Ukraine-Krieg: Unterwegs mit dem "Milliardärsbataillon"
Selbst auf dem zwanzig Meter hohen Dach dringt der beißende Geruch nach verbranntem Korn, Holz und Plastik in die Nase. Unten picken Scharen von Tauben in den noch immer rauchenden Ruinen des ehemaligen Getreidespeichers unversehrte Körner auf. Das Grollen der Artillerie, nur wenige Kilometer entfernt, schreckt sie nicht auf – sie haben sich in den vergangenen Monaten daran gewöhnt. "Von hier aus ging Getreide in die ganze Ukraine", sagt Alexander, sein Sturmgewehr in den Händen haltend.
Rückkehr ins Ungewisse
Er deutet auf den grünen Güterzug, der auf den Gleisen zwischen den zerbombten Lagerhäusern wie ein Fremdkörper wirkt. Geputzte Waggons zwischen zerstörten Dächern, Schutt und Rauch, rund herum die zu großen Teilen zerstörte Stadt Kupjansk. Mitte Oktober eroberten die ukrainischen Truppen den wichtigen Eisenbahnknotenpunkt zurück. Die russischen Streitkräfte versuchten, die wichtigste Verbindungsbrücke zu sprengen, doch ein schmaler Gehsteig blieb intakt.
Menschen mit verhärmten Gesichtern mühen sich zwischen dem Abgrund, in dem noch immer Straßentrümmer liegen und dem nach wie vor in den russischen Farben Weiß-Blau-Rot gestrichenen Brückengeländer von Ufer zu Ufer. Alexanders Kameraden helfen ihnen beim Tragen, fahren ältere Damen zu deren Häusern.
Doch das ist nicht ihr Hauptauftrag: "Wir suchen in den befreiten Gebieten nach Terroristen, russischen Saboteuren, unterstützen die ukrainischen Streitkräfte", sagt Alexander, taktischer Offizier des "Milliardärsbataillons". Es besteht rein aus Freiwilligen, ist operativ aber dem Kommando der offiziellen Streitkräfte unterstellt. Seine Funktion ist dem eines österreichischen Milizbataillons ähnlich. Der Grund für den Spitznamen der Einheit: Vsevolod Kozhemyako, einer der reichsten Männer der Ukraine, Getreideexporteur und österreichischer Honorarkonsul in Charkiw. 1998 gründete er das Unternehmen "Agrotrade" und machte es zu einem der führenden Getreideunternehmen im Land.
Der KURIER trifft ihn in der Lobby eines leeren Charkiwer Luxushotels, wie er auf einem weißen Klavier Beethovens "Für Elise" spielt. Der Unternehmer scheint seinen Hang zur Extravaganz trotz des Krieges nicht abgelegt zu haben. Fotos von seinem Privatkonzert will er keine. Bis vor wenigen Stunden war er noch in Kupjansk, bei seiner Truppe. Die Müdigkeit hat sich in seine hageren Gesichtszüge eingegraben. Doch sein Blick bleibt stechend scharf und aufmerksam – eine Angewohnheit vom Fronteinsatz.
Feuerwerke, Bälle, Skiurlaube und teure Weine dominierten vor der russischen Invasion seine Profile in Sozialen Medien. Jetzt postet er Fotos von der Front, von "seinem" Bataillon. "Ich bin zwar der Kommandant, da man mich gebeten hat, es ins Leben zu rufen, aber ich habe diese Einheit gemeinsam mit Veteranen und anderen Geschäftsleuten aufgebaut", sagt Kozhemyako mit rauer Stimme. Seine Motivation? "Ich kann nicht im Ausland sitzen, während mein Land um seine Existenz kämpft. Ich bin froh, dass ich diesen Beitrag für die Ukraine leisten kann."
"Kein Militär"
"Wir sind kein Militär. Wir unterstehen den Territorialverteidigungskräften, aber wir bleiben Zivilisten. Das ist wegen des Spezialgesetzes, das von Kiew zu Kriegsbeginn verabschiedet wurde, möglich. Die Kämpfer in meiner Einheit wollen ihr Land mit der Waffe verteidigen, und hier können sie es." In regelmäßigen Abständen haben sie dem Territorialkommando in Charkiw Meldung zu erstatten.
Szenenwechsel. Ein Haus im Osten des Oblasts Charkiw. Die Fenster sind verdunkelt, im Eingangsbereich begrüßen junge Kämpfer einander. Eine Gruppe ist gerade von einer Patrouille zurückgekehrt. Feuerzeuge klicken, Zigaretten werden angeraucht. Einer der Kämpfer bringt Tee. "Vor dem Krieg war ich Alpinist im Ausland", sagt einer der Männer. "Ich suchte einen Weg, für mein Land zu kämpfen, fand dieses Bataillon – und Kameraden fürs Leben."
Was er nach dem Krieg vorhat? Er lacht: "So weit denke ich nicht. Einmal schauen, was der nächste Tag bringt." Seine Kameraden nicken. Alle hier haben vor dem 24. Februar einen zivilen Beruf ausgeübt, waren Bauern, Handwerker, Informatiker. "Im Krieg lernt man sehr schnell", sagt Kozhemyako. "Wir haben den Männern in intensivem Training rasch die Grundlagen beigebracht: Panzerabwehrkampf, Minen legen und Entschärfen, den Umgang mit dem Maschinengewehr."
Freiwilligkeit
Seine bisher härtesten Einsätze liegen zwei Monate zurück: "Wir haben im Zuge der Gegenoffensive im September Dörfer befreit und dann gehalten, um etwaige russische Gegenstöße abzuwehren", sagt Alexander. Am heftigsten sei der russische Artilleriebeschuss, aber auch die Drohnenangriffe gewesen. "Sie haben verdammt viel davon." Auch Kozhemyako war persönlich an der Gegenoffensive beteiligt: "Als Kommandant muss man mit gutem Beispiel vorangehen, die Männer motivieren, dasselbe zu tun. Das ist die wichtigste Regel."
Wer das Bataillon verlassen und zu seiner Familie oder seiner Arbeit zurück möchte, kann das jederzeit tun, doch keiner der Männer wirkt, als ob er das vorhätte.
Der Multimillionär (Milliardär in der ukrainischen Währung Griwna) mit Nebenwohnsitz in Österreich unterstützt die ukrainischen Streitkräfte seit Kriegsbeginn im Donbass (2014) und hat Kampferfahrung. "Ich war dort als Freiwilliger an der Front, habe Verbindungen zur Armee aufgebaut. Und als der russische Einmarsch erfolgte, wusste ich, dass ich nicht in Österreich bleiben kann. Auch wenn ich meine Frau und meine Familie sehr vermisse", sagt Kozhemyako. Ausrüstung, Sold, Waffen, Munition, bezahlt er aus eigener Tasche.
Die Einheit ist streng nach NATO-Standard ausgerichtet, verfügt über einen Bataillonsstab mit Fachoffizieren. In einem Keller befindet sich das Lagezentrum: Bildschirme mit taktischen Karten in Echtzeit, Organigramme des Bataillons, doch auch jene russischer Einheiten in der Umgebung. Auf einer Uhr sind die russischen Artillerieangriffe der vergangenen Tage und Wochen eingezeichnet, "um ein Muster herauszufinden, wann und in welchen Abständen sie angreifen", sagt Alexander.
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