Was Resilienz wirklich ist
Noch rauchen die Trümmer im Innenhof eines Plattenbaus in der ukrainischen Frontstadt Mykolaijw – vor wenigen Stunden schlugen dort zwei russische Raketen ein. Doch von Schock und Trauer herrscht keine Spur: Menschen schleppen Spanholzplatten heran, um den entstandenen Schaden behelfsmäßig zu reparieren. Als der Autor dieser Zeilen eine Wohnung im sechsten Stock des beschossenen Wohnblocks betreten möchte, herrscht ihn die Dame des Hauses an, die Schuhe auszuziehen – schließlich habe sie gerade den Boden gewischt. Wenn es eine Definition für den inflationär verwendeten Ausdruck „Resilienz“ benötigt – das ist sie.
Ob in Mykolaijw oder Charkiw, Dnipro oder Kiew – die Menschen in der Ukraine erleben seit neun Monaten einen Krieg und damit verbundene Krisen, die in Österreich nicht vorstellbar sind und hoffentlich niemals Realität werden. Und dennoch zeigt die rasche Bereitschaft zum Wiederaufbau, die Gelassenheit auf den Straßen, wie rasch der Mensch dazu fähig ist, sich in einer Krise zurechtzufinden. Wo es nicht anders möglich ist, mit den Problemen zu leben. Wo es möglich ist, Probleme zu beheben. Und zwar gemeinsam. Als etwa in weiten Teilen Kiews der Strom aufgrund massiver russischer Bombardements ausfiel, waren junge Menschen mit mobilen Generatoren zur Stelle, boten Passanten an, ihre Mobiltelefone aufzuladen. Eine Kleinigkeit, möchte man meinen, doch aus diesen Kleinigkeiten bildet sich eine widerstandsfähige Gesellschaft, die ihre Lage beurteilt, ein Ziel definiert hat. In diesem Fall das Ziel, als Staat weiter zu bestehen, den Krieg zu überstehen.
Ein klares Ziel zu definieren, ist in Österreich nicht schwierig: Raus aus den Krisen. Wie man allerdings dorthin kommt – über Partei-, Sparten- und Gesellschaftsgrenzen hinaus –, ist eine andere Frage. Das politische Klima ist vergiftet, die Gesellschaft nicht erst seit Corona gespalten. Dennoch zerbrechen sich Wissenschafter, Politiker, aber auch Arbeiter und Angestellte darüber den Kopf, wie sie die kommenden Jahre gut überstehen sollen. Ein Schulterschluss ist notwendiger denn je – die Menschen in der Ukraine leben das gerade vor.
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