Ein Bild mit gewisser Symbolkraft für die aktuellen Zustände und Kräfteverhältnisse innerhalb der Sozialdemokratie. Denn mit diesem 1. Mai wurde ganz offensichtlich, wer in der Partei nun wieder den Ton angibt: Die Wiener SPÖ. „Entschlossen den Wiener Weg gehen“, lautete daher sinnigerweise das Motto der diesjährigen Kundgebung.
Die Idee dahinter: Der „Wiener Weg“, mit dem bisher vor allem Ludwigs strenges Agieren in der Corona-Bekämpfung gemeint war, soll jetzt ganz allgemein für ein Gegenmodell zur türkis-grünen Bundesregierung stehen, mit dem Parteichefin Rendi-Wagner das Bundeskanzleramt erobern soll.
„Man sieht an Wien, dass es einen Unterschied macht, wer das Land regiert“, betonte sie denn auch in ihrer Rede. Allein schon in Sachen Corona-Management hätte man einfach vom Ballhausplatz zum Rathausplatz blicken müssen. „Michael Ludwig zeigt vor, wie es geht.“
Die türkis-grüne Bundesregierung bringe hingegen nichts zustande. Da sei es kein Wunder, dass tagelang die neue Frisur des Bildungsministers Thema in den Medien war.
Für Politikberater Thomas Hofer hat die Wiener Landespartei jedenfalls ihren traditionell gewichtigen Status innerhalb der SPÖ wiedergewonnen. „Er war in den vergangenen Jahren deutlich geringer: Die Bestellungen von Christian Kern, aber auch von Rendi-Wagner zum Parteichef liefen an der Wiener SPÖ vorbei.“ Entsprechend reserviert sei Ludwig zu Beginn noch ihr gegenüber aufgetreten, sagt der Experte.
Mittlerweile habe sich das Kräfteverhältnis aber wieder deutlich zugunsten der Wiener verschoben, analysiert Hofer. Das habe auch damit zu tun, dass sich Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil mit seinen ständigen Querschüssen selbst desavouiert hat und alle anderen Landesparteien (mit Ausnahme jener in Kärnten) in einem bedauerlichen Zustand seien.
Ludwig hielt jedenfalls an diesem 1. Mai auch verbal den Schirm über seine Parteichefin: „Du merkst es, ich glaub’ ich muss es nicht extra betonen: Wir, die SPÖ Wien, stehen voll hinter dir.“
Begeisterung für Ludwig, aber wachsendes Wohlwollen gegenüber Rendi-Wagner – so könnte der Befund lauten, wenn man sich unter den Genossen umhört, die sich vor der Festbühne versammelt haben. „Angesichts des Widerstands, der ihr parteiintern entgegengebracht wurde, ist es beachtlich wie sie sich etabliert hat“, sagt etwa Herbert Brückl, ehemals Funktionär bei der FSG. „Sie soll Bundeskanzlerin werden – am besten in einer Koalition mit den Grünen“, wünscht sich Michelle Binder von der Jungen Generation im 8. Bezirk.
Das könnte durchaus gelingen, ist Kabarettist Dirk Stermann überzeugt, der als Zaungast, das Geschehen am Rathausplatz verfolgte: „Die SPÖ müsste nur mutiger sein.“ Obwohl selbst kein Sozialdemokrat wisse er zu schätzen, was die SPÖ aus Wien gemacht habe.
Die SPÖ und der Krieg
Was noch auffiel: Die große Inbrunst, mit der die Festredner den Überfall Russlands auf die Ukraine verurteilten. Fast so, als wollte man ein für allemal klarmachen, auf welcher Seite des Konflikts die SPÖ steht. Denn zuletzt gab es Kritik an ihrer Position – etwa die Zurückhaltung, als es um die Einladung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij ins Parlament ging.
„Wir sind nicht neutral, wenn es darum geht, einen Angriffskrieg zu verurteilen“, betonte Ludwig – und sprach sich gegen eine „Geopolitik mit Waffengewalt“ aus.
Ein fast schon traditionelles 1.-Mai-Kuriosum fand gestern übrigens ebenfalls seine Wiederauferstehung: die Lotterie rund um die Teilnehmerzahlen. Während die SPÖ von knapp 100.000 sprach, lagen die Polizeischätzungen bei 1.500 bis 2.000.
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