Nur unterbrochen von den Regentropfen, die auf loses Blech treffen. Hier schlugen die russischen Raketen am häufigsten ein. Wann immer die Bodentruppen Niederlagen gegen die ukrainischen Streitkräfte einstecken mussten, richteten sie ihre Raketenwerfer auf Saltivka aus, feuerten Salven auf die Wohnblöcke am Stadtrand Charkiws.
Zwei Männer kommen um die Ecke, ziehen einen Leiterwagen mit Wasserkanister. Einer kann vor lauter Rausch kaum gehen, rutscht beinahe im Schlamm aus. „Ich bin Sergej! Willkommen in meinem schönen Zuhause!“, ruft er mit Bitterkeit in der Stimme. 30 Minuten dauert der Weg zum nächsten Fluss und zurück, wo er und sein Kollege das Wasser für die verbliebenen Menschen in seinem zerstörten Wohnblock holen.
Es sind vor allem ältere Frauen, die vor dem zerstörten Eingang sitzen, und selbstgedrehte Zigaretten rauchen. „Wir haben kein Gas. Strom ja, aber auch das Wasser ist ein Problem. Wir müssen es zuerst über dem Feuer abkochen“, sagt eine von ihnen. Aus einer kleinen Kammer, früher wahrscheinlich der Fahrradkeller, kommen drei junge Männer, ausgerüstet mit Bohrmaschinen und anderem Werkzeug. „Wodka!“, ruft einer, holt eine Flasche hervor und schenkt für die Runde ein.
Nachdem er den Schnaps heruntergestürzt hat, stellt er sich als Artem vor. Er kommt selbst aus Saltiwka, war vor dem Krieg Fassadenarbeiter. „Ich versuche, die Schäden so gut es geht zu beheben. Aber die Russen haben ganze Arbeit geleistet“, sagt er und lacht sarkastisch. Er und seine Freunde haben Spanholzplatten besorgt, mit denen sie die Wohnungen der älteren Damen abdichten wollen.
Denn dass die Heizung hier wieder funktionieren wird – daran glaubt von den Anwesenden niemand. „Das Einzige, was wir sagen können, ist, dass wir alles dafür tun, dass Gas und Strom in allen Gebäuden verfügbar sind. Und es wird funktionieren“, heißt es aus dem Büro des Bürgermeisters. Etwas weiter von Sergejs Block entfernt graben bereits Bagger den Weg für neue Leitungen frei. In den zerbombten Gebäuden werden die neu gelegt werden müssen.
Artem deutet auf sein Auto: Die rechte Seite ist voller kleiner Löcher, wo die Splitter eines Sprengkörpers die Wand durchgeschlagen haben. „Ich hatte Glück“, lacht er und füllt Wodka nach. Verlassen will Saltiwka niemand aus der Runde: „Wo sollen wir noch hin?“, fragt eine der Frauen. „Mein ganzes Leben war ich da – und da will ich bleiben bis zu meinem Ende“. „Und irgendwer muss sich doch um sie kümmern“, meint einer der jungen Männer.
Wenige Kilometer weiter offenbart Charkiw ein ganz anderes Bild. Viele Kaffeehäuser haben geöffnet, die Autos stauen sich an den Ampeln. Am Friedensplatz – dem Hauptplatz der Stadt – bläst ein Stadtangestellter Laub. „Sobald die Leute wieder mit so etwas beginnen, weiß man, dass es zumindest besser wird“, raunzt ein Taxifahrer. Ein Luftalarm ertönt, doch niemand schenkt ihm Beachtung. Selbst Familien mit ihren Kindern gehen weiter, ohne ihre Schritte zu beschleunigen. Daneben lässt ein ukrainischer Soldat eine „Kazhan“-Drohne steigen, die eine zivile Organisation mit Spenden für die Armee gekauft hat. Sie wirft eine zuvor befestigte Wasserflasche ab, um einen Bombenangriff zu simulieren. Genau dort, wo vor acht Monaten noch ein russischer Marschflugkörper eingeschlagen war und einen großen Teil der Regierungsgebäude zerstört hatte.
Statt Fassadenarbeiter Artem und seinen trinkfesten Freunden sind hier wenigstens Profis im Einsatz- was anderes als Spanholzplatten aber gibt es auch hier nicht.
Kommentare