Zarte Morgenröte im Arbeiterbezirk: Das Comeback des 1. Mai
Die Jugendstil-Fassade würde eher auf die Wienzeile als auf die Laxenburger Straße passen. Nur wenig erinnert daran, dass der Bau eine zentrale Rolle in der Geschichte der Sozialdemokratie spielt. Er wurde 1901 errichtet, um das erste Arbeiterheim Wiens zu beherbergen.
Bis heute hat hier die SPÖ des traditionellen Arbeiterbezirks Favoriten ihren Stützpunkt. Schautafeln im Festsaal zeichnen die wechselvolle Geschichte der Partei nach. Überall auf Bildern präsent: Parteigründer Victor Adler.
Volkmar Harwanegg, seit 1962 Parteimitglied, führt Besucher gern durch die Ausstellung. Vor der Tafel, die vom Hainfelder Gründungsparteitag 1889 erzählt, bleibt er stehen. „Konflikte wie derzeit mit einem Landeshauptmann im Osten hat es damals schon gegeben. Adler hatte die Aufgabe, sie zu lösen“, sagt der 78-jährige ehemalige Gemeinderat im abgeklärten Tonfall eines Funktionärs, der alle Höhen und Tiefen der SPÖ erlebt hat.
Am 1. Mai wird er sich (nach zwei Jahren pandemiebedingter Pause) ein weiteres Mal aufmachen, um gemeinsam mit seinen Genossen auf den Rathausplatz zur roten Maikundgebung zu marschieren. Freilich sind es heute viel weniger als in Harwaneggs Jugend. „Das war ein gigantischer Zug, mit Menschenmassen von der Laxenburger bis zur Gudrunstraße“, erinnert er sich. In den goldenen Zeiten der Kreisky-Ära hatte seine Sektion noch 1.500 Mitglieder, heute sind es 330. „Für die Jugendlichen von heute ist alles was die Sozialdemokratie erreicht hat – vom leistbaren Wohnungen bis zur Bildung für alle – eine Selbstverständlichkeit“, sagt er. „Es schmerzt, dass vielen nicht mehr bewusst ist, wie mühevoll diese Dinge erkämpft werden müssen.“
Er selbst war noch von seiner „sehr linken“ Mutter, einer OMV-Mitarbeiterin, geprägt worden, was letztlich zu seinem Engagement in Gewerkschaft und Partei führte.
In den vergangenen Jahren habe die SPÖ aber mehr und mehr den Kontakt zu den Menschen in den Grätzeln verloren und auch Fehler in der Integrationspolitik gemacht – auch wenn Harwanegg nach der Übernahme der Partei durch Michael Ludwig eine gewisse Trendwende verspürt.
In der Wiener Parteizentrale in der Löwelstraße will man über Mitgliederzahlen nicht so gern reden. Laut diversen Quellen dürfte sie zwischen 45.000 und 70.000 liegen. Sorgen macht den Genossen seit Längerem schon der hohe Altersschnitt jenseits der 60 Jahre.
„Besonders schwer, neue Mitglieder zu gewinnen, war es während der Pandemie, als es kaum möglich war, hinaus zu den Menschen zu gehen“, sagt eine Sprecherin. Zudem fielen nicht wenige der älteren Genossen einer Covid-Erkrankung zum Opfer.
Nun habe man aber wieder mehr Zulauf. „Das hat auch mit der Themenlage zu tun. Stichwort: Teuerung“, sagt die Sprecherin. Oft würden sich Menschen auch Hilfe suchend mit alltäglichen Problemen an die Partei wenden und sich dann entscheiden, sich selbst in der SPÖ zu engagieren.
Das will auch die Politik-Studentin Michelle Pico Sanchez, Frauenreferentin in der Favoritner „9er Sektion“. Die 25-Jährige fiebert aufgeregt ihrem ersten Maiaufmarsch entgegen, ist sie doch erst 2020 nach Pandemiebeginn in die SPÖ eingetreten. „Damals wurde mir klar, dass ich zur Verbesserung der Gesellschaft am meisten betragen kann, wenn ich mich einer Partei anschließe. Und die SPÖ ist die Partei, die für alle da ist und niemanden zurücklässt“, sagt sie. „Für mich ist sie wie eine zweite Familie.
Kleine Erfolge
„Es sind die kleinen Erfolge, die glücklich machen. Und sei es nur, dass es um eine neue Sitzbank geht, die sich Bezirksbewohner wünschen“, schildert Kerstin Thoma die Motivation ihres Engagements. Mit 31 ist auch sie noch ein recht junges Mitglied. Fremd fühlt sie sich trotzdem nicht. „Es ist unglaublich viel, was wir im Austausch mit den älteren Mitgliedern lernen können. Außerdem kamen zuletzt wieder viele junge Mitglieder dazu.“
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