Demirals "Wolfsgruß": Was hinter der Geste steckt

Demirals "Wolfsgruß": Was hinter der Geste steckt
Extrem rassistisch und nationalistisch: Das sind die "Grauen Wölfe". Warum ihr "Wolfsgruß" problematisch ist und wie sich ihre Bedeutung in der Türkei verschoben hat.

Er hätte so schön sein können, der türkische Sieg, klagten Fans in den sozialen Medien. Doch der Wolfsgruß des Torschützen Merih Demiral habe dem Jubel einen bitteren Beigeschmack gegeben. Der 26-Jährige formte am Dienstagabend im Leipziger Stadion mit beiden Händen eine Geste, nämlich den sogenannten "Wolfsgruß", ein Handzeichen und Symbol der rechtsextremistischen "Grauen Wölfe". Die Europäische Fußball-Union (UEFA) hat ein Verfahren gegen Demiral eingeleitet.

Dieser hatte nach dem Match erklärt, die Geste habe keine "versteckte Botschaft", er habe sie bei Leuten im Stadion gesehen und wollte "einfach nur demonstrieren, wie sehr ich mich freue und wie stolz ich bin, Türkei zu sein". 

Demirals "Wolfsgruß": Was hinter der Geste steckt

Wer sind die "Grauen Wölfe"?

Die "Grauen Wölfe" sind die Anhänger der rassistischen, nationalistischen und rechtsextremistischen "Ülkücü-Bewegung", die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Die Bewegung hat ihre Ursprünge im Osmanischen Reich des 19. Jahrhunderts, als der türkische Nationalismus erstarkte. Die Ideologie propagiert "den Türken" als "Herrenrasse", alle anderen Menschen seien "minderwertig" – das richtet sich vor allem gegen Kurden, Armenier, Aleviten, Juden, Christen und Jesiden.

Der Ideologie zufolge streben die Ülkücüler ein völkisches Großreich namens "Turan" an, das vom Balkan bis China reichen soll. Für diesen Kampf ist auch Gewalt ein akzeptiertes Mittel. Zwischen 1974 und 1980 sollen die "Grauen Wölfe" offiziellen Angaben zufolge knapp 700 Menschen ermordet haben.

Die ultranationalistische, immer islamistischere Kleinpartei MHP ist die politische Vertretung der "Grauen Wölfe" – und Bündnispartnerin der islamisch-konservativen AKP von Präsident Recep Tayyip Erdoğan.

"Rechtsextremismus mitten in Gesellschaft"

Der Sozialwissenschafter Kenan Güngor verweist im Gespräch mit dem KURIER auf die Symbolik der Geste in der Türkei, die sich in den vergangenen Jahrzehnten dadurch verschoben hat: "In Österreich und Deutschland haben wir eine etwas schwindende, aber immer noch deutlich größere Distanz zu Rechtsextremismus als in der Türkei, dort ist dieser Teil der Regierung." Teile der Ideologie wurden in die Leitnorm der türkischen Gesellschaft und die politische Symbolik integriert, "es gibt keine Berührungsangst mehr, die Geste wurde zu einem Zeichen des Nationalismus."  Nicht nur Präsident Erdoğan verwendet das Zeichen bei öffentlichen Auftritten. Auch Oppositionspolitiker und Minderheiten bedienen sich vereinzelt der Geste. So gibt es Fotos von dem ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Kemal Kılıçdaroğlu, einem Aleviten, wie er den Gruß zeigt. Güngor hält das für ein Problem. 

Die MHP hat auch erheblichen Einfluss auch die Gruppierung in Deutschland, die Sicherheitsbehörden in Deutschland sprechen von rund 12.000 Anhängern. Damit gehört die Gruppierung zu den stärksten rechtsextremen Strömungen Deutschlands. Offizielle Mitgliederzahlen weltweit gibt es nicht.

Ist der Gruß nicht verboten?

Der Gruß wird häufig verglichen mit dem deutschen Hitler-Gruß, da die Grauen Wölfe auch Adolf Hitler als eines ihrer Vorbilder in der Rassen- und Vernichtungsideologie sehen. In Deutschland ist, anders als in Österreich, der Wolfsgruß nicht verboten und strafbar. Der Verfassungsschutz begründet das damit, dass die Geste mitunter auch genutzt wird, um Zugehörigkeit zu symbolisieren und politische Gegner öffentlich zu provozieren. Der Verfassungsschutz schreibt, dass ein Zeigen des "Wolfsgrußes" zwar ein Bekenntnis zur Ülkücü-Ideologie sein kann, allerdings "muss nicht jeder Verwender dieses Grußes ein türkischer Rechtsextremist sein". 

In Österreich hingegen wird die Geste mit einer Geldstrafe von bis zu 4.000 Euro oder einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Monat bestraft. In Wien wurde der Gruß zuletzt gezeigt, als Anhänger Erdoğans Sieg feierten. Güngor verweist auf das generell harte Vorgehen der FPÖ-ÖVP-Regierung gegen extremistische Symbole im öffentlichen Raum, unter deren Verbot eben auch das Zeigen des "Wolfsgrußes" fiel.

Jahrestag: Massaker an Aleviten

Zusätzliche Kritik gab es an dem Tag, an dem Demiral den "Wolfsgruß" zeigte. Denn das gestrige Spiel fiel auf einen Jahrestag von historischer Relevanz: Am 2. Juli 1993 ermordete ein Mob der "Grauen Wölfe" beim sogenannten "Sivas-Massakers" im Rahmen eines alevitischen Festivals 35 Aleviten im Hotel Madimakin in Sivas in Zentralanatolien. Das Hotel wurde angezündet, die Menschen verbrannten im Hotel. Einige Täter sind bis heute nicht verurteilt und auf der Flucht. Die türkische Regierung vermeidet für die Tat den Begriff "Massaker". 

Reaktionen und drohende Sperre

In den türkischen Medien ist die Geste von Demiral kaum einen Bericht wert. Zahlreiche deutsche Staatsbürger mit und ohne Migrationshintergrund verurteilten in den sozialen Medien den Gruß. Viele türkische Fans fordern eine Sperre von Demiral für die nächsten Spiele. Ein Verfahren der UEFA gegen Demiral läuft.

Güngor hält dieses für gerechtfertigt. Die Bedeutungsverschiebung des "Wolfsgrußes" sei keine Rechtfertigung für die Verwendung dieser Geste: "Die UEFA muss eindeutig Position beziehen. Es geht um einen sportlichen Wettbewerb, für rechtsextreme Symbole ist da kein Platz."

Am Mittwochabend wurde bekannt, dass die Türkei den deutschen Botschafter wegen der Ermittlungen ins Außenministerium einbestellt haben soll.

Anmerkung: Der Artikel wurde um die Ausführungen des Sozialwissenschafters Kenan Güngor ergänzt.

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