Brexit-Krise: Soldaten schossen in Skandal-Video auf Corbyn-Bild
In das bisher chaotische Brexit-Prozedere ist am Mittwoch wieder Bewegung gekommen. Premierministerin Theresa May suchte erstmals mit Labour-Chef Jeremy Corbyn nach einer Art Notlösung für den Ausstieg aus der EU, um beim nächsten Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs in einer Woche doch noch eine weitere Verlängerung des Austrittsdatums zu erhalten.
Gleichzeitig betonte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im Europaparlament in Brüssel, es werde keine Verlängerung ohne die Zustimmung des britischen Parlaments zum Ausstiegsvertrag geben. May selbst wurde vom "Guardian" mit der Erklärung zitiert, sie verweigere einen Ausschluss Großbritanniens an den kommenden EU-Wahlen.
Die britische Regierungschefin hatte zuletzt wegen des erbitterten Widerstands im Parlament gegen den EU-Ausstiegsvertrag ihre bisherige Strategie über Bord geworfen und den Schulterschluss mit Labour-Chef Jeremy Corbyn gesucht. "Es gibt tatsächlich eine Reihe von Gemeinsamkeiten beim Thema Brexit zwischen uns", sagte May am Mittwoch vor dem Parlament in London. Corbyn betonte, dass jegliches Ergebnis juristisch verbindlich sein müsse. Am Nachmittag kamen beide zu einem ersten Gespräch zusammen. Verfechter eines harten Brexits bei den konservativen Tories wittern wegen der Gespräche mit dem politischen Erzrivalen Verrat. Es kam zu Rücktrittsaufforderungen an May. Aber auch bei Labour rumort es. Einige Labour-Abgeordnete warnten Corbyn vor einer Falle.
May will die EU-27 um eine weitere, "kurze" Verschiebung des nun in neun Tagen drohenden Austritts ohne Abkommen bitten. Spätestens bis zum EU-Gipfel am Mittwoch nächster Woche müsste der Antrag in Brüssel eintreffen. In Berlin sagte Regierungssprecher Steffen Seibert, für eine weitere Verschiebung des Austrittsdatums müsse ein konkreter Antrag vorliegen. "Soweit sind wir noch nicht." Der irische Ministerpräsident Leo Varadkar erklärte, nach seiner Einschätzung dürften sich die anderen EU-Ländern für einen Aufschub aussprechen. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sieht überhaupt keinen Grund für eine Fristerstreckung. Das Chaos in Großbritannien habe sich nicht verändert. Eine Fristerstreckung wäre daher pure Spekulation.
In Großbritannien erklärte der konservative Abgeordnete Nigel Adams aus Protest gegen Mays Entscheidung, Gespräche mit Corbyn zu führen, seinen Rücktritt als Staatssekretär für Wales. Offenbar hielten es May und ihr Kabinett für besser, einen Deal mit "einem Marxisten auszuhecken, der kein einziges Mal in seinem politischen Leben die britischen Interessen an erste Stelle gesetzt hat", als kein Abkommen zu schließen, sagte Adams. Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon plädierte für ein zweites Referendum über den Verbleib in der EU.
Mays Ankündigung, doch mit Corbyn zu verhandeln, bedeutet eine dramatische Kehrtwende. Bisher hatte sie Zugeständnisse an die Opposition abgelehnt. Denn diese will eine weichere Form des Brexits. Corbyns Labour-Partei fordert unter anderem, Großbritannien solle in einer Zollunion mit der EU bleiben und eine enge Anbindung an den Binnenmarkt suchen.
May betonte vor dem Treffen mit Corbyn aber die Gemeinsamkeiten. "Wir beide wollen einen Austritt mit Abkommen sicherstellen, wir wollen beide Arbeitsplätze schützen, wir wollen beide die Personenfreizügigkeit beenden, wir beide erkennen die Bedeutung des Austrittsabkommens an", sagte die Regierungschefin im Parlament.
Großbritannien hätte nach dem ursprünglichen Plan die EU am 29. März verlassen müssen. Dann gab es wegen der absoluten Uneinigkeit im britischen Unterhaus über den May-Deal mit der EU eine Verlängerung . Dabei wurde am EU-Gipfel ein Zwei-Stufen-Modell vorgesehen. Ohne Einigung des britischen Parlaments auf einen Vertrag müsste die Insel am 12. April die EU verlassen. Sollte es doch zu einer Zustimmung kommen, wurde die Frist bis 22. Mai festgelegt. Bisher hat das Unterhaus den May-Deal drei Mal durchfallen lassen. Aber auch zahlreiche Alternativvarianten stießen auf Ablehnung. Insgesamt urteilten die Parlamentarier bei zwölf Vorschlägen jeweils mit Nein. Lediglich die Möglichkeit eines No Deals, also eines ungeordneten Austritts ohne Vertrag, wurde angenommen. Trotzdem könnte es auch nach vielen Kompromiss-Versuchen zu genau diesem von allen Seiten befürchteten harten Brexit kommen.
