Wer zündet die "schmutzige Bombe" – die Ukraine oder Russland?

Heute, Montag, ist der Angriff Russlands auf die Ukraine genau acht Monate her – und eine nächste Eskalation des Krieges steht laut Russland knapp bevor: Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu behauptete gegenüber den Ministern der NATO-Staaten Großbritannien, Frankreich und der Türkei, die Ukraine wolle eine mit Atommaterial verseuchte konventionelle Bombe werfen, und diese Russland in die Schuhe schieben.
Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace und US-Außenminister Antony Blinken erklärten dies für unglaubwürdig und veröffentlichten mit Frankreich eine gemeinsame Erklärung; auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi und Außenminister Dmytro Kuleba bestreiten den Vorwurf, die Behauptung lege den Verdacht nahe, dass Moskau selber etwas Schmutziges vorhabe: "Die Russen beschuldigen andere oft dessen, was sie selber planen." So warnte Russland vor acht Monaten etwa vor einem Angriff der Ukraine auf die Separatistengebiete Donezk und Luhansk – kurz bevor Russland selbst die Ukraine angriff.
Was steckt hinter dem Vorwurf? Besitzt die Ukraine "schmutzige Bomben" – oder könnte Russland demnächst eine zünden?
"Strategischer Unfug"
Militäranalytiker Walter Feichtinger bezeichnet beide Szenarien als "strategischen Unfug".
"Wir befinden uns in einem extremen Propaganda-Krieg", so Feichtinger zum KURIER, "mit solchen Unterstellungen versucht man, dem Gegner ein negatives Image zu verpassen. Das Schlimmste erscheint da gerade gut genug. Alleine das ist ein wesentlicher Punkt, der gegen den Einsatz solcher Waffen spricht."
Sowohl für die Ukraine als auch Russland wäre es laut Feichtinger nur kontraproduktiv, solche Waffen einzusetzen: "Die Ukraine erleide dadurch einen kompletten Legitimitätsverlust und würde als fragwürdiger Partner dastehen. Selbiges gilt natürlich für Russland, das dann international noch mehr Ansehen verlieren würde."
"Völkerrechtlich verboten"
Dass die Ukraine überhaupt solche Bomben besitzt, bezweifelt Feichtinger: "Solche Waffen gehören nicht zum üblichen Waffenarsenal einer Staatsmacht oder einer regulären Armee. Ihr Einsatz ist völkerrechtlich verboten." Deswegen sollte man auch davon ausgehen, dass Russland solche Waffen nicht besitzt.
Auszuschließen sei aber nichts, so Feichtinger, und verweist auf den Syrien-Krieg: "Dort wurden von Seiten Syriens chemische Waffen eingesetzt – obwohl diese verboten und geächtet sind."
"Schmutzige Bomben" sind konventionelle Sprengsätze, die strahlendes Material im Sprengkopf transportieren und ein begrenztes Gebiet verstrahlen können. Sie zählen zu taktischen Atomwaffen, sind also nicht mit Atombomben vergleichbar.
Propaganda-Krieg
Generell, kritisiert Feichtinger, würden sowohl Medien als auch Politiker zu schnell auf derartige Propaganda-Meldungen aufspringen: "Etwas mehr Zurückhaltung und Gelassenheit würde guttun, um Hysterie zu vermeiden." Davon profitiere auch Russland: "Propaganda hat immer die Absicht, den Gegner zu diskreditieren, und Angst und Schrecken zu verbreiten. Russland schafft genau das: Die westlichen Regierungen reagieren und die Medien transportieren." Strategische Gespräche sollten vor allem in dieser Situation im Hintergrund geführt und weniger über die Medien gespielt werden, so Feichtinger.
Kommentare