Linkes Buda, rechtes Pest: Eine gespaltene Stadt im Wahlkampf
Lili hat kaum geschlafen. Die ganze Nacht lang war die 20-Jährige unterwegs gewesen und hatte die Gehsteige entlang jener Route, auf der Fidesz-Anhänger am folgenden Tag ihren "Friedensmarsch" abhalten würden, mit regierungskritischer Propaganda bemalt. Dennoch steht die Medizinstudentin am ungarischen Nationalfeiertag, an dem der Aufstände von 1848 gegen die Habsburger-Monarchie gedacht wird, auf der Freiheitsbrücke und verteilt fleißig blaue Bänder – das Zeichen des Oppositionsbündnisses.
"Wir wollen die ganze Brücke in Blau tauchen", sagt Lili und macht ein weiteres Band am Geländer fest. Sie sollen die im Stadtbild fehlenden Wahlplakate der Opposition ersetzen.
An diesem Tag, knapp drei Wochen vor der Parlamentswahl in Ungarn, stellt die blaue Donau nicht nur eine geografische Grenze zwischen den Stadtteilen Buda und Pest dar, sondern auch eine ideologische: Am westlichen Flussufer versammeln sich – laut Staatsmedien 300, unabhängigen Berichten zufolge mehrere Zehntausend – Anhänger des Oppositionsbündnisses; am östlichen Ufer treffen einander am Kossuth-Platz vor dem Parlament die Gefolgsleute von Premier Viktor Orbán.
Mehrere 100.000 Ungarn sollen es vor dem Parlament sein – aus allen Ecken des Landes in Reisebussen angekarrt.
Krieg dominiert Wahlkampf
Der aktuelle Krieg in der Ukraine dominiert mittlerweile zumindest thematisch den ungarischen Wahlkampf: Oppositionsführer Péter Márki-Zay, unterstützt vom früheren EU-Ratspräsidenten Donald Tusk, spricht von europäischer Einheit, Solidarität mit der Ukraine, Frieden und Sicherheit durch eine Entscheidung "für Europa anstelle des Ostens"; Orbán habe durch seine Nähe zu Putin EU und NATO verraten.
Auch Orbán spricht von Sicherheit: Die Opposition sei es, die das ungarische Volk gefährde, man selbst würde weiterhin keine Soldaten schicken oder Waffenlieferungen von der NATO an die Ukraine über ungarisches Territorium zulassen. Ungarn müsse sich aus dem Krieg raushalten.
Auf beiden Seiten des Donauufers wird kräftig applaudiert; in Buda werden ukrainische, EU- und Fahnen der Oppositionsparteien geschwenkt, Orbán blickt auf ein Meer orangenfarbener Fidesz-Plakate und ungarischer Flaggen.
Völlig gegensätzlich ist auch die Gesprächsbereitschaft gegenüber Journalisten aus dem "Westen": Fidesz-Anhänger zeigen sich deutlich wortkarger als die Wähler der Opposition; die "anti-Orbán, Mainstream-Medien" würden sowieso nur Fake News verbreiten. Zwei Jus-Studenten erbarmen sich, erzählen, warum sie Fidesz wählen: "Orbán beschützt unser Land und unterstützt die Familie. Wir fühlen uns sicher dank ihm."
Name und Foto wollen sie dann aber doch nicht in der Zeitung stehen sehen.
Gemeinsamer Nationalstolz
Die Gesellschaft zeigt sich gespalten, polarisiert von beiden Seiten des politischen Spektrums. Eines haben aber alle Ungarn gemein: die kleine Anstecknadel in den Farben der Nationalflagge an der Jacke. Die trägt an diesem Tag jeder – sowohl am linken als auch rechten Donauufer.
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