokratisch und rasch Schutz in Österreich bekommen wie Ukrainer, die vom Angriffskrieg betroffen sind?
Ukrainer müssen in Österreich kein Asyl beantragen, sondern erhalten pauschal den Status der "Vertriebenen". Das Aufenthaltsrecht gilt nach einer EU-Richtlinie vorerst bis März 2023.
"Eindeutig in Opposition zum Regime"
Eine "kulante Lösung" für Betroffene aus Russland stellte am Mittwochabend Außenminister Alexander Schallenberg in der "ZiB2" in Aussicht. Es habe in der Vergangenheit schon Einzelfälle gegeben, wo Studenten die Verlängerung des Aufenthaltstitels ermöglicht wurde, sagte er.
Auch von europäischer Seite glaube er nicht, dass man Russen, "die eindeutig in Opposition zum Regime stehen" und als Flüchtlinge auftreten, in ihr Land zurückschicken werde. Er selbst habe sich klar gegen einen Visa-Stopp für Russen ausgesprochen. Gerade Österreicher sollten "unterscheiden können zwischen Putin und seinen Schergen und dem russischen Volk", so Schallenberg.
Wie will Österreich aber nun mit russischen Kriegsdienstverweigerern umgehen?
Im Innenministerium verweist man auf KURIER-Anfrage auf die übliche Vorgehensweise im Asylverfahren: Es werde in jedem Einzelfall geprüft, ob Verfolgungsgründe nach der Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen. Dabei würden jeweils auch die aktuellen Informationen über die Situation im Herkunftsland berücksichtigt.
Pauschales Angebot nicht sinnvoll
Dass man für Russen eine ähnliche Lösung einrichtet wie für Ukrainer, hält man in gut informierten Regierungskreisen für nicht sinnvoll. Man müsse unterscheiden, wird erklärt: Die ukrainische Bevölkerung sei angegriffen worden, daher gibt es auch ein pauschales Schutzangebot für alle Vertriebenen aus diesem Land. Bei der russischen Bevölkerung ist derzeit nur eine Gruppe betroffen: wehrdienstfähige Männer.
Sinnvoller sei daher die genannte Einzelfallprüfung im üblichen Asylverfahren. In der Regel haben Menschen, die den Kriegsdienst verweigern, beste Chancen auf Asyl bzw. subsidiären Schutz. Die Frage ist freilich, wie rasch solche Verfahren abgewickelt werden können.
Lösung auf EU-Ebene
Die Frage nach dem Umgang mit Russen, die vor der Teilmobilmachung fliehen, beschäftigt auch die Europäische Union. "Das ist eine noch nie da gewesene Situation, wir untersuchen sie unter dem Aspekt der Sicherheit", sagte eine EU-Kommissionssprecherin am Donnerstag in Brüssel. Aber die konkrete Entscheidung in Visa-Belangen liege teilweise in den Händen der EU-Staaten, betonte ein Sprecher. Auch Österreich stellt sich auf russische Flüchtlinge ein.
Der Frage, ob es eine eigene Lösung für "fliehende" Russen geben werde, wichen die Kommissionssprecher aus. Das Grenzmanagement müsse von den EU-Mitgliedstaaten im Einklang mit den internationalen und europäischen Vorschriften stehen. Der Schengen-Kodex erlaube die Verweigerung der Einreise aus Sicherheitsgründen. Die EU-Kommission stehe aktuell mit den EU-Staaten in Kontakt, um die Lage zu beobachten. Die Kommission unterstütze sie und versuche, "den nächsten Schritt vorzubereiten".
Halbe Million Russen auf der Flucht
Die Brüsseler Behörde sprach von "möglicherweise zahlreichen" Anfragen, aktuelle Zahlen dazu habe sie keine. Seit dem Ausbruch des Kriegs, so der Kommissionssprecher, seien aber eine halbe Million Menschen aus Russland geflohen und hätten ihren Platz in Europa oder anderswo gefunden.
Die Sprecherin verwies zudem darauf, das EU-Recht biete Menschen, die um Asyl anfragen, Schutz. Aber jeder Fall werde an den Grenzen einzeln geprüft. Die EU-Staaten würden an einem gemeinsamen Ansatz arbeiten.
Nach der Teilmobilisierung berichtete etwa Finnland über eine gestiegene Anzahl an Einreisen aus Russland. Außenminister Pekka Haavisto betonte, eine eigene Lösung für die Frage russischer Touristenvisa finden zu wollen: "Finnland will kein Transitland für Schengen-Visa werden, die andere Länder erteilt haben." Ähnlich ist die Lage in den baltischen Staaten, die bereits die Einreise von Russen beschränken.
Vor rund zehn Tagen hatten sich die EU-Staaten geeinigt, die Hürden für die Vergabe von Schengen-Visa zu erhöhen. Die Visa sind nun EU-weit teurer und die Antragszeit dauert länger. Zum Schengen-Raum gehören 22 EU-Länder sowie die Schweiz und drei weitere Staaten.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen hatte am Mittwoch ein humanitäres Engagement, auch für russische Staatsbürger, angeregt. "Wir sind ein sicherer Ort für Menschen aus der Ukraine, und wir sollten es auch sein für Russinnen und Russen, die gezwungen sind, jetzt ihre Heimat zu verlassen", sagte er.
411 Asylanträge bisher
Wie sieht der Status Quo aus? Die Asylstatistik des Innenministeriums von August 2022 zeigt, dass bisher nur sehr wenige russische Staatsbürger in Österreich Asyl beantragt haben. Von Jänner bis August waren es in Summe 411 Anträge.
In Grundversorgung befinden sich 1.698 russische Staatsbürger. Der Großteil der insgesamt rund 90.000 Personen in Grundversorgung sind Ukrainer (rund 60.000).
Die Chancen auf Asyl von Antragstellern aus Russland standen zuletzt eher schlecht: Nur 29 Prozent der Entscheidungen waren in den vergangenen Monaten positiv, 52 Prozent negativ. 19 Prozent waren "sonstige Entscheidungen" (z.B. wenn jemand vor Abschluss des Verfahrens das Land wieder verlässt).
Positiv beschieden wurden heuer 160 Anträge von russischen Staatsbürgern - davon 84 Männer und 76 Frauen.
In Summe sind heuer 56.000 Asylanträge gestellt worden - das ist im Vergleich zum Vorjahreszeitraum eine Steigerung von 195 Prozent, gab das Innenministerium am Donnerstag bekannt.
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