Wo es trotz Winter neue Offensiven in der Ukraine geben könnte
Die Soldaten liegen zusammengekauert in ihrer Stellung – einem Erdloch, das sie vor Flachfeuer schützt. Nicht aber vor der Drohne, die in diesem Moment über ihnen schwebt und ihre tödliche Fracht fallen lässt. Die Granate trifft genau, detoniert. Videos wie jenes von der Front in der Stadt Bakhmut gibt es seit Beginn des russischen Angriffskriegs fast täglich – und es scheint, als ob sich das in den kommenden Wochen nicht ändern wird. Grabenkämpfe auf kürzeste Distanz, massiver Artilleriebeschuss und täglich Versuche eines Durchbruchs. Trotz Winterbeginn.
Während der Kreml versucht, den Widerstandswillen der ukrainischen Zivilbevölkerung durch die Zerstörung der Energie-Infrastruktur zu brechen, sind die Kämpfe an der Front im Donbass nach wie vor im Gange: Russische Verbände versuchen, die Stadt Marjinka südlich von Donezk einzunehmen, weiter nördlich verteidigen die ukrainischen Streitkräfte seit Monaten Bakhmut.
Dazu kommt, dass in den vergangenen Tagen große Teile der russischen Luftlandeeinheiten in den Donbass verlegt worden sein sollen. Ob sie für einen Angriff oder aber zur Verteidigung eingesetzt werden, ist noch fraglich: Entlang der Grenze zum Oblast Lugansk scheinen die Ukrainer eine neue Offensive gegen frisch ausgebaute Verteidigungslinien vorzubereiten. Ein solcher könnte auch nördlich der Stadt Melitopol erfolgen, allerdings bereiten sich die russischen Streitkräfte seit Monaten darauf vor, legen Minengürtel und verstärken die Verteidigungsanlagen.
Bessere Ausrüstung
All das geschieht unter widrigen Bedingungen: Die Temperaturen fallen, Schützengräben füllen sich mit Wasser, Transportfahrzeuge und sogar Panzer bleiben im Schlamm stecken. Bald wird der Boden gefrieren und somit wieder bessere Möglichkeiten für motorisierte Angriffe bieten – was nichts daran ändert, dass die Infanterie massiv unter der Kälte zu leiden haben wird.
Ausrüstungstechnisch sollten die ukrainischen Streitkräfte auf diesem Gebiet im Vorteil sein: Zelte, Winterkampfanzüge, Generatoren für 200.000 Soldaten schickten westliche Staaten in die Ukraine. Die Ausrüstungsprobleme der russischen Streitkräfte wurden bereits in den ersten Kriegswochen ersichtlich, als es häufig wegen technischer Gebrechen zu Ausfällen der Logistik gekommen war. Zudem sind die etwa 300.000 teilmobilisierten Soldaten nur dürftig ausgerüstet. Unterschätzen sollte man die russischen Streitkräfte in Winterzeiten allerdings nie.
Das ukrainische Verteidigungsministerium schrieb am Sonntag, dass es nicht vorhabe, die Waffen im Winter ruhen zu lassen: „Diejenigen, die jetzt über eine mögliche Kampfpause wegen der kalten Temperaturen sprechen, dürften nie im Jänner ein Sonnenbad an der Südküste der Krim genossen haben“, hieß es dort. Die Wahrscheinlichkeit, dass ukrainische Soldaten im Jänner einen Fuß auf die Krim setzen werden, ist verschwindend gering: Derzeit liefern sich Russen und Ukrainer Artillerieduelle entlang des Flusses Dnepr, russische Pioniere errichten Verteidigungsstellungen am Fluss und zusätzlich am Übergang zur Krim.
Im Norden befestigen ukrainische Verbände weiterhin die Grenze zu Belarus. Auch wenn Staatschef Alexander Lukaschenko einen direkten Einsatz seiner Armee im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ausgeschlossen hat. "Wenn wir uns unmittelbar mit den Streitkräften, mit Soldaten in diesen Konflikt einmischen, tragen wir nichts bei, wir machen es nur noch schlimmer", sagte er kürzlich. Dennoch schließt der ukrainische Generalstab einen erneuten Angriff von Norden nicht aus - und setzt Zehntausende Soldaten in diesem Bereich ein.
Wird der Winter allerdings milder als gedacht, würden die aufgeweichten Böden etwaige Offensivpläne über den Haufen werfen – dafür aber die Zivilbevölkerung entlasten.
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