Zwischen May und Corbyn flogen die Fetzen

Zwischen May und Corbyn flogen die Fetzen
Neun Tage vor dem drohenden No-Deal-Brexit streiten sich Premierministerin und Oppositionsführer über die Armut im Land.

Die Stimmung im Saal kocht über, von allen Seiten brüllen Abgeordnete wild durcheinander. Durch zwei Schwertlängen Abstand getrennt sitzen sich die britische Premierministerin Theresa May und Labour-Chef Jeremy Corbyn mit tiefer Abscheu in den Augen gegenüber. „Oooorder!“, die Stimme des Speakers fährt wie ein Schwert durch das Stimmengewirr, es wird still.

„Solange diese Regierung so weitermacht, bleibt sie das, was sie ist: Ein totaler Misserfolg in den Augen der Menschen dieses Landes!“, ätzt Corbyn. „Unter einer Labour-Regierung wären die Zustände viel schlimmer! Sie würden Milliarden ausgeben und die Steuern erhöhen!“, schlägt May zurück.

Neun Tage vor dem drohenden No-Deal-Brexit streiten sich Premierministerin und Oppositionsführer über die Armut im Land – und das, nachdem May nach Jahren des Ignorierens einen Schritt auf Corbyn zugegangen ist, um mit ihm die weiteren Schritte zu besprechen. Das hat sie in der Nacht auf Mittwoch ihren Staatssekretär für Wales, Nigel Adams gekostet. Und diesen ruft der Speaker auf. Gespanntes Johlen aufseiten der erzkonservativen Tories. Adams hatte Corbyn als Marxisten bezeichnet , „der kein einziges Mal die britischen Interessen an erste Stelle gesetzt hat“. Dass May mit ihm reden werde, habe ihn so erzürnt, dass er zurücktrat.

Es ist still, als er spricht: „Darf ich meine ehrenwerte Freundin, die Premierministerin, drängend fragen, wann die Bahnhofsstation in Selby endlich einen barrierefreien Zugang erhält?“, fragt er.

Lautes Gelächter im Saal, Adams entschuldigt sich ironisch dafür, die Abgeordneten enttäuschen zu müssen. Das britische Unterhaus erweckte in der parlamentarischen Fragestunde an May nicht den Eindruck, als ob die Zeit drängen werde. Auch wenn es hin und wieder Fragen von Abgeordneten gab, die sich durchaus ernsthaft mit der Causa auseinandersetzen wollten, kamen von May gewohnte Worte zur Wichtigkeit eines geregelten, raschen Austritts. Und viele skeptische Tories, die so gar nicht darüber erfreut sind, dass sich ihre Premierministerin nun mit Corbyn trifft.

Ex-Brexit-Minister David Jones fragte sie etwa, ob sie nach wie vor denke, dass Corbyn ungeeignet fürs Regieren sei. „Labour wäre die falsche Wahl. Zahlreiche Vorkommnisse bestätigen das“, antwortete May und redete sich abermals in Rage. Und doch würden er und sie in vielen Punkten – den Brexit betreffend – übereinstimmen: „Wir beide wollen einen Austritt mit Abkommen sicherstellen, wir wollen beide Arbeitsplätze schützen, wir wollen beide die Personenfreizügigkeit beenden, wir beide erkennen die Bedeutung des Austrittsabkommens an“, sagte sie.

Nach einem ersten Treffen Mays mit Corbyn am Nachmittag sagte der Oppositionschef dann nur knapp, das Treffen sei „sehr gut“ verlaufen. Er rechne mit weiteren Gesprächen.

Ergebnis des heutigen Tages im britischen Unterhaus: Die Abstimmungen über alternative Brexit-Pläne wird nicht fortgesetzt. Ein Antrag, die Abstimmungen am kommenden Montag fortzusetzen, hat keine Mehrheit gefunden. Da Befürworter und Gegner je 310 Stimmen erhielten, entschied Parlamentspräsident John Bercow die Frage mit seinem Votum. Mehr dazu hier

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