Indes sorgte ein Video von britischen Soldaten in Afghanistan, die ein Porträt von Labour-Chef Jeremy Corbyn als Zielscheibe für Schießübungen benutzen, sorgt in Großbritannien für Empörung. Das britische Verteidigungsministerium leitete nach eigenen Angaben vom Mittwoch Ermittlungen ein. Ein derartiges Verhalten der Soldaten könne nicht hingenommen werden, sagte ein Ministeriumssprecher in London.
Das in Online-Netzwerken kursierende kurze Video zeigt vier uniformierte Soldaten mit dunkelroten Baretten, wie sie mit ihren Handfeuerwaffen auf rund zehn Meter entfernte Ziele schießen - darunter auch auf ein Bild des britischen Oppositionsführers. Nach Angaben der britischen Nachrichtenagentur PA stammen die Bilder aus Kabul; bei den Soldaten handelt es sich demnach um Mitglieder eines Fallschirmjäger-Bataillons.
Nach Informationen des Senders Sky-News stammt die Aufnahme Corbyns von einem Übungszentrum für den Personenschutz. Ein Labour-Sprecher bezeichnete das Verhalten der Soldaten als "beunruhigend und unannehmbar". Seine Partei habe volles Vertrauen, dass das Verteidigungsministerium den Vorfall untersuchen und angemessen reagieren werde, sagte er.
Der 69-jährige Corbyn stammt vom linken Flügel von Labour. Seit 2015 steht der überzeugte Pazifist an der Spitze der größten Oppositionspartei in Großbritannien. Für die britischen Rechten ist Corbyn ein rotes Tuch, immer wieder nennen sie ihn einen "Marxisten" und verstehen dies als Beleidigung.
Brexit-Entwicklungen am 3.4.2019
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Nicola Sturgeon, die schottische Ministerpräsidentin und SNP-Chefin, hat auf Twitter von einem Treffen mit Corbyn kurz vor seinem mit May berichtet. Sie beschreibt es als sehr positiv und dass sie "überrascht und sehr enttäuscht wäre ", würde sich Labour für so einen schlechten Deal verkaufen würde.
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Mit einem Hitler-Vergleich hat der Abgeordnete der rechten, EU-feindlichen Ukip-Partei, Gerard Batten, im EU-Parlament für Empörung gesorgt. An die Adresse von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier gerichtet sagte Batten am Mittwoch im Parlament in Brüssel: "Sie haben geschafft, was Philipp von Spanien, Napoleon, Kaiser Wilhelm und Hitler nicht geschafft haben: Sie haben Großbritannien in die Knie gezwungen, ohne einen einzigen Schuss abzufeuern." Die Vize-Präsidentin des EU-Parlaments, Mairead McGuinness, kündigte an, den Vorfall dem Präsidenten Antonio Tajani zu melden. (APA/red)
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Um 18 Uhr britischer Zeit (19 Uhr bei uns) hat Corbyn das Schattenkabinett einberufen, um Labour über das Gespräch zu informieren. Ob er und May vorher vor die Presse treten, wird sich weisen.
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Die britische Premierministerin Theresa May schließt auch laut "The Guardian" die Teilnahme ihres Landes an den EU-Wahlen nicht prinzipiell aus. "May lehnt es ab, die Teilnahme von Großbritannien an den EU-Wahlen auszuschließen, wenn die Europäische Union eine längere Verschiebung (des Brexit, Anm.) verlangt", berichtete die Zeitung. Das unterstreicht die ausweichende Antwort Mays vorhin im Parlament.
Unterdessen soll das Treffen von Corbyn und May seit 15:30 laufen. Corbyn soll eine Abordnung seiner Parlamentarier mitgebracht haben.
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EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hält weiterhin einen EU-Austritt Großbritanniensohne Abkommen für wahrscheinlich. "Der No Deal ist ein Szenario, das im Moment immer wahrscheinlicher erscheint", sagte Juncker am Mittwoch im EU-Parlament in Brüssel. Über den Wunsch der britischen Premierministerin Theresa May nach einem weiteren Brexit-Aufschub müsse der Rat der EU-Staats- und Regierungschefs entscheiden, sagte Juncker. Sonst sei keine weitere Verlängerung über den 12. April hinaus möglich. Ansonsten laufe die EU Gefahr, dass die Europawahl und ihr eigenes Funktionieren gefährdet werde.
