Ganz unabhängig davon, wie dubios die Gerüchte über einen möglichen russischen Nuklearschlag in Cherson (60 km entfernt; Anm.) sind – haben Sie die Bevölkerung auf ein solches Szenario vorbereitet?
Darauf kann man nicht 100 Prozent vorbereitet sein. Gesetzt den Fall, es passiert: Man würde versuchen, nach Odessa zu flüchten. Die Russen würden die Bombe nicht zünden, wenn der Wind in ihre Richtung wehen würde. Also müssten die Menschen Schutz in Kellern suchen, dort für drei Tage bleiben. Ich habe empfohlen, sich mit Jod-Tabletten und ausreichenden Vorräten auszustatten.
Nachdem am Wochenende zwei Raketen in Wohnhäusern eingeschlagen sind, konnten wir Stunden später zahlreiche Menschen beobachten, die begannen, die Schäden zu reparieren. Unterstützt die Stadt hier?
Ja, das waren Stadt-Arbeiter, die mit eigens angeschafften Spanholzblatten die zerstörten Fenster ersetzen. Diese sind robuster als Glas. Grundsätzlich gilt: Schlägt eine Rakete ein, kommen zuerst Ersthelfer, suchen in den Trümmern nach Verschütteten. Das zweite Team sucht die Überreste von Explosionskörpern. Wenn dieses Grünes Licht gibt, rücken Putz- und Reparaturtrupps an. Wir arbeiten wie Ameisen, die Zerstörtes immer wieder aufbauen. Die Menschen haben sich an die Situation angepasst.
In Mykolaijw sieht man viele Straßenkehrer, die seelenruhig ihrer Arbeit nachgehen.
Ich will nicht, dass die Stadt trotz Krieg im Dreck versinkt. Aber es hat auch den Grund, dass das Laub und der Abfall ansonsten die Abflüsse verstopfen und bald die Regenzeit kommt. Wir brauchen nicht noch zusätzlich Überschwemmungen.
Ihre Stadt hat seit April ein massives Trinkwasserproblem, seit die Leitungen vom Dnepr nach Mykolaijw zerstört wurde. Wie ist dieses Problem zu lösen?
Bis Cherson befreit ist, können wir diese Leitung nicht reparieren. Wir haben eine neue Wasserleitung vom Südlichen Bug (Fluss bei Mykolaijw, Anm.) gebaut, aber unser Säuberungssystem wurde für anderes Wasser konstruiert. Das zu viele Salz können wir nicht filtern. Man kann sich damit waschen, aber die Trinkwasserversorgung bleibt ein Problem. Vor dem Krieg haben wir täglich 170.000 Kubikmeter Wasser durch die Dnepr-Leitung gepumpt, jetzt sind nur 60.000 aus dem Südlichen Bug möglich. Noch dazu zerstört das Salz die Leitungen. Derzeit verwenden wir Wassertrucks, errichten 130 Trinkwasserstationen in Schulen oder Krankenhäusern. Das wird vor allem im Winter wichtig, denn draußen würde das Wasser gefrieren.
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