Frontstadt Mykolaijw: "Mit Jod-Tabletten und Vorräten eingedeckt"

Frontstadt Mykolaijw: "Mit Jod-Tabletten und Vorräten eingedeckt"
Alexander Senkevich, der Bürgermeister der Frontstadt Mykolaijw, spricht über die Vorbereitungen auf eine nukleare Explosion und die Resilienz seiner Bürger.

In den 243 Tagen, die der russische Angriffskrieg auf die Ukraine bereits tobt, gab es 40 Tage, an denen die Stadt Mykolaijw nicht bombardiert wurden. Mehr als 800 Zivilisten wurden bisher schwer verletzt, 148 starben. Der KURIER traf Bürgermeister Alexander Senkevich in einem Mykolaijwer Café.

KURIER: Wie bereiten Sie sich und Ihre Stadt auf den Winter vor?

Alexander Senkevich: Wir sind im Krieg, stehen vor dem kältesten Winter seit der Unabhängigkeit. Dennoch werden wir von der Regierung in Kiew mit genügend Brennholz und Gas versorgt werden. Von den beinahe 500.000 Einwohnern sind noch 220.000 in der Stadt, wir werden alle Häuser beheizen, damit diese bewohnbar bleiben, wenn die Menschen wieder zurückkehren. Grundsätzlich empfehle ich jedem, Mykolaijw zu verlassen – bis auf jene, die für die kritische Infrastruktur zuständig sind. Wir wissen nicht, was wir von Russland zu erwarten haben. All die zerstörten Gebäude können repariert werden, die bisher 148 toten Zivilisten können wir nicht ersetzen.

Frontstadt Mykolaijw: "Mit Jod-Tabletten und Vorräten eingedeckt"

Seit Monaten steht Mykolaijw unter russischen Angriffen. Die Stadt in der Südukraine, die unweit der Front liegt, ist strategisch wichtig für den Zugang zur Krim.

Ganz unabhängig davon, wie dubios die Gerüchte über einen möglichen russischen Nuklearschlag in Cherson (60 km entfernt; Anm.) sind – haben Sie die Bevölkerung auf ein solches Szenario vorbereitet?

Darauf kann man nicht 100 Prozent vorbereitet sein. Gesetzt den Fall, es passiert: Man würde versuchen, nach Odessa zu flüchten. Die Russen würden die Bombe nicht zünden, wenn der Wind in ihre Richtung wehen würde. Also müssten die Menschen Schutz in Kellern suchen, dort für drei Tage bleiben. Ich habe empfohlen, sich mit Jod-Tabletten und ausreichenden Vorräten auszustatten.

Nachdem am Wochenende zwei Raketen in Wohnhäusern eingeschlagen sind, konnten wir Stunden später zahlreiche Menschen beobachten, die begannen, die Schäden zu reparieren. Unterstützt die Stadt hier?

Ja, das waren Stadt-Arbeiter, die mit eigens angeschafften Spanholzblatten die zerstörten Fenster ersetzen. Diese sind robuster als Glas. Grundsätzlich gilt: Schlägt eine Rakete ein, kommen zuerst Ersthelfer, suchen in den Trümmern nach Verschütteten. Das zweite Team sucht die Überreste von Explosionskörpern. Wenn dieses Grünes Licht gibt, rücken Putz- und Reparaturtrupps an. Wir arbeiten wie Ameisen, die Zerstörtes immer wieder aufbauen. Die Menschen haben sich an die Situation angepasst.

Frontstadt Mykolaijw: "Mit Jod-Tabletten und Vorräten eingedeckt"

Bis Cherson befreit ist, wird Mykolaijw ein Wasserproblem haben, so Bürgermeister Senkevich.

In Mykolaijw sieht man viele Straßenkehrer, die seelenruhig ihrer Arbeit nachgehen.

Ich will nicht, dass die Stadt trotz Krieg im Dreck versinkt. Aber es hat auch den Grund, dass das Laub und der Abfall ansonsten die Abflüsse verstopfen und bald die Regenzeit kommt. Wir brauchen nicht noch zusätzlich Überschwemmungen.

Ihre Stadt hat seit April ein massives Trinkwasserproblem, seit die Leitungen vom Dnepr nach Mykolaijw zerstört wurde. Wie ist dieses Problem zu lösen?

Bis Cherson befreit ist, können wir diese Leitung nicht reparieren. Wir haben eine neue Wasserleitung vom Südlichen Bug (Fluss bei Mykolaijw, Anm.) gebaut, aber unser Säuberungssystem wurde für anderes Wasser konstruiert. Das zu viele Salz können wir nicht filtern. Man kann sich damit waschen, aber die Trinkwasserversorgung bleibt ein Problem. Vor dem Krieg haben wir täglich 170.000 Kubikmeter Wasser durch die Dnepr-Leitung gepumpt, jetzt sind nur 60.000 aus dem Südlichen Bug möglich. Noch dazu zerstört das Salz die Leitungen. Derzeit verwenden wir Wassertrucks, errichten 130 Trinkwasserstationen in Schulen oder Krankenhäusern. Das wird vor allem im Winter wichtig, denn draußen würde das Wasser gefrieren.

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