Will sie mit Gewalt und Blutvergießen eine religiöse Terrorherrschaft errichten, oder sucht sie tatsächlich den Kontakt mit dem Westen und den politischen Kompromiss. Das ist die wohl entscheidende Frage, die sich aber im aktuellen Chaos in Afghanistan nur schwer beantworten lässt. Die Taliban hätten sich aufgespalten, erläutert der US-Afghanistan Experte und Pentagon-Berater, Carter Malkasian: Eine Gruppe kämpfe auf dem Schlachtfeld in Afghanistan, die andere plane die langfristige Strategie in Doha.
Führer an Covid verstorben?
In Doha saß, zumindest bis zum Vorjahr der Mann, der seit mehr als einem Jahrzehnt als die politische und religiöse Autorität der Gruppe gilt: Haibatullah Achundsada. Der ehemalige Prediger aus Pakistan gilt als radikaler Anhänger eines Gottesstaates, der über Jahre im Verborgenen gelebt hat und jede Öffentlichkeit meidet. Als die Regierung von Ex-Präsident Donald Trump im Vorjahr direkte Gespräche mit den Taliban in Doha aufnahm, soll er allerdings dabei gewesen sein.
Mitten in diese Verhandlungen platzte die Nachricht, dass ein Großteil der Taliban-Delegation an Covid erkrankt sei, darunter auch Achundsada. Bald tauchten Berichte über Achundsadas Tod auch in westlichen Medien auf. Die Taliban dementierten, aber der Führer war von da an verschwunden.
Der neue Mann
An seine Stelle trat - zumindest auf dem diplomatischen Parkett - der weit jüngere Abdul Ghani Baradar. Er gilt als erfolgreicher militärischer und auch politischer Stratege, hatte schon in 1990ern beim Sieg der Taliban entscheidend mitgemischt. In Doha unterschrieb er im Vorjahr auch das Abkommen mit der Trump-Regierung, das den Abzug der US-Truppen erstmals für 2021 fixierte. Auch wenn das Abkommen nie wirklich umgesetzt wurde, ein entscheidender politischer Triumph für die Taliban.
Auch China sucht den Kontakt
Dass Baradar immer mehr zur politischen Zentralfigur der Taliban wird, zeigt auch das Interesse anderer ausländischer Großmächte an ihm. So führte er erst vor wenigen Wochen eine Delegation der Taliban nach Peking an. Die chinesische Führung, die ja Afghanistan als Teil ihres Seidenstraßen-Projekts sieht, sprach von einem "vertrauenswürdigen Freund".
Katar oder Kabul
Zumindest einige Vertreter der Taliban sind in der katarischen Hauptstadt geblieben, haben dort in den vergangenen Tagen mit US-Militärs über praktische Fragen wie die Sicherung der Evakuierung verhandelt. Nicht klar ist, ob Baradar noch in Doha sitzt, oder bereits den Heimweg nach Afghanistan angetreten hat. Inzwischen wird der der 53-Jährige auch schon als neuer Präsident Afghanistans gehandelt.
Noch aber ist nicht geklärt, ob er sich tatsächlich durchsetzt, vor allem gegen jenen Teil der Taliban, die in den vergangenen Monaten den Siegeszug durch Afghanistan organisiert und angeführt haben. Zu ihnen gehört die wohl jüngsten Männer in der Taliban-Führungsriege, Mohammad Yakub, Sohn des legendären Taliban-Gründer Mullah Omar. Er soll mit seinen Kämpfern vor drei Tagen in der Hauptstadt eingezogen sein. Auch er könnte im jetzt beginnenden Wettkampf um die Führung mit dabei sein.
Zur Zeit jedenfalls kommen eher versöhnliche Töne aus der Taliban-Führung. So hat man den Mitgliedern der jetzt gestürzten Regierung und allen Behörden eine Generalamnestie zugesagt. Letztere sollten umgehend wieder in ihre Ämter zurückkehren und die Arbeit aufnehmen. Ob sich auch die Kämpfer auf den Straßen an diese Vorgaben halten, bleibt abzuwarten. Es gibt Berichte über Plünderungen.
Auch sollen Taliban in Kabul mit Schwarzen Listen unterwegs sein, um politische Gegner aufzuspüren und auszuschalten. An eine Spaltung der Bewegung aber will auch Experte Malkasian nicht glauben: "Die Taliban mögen einige Spaltungen und ideologische Brüche haben, aber grundsätzlich operieren sie als eine Bewegung."
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