Gurken bis Greise: Fünf EU-Mythen im Faktencheck
Mythos Nr.1: Die EU ist ein Regulierungsmonster
Sie ist ein Klassiker, die Mutter aller EU-Mythen: die berühmte Gurkenkrümmungsverordnung. Erlaubte maximale Krümmung: 10 mm auf 10 cm Länge der Gurke. Bis heute gilt die Gurkennorm als Sinnbild einer entfesselten Regulierungswut, mit der die EU bis in die intimsten Lebensbereiche der Menschen alles vorschreiben will.
Nur: Sie ist falsch.
Eingeführt wurde die Gurken-Norm auf Druck einiger Mitgliedsstaaten. Deren Händler beharrten darauf, dass sich gerade Gurken besser verpacken und transportieren lassen. Vor zehn Jahren hat die EU-Kommission die leidige Verordnung schließlich abgeschafft – gegen den Widerstand auch aus Österreich.
Auch die Tatsache, dass Österreicher ihre Marmelade im europäischen Ausland nur als „Konfitüre“ verkaufen dürfen, hat weniger mit Brüssel als mit den Briten zu tun. Die erzwangen nämlich, dass nur Brotaufstriche Marmelade genannt werden dürfen, die mindestens 20 Prozent Zitrusfruchtanteil enthalten. Wer weiß: Vielleicht darf Marmelade bald wieder in ganz Europa Marmelade heißen, wenn die Briten ihren Brexit doch noch durchziehen.
Und nein, die EU will auch keine gehäkelten Topflappen, keine Sprungtürme in Schwimmbädern, Filterkaffeemaschinen oder Pommes verbieten – wie hin und wieder kolportiert wird. Auch Befürchtungen, Brüssel wolle die Wasserversorgung privatisieren gehören ins Reich der Mythen. Auch die Durchlaufmenge von Klospülungen wird ebenso wenig reguliert wie die Größe von Duschköpfen oder das Rezept von Pizza Napoletana. Alles Gerüchte, die sich bei EU-Kritikern und an den Stammtischen hartnäckig halten.
Manchmal aber schießen die Beamten der Kommission doch über gut gemeinte Ziele hinaus: Man erinnere sich nur an den Plan, offene Ölkännchen auf Gasthaustischen zu verbieten. Nach heftigen Protesten zog die Kommission das Vorhaben zurück. Und abgeschafft wurde vor sieben Jahren auch wieder die einheitliche Regulierung von Traktorsitzen.
Seit einigen Jahren sind die EU-Beamten angewiesen, sämtliche Maßnahmen einem Bürokratie-Check zu unterziehen – und alles Überflüssige zu streichen. In den vergangenen fünf Jahren der Juncker-Kommission wurden so 100 Gesetzesvorschläge zurückgezogen und um 80 Prozent weniger Initiativen eingebracht.
Mythos Nr.2: Brüssel diktiert, Österreich muss sich fügen
Etwa 70 Prozent aller für Österreich relevanten Gesetze werden bereits in Brüssel und Straßburg beschlossen – von der Handelspolitik, dem Datenschutz, über das Ende der Roaming-Gebühren, dem Verbot von Einweg-Plastik bis hin zur Treibhausgasreduktion.
Nur: Die EU-Kommission kann Gesetze nur vorschlagen. Angenommen werden müssen diese vom EU-Parlament und von den europäischen Regierungen. Österreich entscheidet in beiden Gremien mit – mit 18 EU-Abgeordneten, mit den jeweiligen Fachministern und einem EU-Kommissar. Absolut nichts geschieht in der EU gegen den Willen der Regierungen (Ministerrat). Von „Drüberfahren“ kann also keine Rede sein. Und Politiker, die daheim mit der „Die-in-Brüssel“-Keule schwingen, verschweigen nur allzu gerne, dass sie Vieles selbst mitbestimmt haben.
Mythos Nr.3: Österreich zahlt zu viel
Österreich zählt zu den zehn EU-Staaten, die mehr ins gemeinsame EU-Budget einzahlen als sie an Mitteln zurückerhalten. Dieser Nettobeitrag beläuft sich pro Jahr auf knapp unter einer Milliarde Euro, also etwa 0,25 Prozent des österreichischen BIP. Pro Kopf gerechnet, hat im Vorjahr jeder Österreicher rund 106 Euro an Brüssel überwiesen (Spitzenreiter ist Schweden mit 139 Euro).
Wer aber nur die Euros zählt, übersieht das Wesentliche: Kaum eine andere Volkswirtschaft profitiert so sehr vom EU-Binnenmarkt wie Österreich. 70 Prozent unserer Exporte gehen in andere EU-Mitgliedsstaaten, durch den Wegfall von Zöllen kommt es zu gewaltigen Einsparungen. Seit Österreichs EU-Beitritt vor 24 Jahren wurden jährlich rund 18.500 Jobs neu geschaffen.
Mythos Nr. 4: Die EU ist eine Geld verschlingende Bürokratenhochburg
An den Stammtischen wird gerne über die Brüsseler „Eurokraten“ gewettert, die angeblich in Saus und Braus leben. Zum Vergleich: Knapp 1,9 Millionen Wiener werden von 65.000 Bediensteten der Stadt Wien betreut. Für die rund 500 Millionen EU-Bürger arbeiten 32.000 Menschen in der Brüsseler Kommission, dem Herzstück der Europäischen Union. Nimmt man alle europäischen Institutionen zusammen, also Rat, Parlament und EuGH, kommt man insgesamt auf rund 55.000 Mitarbeiter.
Angesichts der schieren Größe der EU mutet diese Zahl erstaunlich klein an. Auch die Kosten halten sich in Grenzen: Sechs Prozent des jährlichen EU-Haushaltes fließen in die EU-Verwaltung – im Vorjahr waren das 9,6 Milliarden Euro. Die Hälfte davon entfällt auf Löhne und Gehälter.
Mythos Nr.5: „Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa“
Nur langsam beginnt das Klischee zu verblassen: Wen die Partei nach Brüssel schickt, der muss irgendwie ins politische Ausgedinge, in sichere Entfernung, nach Brüssel „verräumt“ werden. Als ob die Hauptstadt der EU eine Versammlung von Eurokraten, Lobbyisten, Polit-Senioren und Abschiebeposten wäre.
Wahr ist vielmehr: Die Zeiten, in denen Ex-Minister und unliebsam gewordene Politfunktionäre nach Brüssel abgeschoben wurden, sind längst vorbei. Denn heute geht es um politische Einflussnahme. Wer in Brüssel arbeitet, sei es in der Kommission, im Parlament oder in einer der vielen Interessensvertretungen, ist Teil des politischen Großlabors EU.
Regierungen wählen einen Kommissar, der im Zentrum des Brüssel-Geschehens für sie mitreden muss. Und auch die Parlamentarier haben heute mehr Macht als früher. Seit dem Vertrag von Lissabon 2009 können sie Gesetzesvorhaben entscheidend verändern und blockieren. Ohne ihr Grünes Licht gibt es etwa kein gemeinsames EU-Budget.
Berufliche Neustarter wiederum, die planen, in Politik oder höhere Verwaltung einzusteigen, kommen an einem mehrmonatigem Praktikum in Brüssel nicht mehr vorbei. Zu jeder Zeit befinden sich etwa 5.000 junge Praktikanten aus ganz Europa in der Stadt. Und dort wartet die große Überraschung: Das als grau, zubetoniert und bürokratisch verschrieene Brüssel ist abseits seiner Beton- und Glasbürokästen viel cooler, bunter und lebendiger als sich Neuankommende je gedacht hätten.
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