Zu Besuch in der Känguru-Stadt des Orbán-Kontrahenten
"Hód-mesö-waschar-hej" – ein verschlafenes, südungarisches Städtchen mit einem unaussprechlichen Namen. Viel einfacher zu merken ist die Übersetzung: "Biberfeld-Marktplatz", benannt nach den beiden Ortsteilen, aus denen sich die Stadt zusammensetzt. Biber findet man hier jedoch keine mehr. Dafür Kängurus.
Im Garten der Pánzio Kenguru hüpft ein Wallaby herum und sorgt für Entzücken bei den Gästen. Die Pension ist eine der wenigen, die um diese Zeit offen hat. "Im Moment ist es ruhig, im Sommer aber sind wir meist ausgebucht – mit Gästen aus Rumänien, Serbien und Ungarn, die Szeged oder die benachbarten Nationalparks besuchen", erzählt die 18-jährige Zsuzsi an der Rezeption.
Hódmezövásárhely, die viertgrößte Stadt in Südungarn, hat etwa so viele Einwohner wie Wiener Neustadt; das Stadtbild gleicht jedoch dem eines südburgenländischen Dorfes: ein Hauptplatz in der Mitte, eine Fußgängerzone mit ein paar alten Bäckereien, wo der Kaffee halb so viel kostet wie in Budapest; rundherum weitläufige, zum Teil lieblos erhaltene Wohnhäuser mit Bänken vor der Fassade, von wo aus die Alteingesessenen auf die vorbeifahrenden Autos blicken.
Das Rathaus am Kossuth-Platz – in Ungarn gibt es wohl kaum eine Stadt, die den Nationalhelden nicht mit einem nach ihm benannten Platz huldigt – erscheint fast etwas zu pompös für das restliche Stadtbild und ist ein Relikt aus der Habsburgermonarchie. Hier residiert Péter Márki-Zay, der Bürgermeister. Wenn er nicht gerade auf Parlamentswahlkampf in Budapest, Brüssel und London ist.
"Einer von uns"
2018 erlangte das unscheinbare Städtchen politische Bekanntheit: Hódmezövásárhely galt seit Ausruf der parlamentarischen Demokratie in Ungarn 1989 als Fidesz-Hochburg. Vor fünf Jahren holte Márki-Zay, der als einziger Kandidat der Opposition aufgestellt wurde, überraschenderweise das Bürgermeisteramt. In zwei Wochen will er das auch auf nationaler Ebene schaffen.
Der 49-Jährige ist hier geboren und großgeworden. Fünf Jahre arbeitete er in Kanada und den USA, dann kehrte er mit seiner Frau und den sieben Kindern zurück. Dass er eben nicht, wie viele andere junge ausgewanderte Ungarn, im Ausland blieb, wo er besser verdiente, kam in seiner Heimatstadt gut an. "Er ist einer von uns", erzählt Judit, eine Mitarbeiterin des Rathauses und Unterstützerin Márki-Zays.
Doch nicht alle Bewohner der Kleinstadt sind zufrieden: Seit Fidesz nicht mehr den Bürgermeister stellt, gibt es weniger Geld von der Regierung; in den vergangenen Jahren wurde gespart, Schulden wurden abgebaut, öffentliche Projektausschreibungen veranstaltet und Fidesz-Anhänger nicht länger bevorzugt. Ein Museum, das der Fidesz-Bürgermeister erbaut hat, wurde aus Kostengründen wieder geschlossen. Stattdessen wurden westliche Fast-Food-Ketten wie McDonald’s und KFC angelockt, die Jobs schaffen sollten. Seit einem halben Jahr fährt eine Straßenbahn aus Szeged direkt nach Hódmezövásárhely.
Die Jungen fliehen
Zudem kämpft die Stadt mit einem Problem, das alle ungarischen Kleinstädte betrifft: die Abwanderung der Jugend. Vor dreißig Jahren zählte man 56.000 Einwohner, heute sind es nur mehr 43.000. Viele, wie etwa József Csanád, wollen im Ausland studieren. "Ich will für mein Biologiestudium nach Deutschland gehen", erklärt der 20-Jährige. Zurückkehren wolle er nur, wenn Orbán nicht länger an der Macht ist.
Die politische Polarisierung ist im alltäglichen Leben spürbar: In der Stadt kennt jeder jeden; man weiß, wer Fidesz oder die Opposition wählt. Ob Orbán und Márki-Zay-Anhänger auch befreundet sein können? "Das halte ich für ein Märchen", sagt Judit.
In zwei Wochen wählt Ungarn ein neues Parlament. Ministerpräsident Viktor Orbán steht erstmals eine geeinte Opposition gegenüber. Orbán regiert seit 2010 und ist der längstdienende EU- Regierungschef. Umfragen sehen die regierende Fidesz-Partei wenige Prozentpunkte vor dem Oppositionsbündnis. Péter Márki-Zay, SPitzenkandidat des Oppositionsbündnisses, gilt als gläubig und konservativ, wirtschaftspolitisch liberal und pro-europäisch eingestellt.
Bis 2024 hat Márki-Zay sein Amt noch inne, bei der anstehenden Parlamentswahl am 3. April kann es sein, dass der Wahlkreis wieder an Fidesz zurückfällt. Das wäre ein herber Rückschlag für Márki-Zay. Als Listenerster ist ihm ein Platz im Parlament so gut wie gewiss. Ob er den auch im Falle einer Niederlage annimmt oder lieber Bürgermeister von Hódmezövásárhely bleibt, hat er noch nicht entschieden.
"Wir opfern gerne unseren Bürgermeister für ein freies, demokratisches Ungarn", versichert Judit. Einen privaten Grund hätte er jedenfalls, in Hódmezövásárhely zu bleiben: Im August wird der siebenfache Vater zum ersten Mal auch Opa.
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