Juncker betonte, die EU sei offen für Verhandlungen über eine Zollunion oder ein Freihandelsabkommen mit Großbritannien. Dies sei aber erst möglich, sobald das Austrittsabkommen unterzeichnet sei, "die Tinte muss nicht einmal trocken sein". Die EU werde sich darauf vorbereiten, etwa im Flugverkehr und auf den Finanzmärkten, sagte Juncker. Die Notfallmaßnahmen würden die EU bis Jahresende schützen, aber Turbulenzen wären dann kaum zu vermeiden. Großbritannien wäre stärker betroffen, da es bei einem "No Deal" keinen Übergangszeitraum gäbe. Vorrangig sei der Schutz der Bürgerrechte, die Erfüllung der britischen Finanzverpflichtungen und eine Lösung für die irische Insel.
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Van der Bellen für neues Referendum
Österreichs Bundespräsident Alexeander van der Bellen hat sich in der Zwischenzeit für ein zweites Referendum ausgesprochen. Er schlug vor, dass nachdem das britische Parlament den Brexit-Deal von May schon "zum x-ten Mal" abgelehnt hatte, man das Volk fragen sollte. Es sollte nur zwei Optionen geben, wobei eine dann naturgemäß eine Mehrheit hätte: entweder Hard Brexit ohne Vertrag oder remain, also Verbleib in der EU.
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Ein zweites Referendum?
Die Vorbereitungen für ein zweites Referendum über den EU-Austritt Großbritanniens würde nach Angaben von Brexit-Minister Stephen Barclay zwölf Monate in Anspruch nehmen. May will die EU aber nur um eine kurze weitere Verlängerung der Brexit-Frist bitten. Ein zweites Referendum dürfte für sie nach wie vor keine Option sein.
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Die "Fragestunde" (die tatsächlich eine Stunde dauerte aber eigentlich immer nur für 30 Minuten anberaumt ist) ist mittlerweile übrigens vorbei. Es ging natürlich auch um einige innenpolitische Themen. Wir informieren Sie an dieser Stelle fortan über die aktuellen Brexit-Entwicklungen des Tages.
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Auf die Frage eines konservativen Abgeordneten, ob May eine Teilnahme an den Europawahlen am 22. Mai ausschließen könne, hatte May heute gesagt sie wolle vor diesem Tag austreten. Konkret bejaht hat sie die Frage aber nicht.
Zuvor hatten verschiedene Abgeordnete kritisiert, dass May ihr Gesprächsangebot an Corbyn lediglich taktisch ausgesprochen hätte.
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Die britische Premierministerin Theresa May sieht eine Reihe von Übereinstimmungen mit Oppositionsführer Jeremy Corbyn in Sachen EU-Austritt. May bestätigte Mittwoch im britischen Parlament, dass die Beratungen mit dem Chef der Labour-Partei über einen Ausweg aus der Brexit-Sackgasse noch am Mittwoch beginnen sollen. "Wir beide wollen einen Austritt mit Abkommen sicherstellen, wir wollen beide Arbeitsplätze schützen, wir wollen beide die Personenfreizügigkeit beenden, wir beide erkennen die Bedeutung des Austrittsabkommens an", sagte May.
Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon plädiert unterdessen für ein zweites Referendum über den Verbleib in der EU. Sie tritt außerdem für eine lange Aufschiebung des Austrittsdatums ein. Ferner saget sie, es bestehe die Gefahr, dass ein Kompromiss zwischen der britischen Regierungschefin Theresa May und Labour-Chef Jeremy Corbyn nur Stückwerk werde und nicht die beste Lösung für bringe. Corbyn sagt laut der Zeitung "Evening Standard", er sei bereit zu "ernsthaften Beratungen" mit May. Er werde darauf bestehen, dass eine mögliche Vereinbarung mit ihr in ein Gesetz gegossen werde.
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Schüsse auf Corbyn-Bild im Militär
Rund um den Brexit ist eine Affäre im britischen Militär aufgetaucht. Britische Soldaten haben offenbar vor wenigen Tagen in Afghanistan bei einer Schießübung auf ein Bild von Oppositionsführer Jeremy Corbyn geschossen. Das Verteidigungsministerium prüft den Vorfall laut einem Bericht von Sky News.
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Herzlich Willkommen zum Liveticker. Die Fragestunde läuft bereits.
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