Wir sind wieder da! Wie die FDP sich selbst reanimierte

Christian Lindner, oft „Posterboy“ genannt, hat die FDP aus ihrem Tief heraus geführt
Wiedereinzug: Parteichef Christian Lindner jubelt.

Vor vier Jahren, da war es gespenstisch. Sprachlos und irritiert stand Guido Westerwelle da auf der Bühne, Spitzenkandidat Rainer Brüderle konnte es gar nicht fassen. Der Ton der TV-Übertragung, der erklären sollte, warum die FDP nur auf 4,7 Prozent kam und aus dem Bundestag flog, blieb abgedreht.

Damals war Christian Lindner der erste, der etwas sagen musste. Heute ist er der einzige, der etwas sagen darf: Der Posterboy der FDP, noch gern belächelt, hat die Partei vier Jahre nach ihrer größten Niederlage mit einem Ergebnis von 10,4 Prozent reanimiert – die Freidemokraten, seit 1949 ganze 45 Jahre lang in der Regierung vertreten, können wieder auf eine Kabinettsbeteiligung spekulieren. "Die Menschen haben uns ein Comeback ermöglicht", freute sich Lindner.

One-Man-Show

Lindner, gerade erst 38 Jahre alt, hat damit eine aussichtsreiche Zukunft vor sich. Dass er reden kann, hat er im Wahlkampf mehrfach bewiesen, viele hielten ihn gar für den besten Wahlkämpfer von allen; allein – kommt es zu einer FDP-Beteiligung an der Regierung, könnte ihm genau das auch Probleme bereiten. Denn die "neue FDP" ist völlig auf den smarten Politikwissenschaftler zugeschnitten, was freilich auch einen Teil des Erfolgs ausmachte – die Kampagne, die Lindner in schwarz-weiß, lässig mit weißem T-Shirt und ständig aufs Handy starrend zeigte, vermittelte das komplette Gegenteil der alten FDP, der stets das Emblem anhaftete, man engagiere sich nur für die Reichen und Schönen. Sieht man sich aber in der zweiten Reihe um – also jener, die nicht in Talkshows zu sehen war – wird klar, dass noch sehr viel der alten FDP in der neuen steckt: Dort sitzen nämlich viele, die schon in der Ära Westerwelles die Partei mitprägten.

Der EU-Schreck

Ähnlich ist es auch beim Parteiprogramm, das zwar jetzt nicht mehr nur in hellem gelb – der Parteifarbe –, sondern auch in pink und türkis daherkommt. Die Punkte, die sich da seit 2013 verändert haben, sind marginal – was eine FDP-Regierungsbeteiligung auch zu einem Schreckensszenario für viele anderen EU-Staaten macht: Die Freidemokraten stehen nämlich für freien Markt und eine sehr harte Fiskalpolitik, was vor allem in Frankreich und Italien für Stöhnen sorgt – mit der FDP könnte die Eurokrise auch wiederauferstehen.

Lindner vermied diesen Aspekt allerdings im Wahlkampf. Er setzte vielmehr auf die AfD-Karte: Schon 2013 war man davon ausgegangen, dass viele Wähler von den Freidemokraten zur damals noch als Anti-Euro-Partei angetretenen AfD gewechselt waren; jetzt fischte der 38-Jährige mit Aussagen wie "Alle Flüchtlinge müssen zurück!" genau in deren Gewässern. Genützt hat ihm das – trotz Wahlerfolgs – nur bedingt: Die AfD konnte ihm auch heuer Wähler abringen und landete mit 13,2 Prozent klar auf Platz drei.

Cem und Christian duzen einander bereits, das blieb auch den Zusehern nicht verborgen – zuletzt, als sich der Grünen-Spitzenkandidat Özdemir und FDP-Gesicht Lindner im TV duellierten. Zwar warfen sie sich allerhand an den Kopf, inhaltlich klaffen die Parteien in der Energie- und Flüchtlingspolitik weit auseinander; was sie aber eint: beide wollen mitregieren und schätzen einander durchaus.

Aus Sicht der Demoskopen hat Kanzlerin Merkel gar keine andere Wahl, als mit ihnen zu verhandeln. Denn rechnerisch geht sich nur "Jamaika" aus, ein Bündnis zwischen schwarzen Christdemokraten, gelben Liberalen und grünen Ökos – zu dem es nach FDP-und Grünen-Angaben vom Sonntagabend aber "nicht automatisch" kommen wird.

Einzige Alternative für Merkel wäre eine Neuauflage der Großen Koalition gewesen. Allerdings kündigte SPD-Chef Schulz an, in Opposition zu gehen.

Einige Genossen hatten gehofft, in einer neuerlichen Regierung viel durchzubringen. Bereits vor vier Jahren konnten sie einige der Kernforderungen, wie den Mindestlohn, umsetzen. Auf der anderen Seite mehrten sich die Stimmen, die eine Erneuerung herbeisehnten – in der Opposition. Dort kann sich die SPD nun neu erfinden und der rechten AfD Paroli bieten.

Eine neue "GroKo" wäre für Stillstand gestanden. Überraschen könnte Merkel mit "Jamaika". Sogar der Unionspartner, CSU-Chef Seehofer, ist dem nicht mehr so abgeneigt, bittet die SPD aber dennoch, trotz Oppositions-Ansage für Gespräche offen zu bleiben.

Für Seehofer ist entscheidend, wer mit am Verhandlungstisch sitzt. Mit der FDP kann er gut, mit den Grünen weniger. Ausnahme: Winfried Kretschmann, der grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs, findet scharfe Worte gegen straffällige Asylwerber und nimmt den Diesel in Schutz – ganz nach Seehofers Geschmack.

Ob damit auch die grüne Basis kann? "Jamaika" könnte ein abenteuerlicher Ausflug werden, bei dem es am Ende auch viele enttäuschte Gesichter gibt.

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