Wiederbelebte Freundschaft: Putin und Erdogan gemeinsam gegen die EU

Haben sich wieder lieb: Die Präsidenten Erdogan und Putin
Die umstrittenen Staatschefs wollten den Weg zu einer engeren Kooperation zwischen Russland und der Türkei ebnen.

[Update: Das Treffen der beiden Staatschefs ist inzwischen beendet. Eineinhalb Stunden lang dauerten die Beratungen. Alle Ergebnisse lesen Sie hier]

Schon der Tagungsort macht klar, wer Koch ist und wer Kellner beim russisch-türkischen Versöhnungsgipfel am Dienstag. Statt wie ursprünglich vorgesehen in Peking treffen sich die Staatschefs Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan im russischen St. Petersburg. Von dort aus diktierten schon die Zaren den Osmanen-Sultanen nach verlorenen Kriegen die Bedingungen für die Rückkehr zur Normalität. Um etappenweise Normalisierung geht es auch jetzt. Türkische Medien vermieden das Adjektiv bisher, in einer Kreml-Mitteilung stand es fett gedruckt. Die Botschaft: Moskau legt die Etappenziele fest und entscheidet, ob sie erreicht wurden.

Einfluss auf Balkan

"Allein mit Tomaten kommen sie nicht davon", hatte Putin Anfang Dezember gedroht. Kurz zuvor hatte die Türkei einen russischen Kampfjet im Grenzgebiet zu Syrien abgeschossen. Weil Ankara eine Entschuldigung verweigert hatte, verhängte Russland schmerzhafte Sanktionen. Ende Juni raffte sich die Türkei zu einer Entschuldigung auf.

Mit Turkstream – einer Pipeline durch das Schwarze Meer, die die Türkei und auch Südosteuropa unter Umgehung der Ukraine mit russischem Gas versorgen soll – wollte Moskau auch seinen alten Einfluss auf dem Balkan restaurieren und mit Ankara die weitere Expansion der EU stoppen. Das nach dem Embargo eingefrorene Turkstream-Projekt wurde daher Ende Juli reanimiert. Zwar warnte die Nesawissimaja Gaseta, Brüssel werde das Projekt verhindern wollen, da sich Europa damit nicht nur weiter von Russland, sondern auch von der Türkei abhängig mache. Doch auch wenn die EU neue Sanktionen gegen Russland verhängen sollte, wird dessen Regierung Turkstream laut Analysten durchziehen. Notfalls allein mit der Türkei.

Durch die harsche Reaktion des Westens auf den missglückten Putsch im Juli sehe die Türkei sich wie Russland zunehmend als von Feinden belagerte Festung, glauben Beobachter. Der Endlos-Warteschleife für einen EU-Beitritt müde, werde Erdogan sich daher noch mehr um Partner im Osten bemühen. Und dafür sogar beim uralten Machtgerangel mit dem Iran und Russland im Südkaukasus und in Zentralasien auf Stand-by-Modus schalten. Moskau wie Teheran behandeln die Säuberungen nach dem Putschversuch als innere Angelegenheit Ankaras.

Und Erdogans Neo-Osmanismus stößt, weil mit dem Islam gekoppelt, sogar beim persischen Erbfeind auf gewisses Wohlwollen. Ebenso sein schleichender Kurswechsel in Syrien. Beim Streit, welche Oppositionsgruppen als terroristisch einzustufen sind, würden die Schnittmengen Russlands, des Irans und der Türkei immer größer.

Einer strategischen Partnerschaft, wie Putin und Erdogan sie einmal beschworen, setzt indes die türkische NATO-Mitgliedschaft feste Grenzen. Für einen Austritt, glaubt Türkei-Kenner Alexander Knjasjew, fehle Erdogan das Mandat der Eliten. Sie würden mit einem neuen Putsch kontern.

Wenn am Dienstag der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den russischen Präsidenten Wladimir Putin in St. Petersburg trifft, geht es um mehr als nur Versöhnung nach einer achtmonatigen Eiszeit – damals wurde ein russischer Kampfjet durch das türkische Militär abgeschossen. Worüber die beiden mächtigen Männer im Detail reden werden, ist noch nicht bekannt, aber "es ist das erste Treffen seit dem Zusammenbruch unserer Beziehungen. Es wird also mehr als genug Themen geben", heizte Kremlsprecher Dmitri Peskow bereits im Vorhinein die Erwartungen an. Erwartet werden unter anderem Gespräche über den Syrien-Konflikt, den Putschversuch in der Türkei und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Ebenso könnte es um eine neue Allianz gehen. Besondere Brisanz erhält das Treffen dadurch, dass es die erste Auslandsreise von Erdogan nach dem Putschversuch ist. Bisher waren sich die beiden Herren nicht immer einig. Ein Überblick.

Der Blick auf den Westen

Sowohl Erdogan als auch Putin haben kein großes Vertrauen in den Westen. Während Putin dem Westen vorwirft, die Krise in der Ukraine provoziert zu haben und die Wirtschaftssanktionen zur Begrenzung des russischen Einflusses zu benutzen, bezeichnet Erdogan den Westen öffentlich als Unterstützer des Terrors. In diesem Punkt verstehen sich die beiden Herren also.

Die Türkei nach dem Putschversuch

Während westliche Politiker kritisch gegenüber den Umgang Erdogans nach dem Putschversuch reagieren, verzichtet der Kreml auf kritische Worte. Im Gegenteil. Bereits in der Nacht des Putschversuchs erklärte Putin als erster Staatschef überhaupt seine Solidarität mit Erdogan und wetterte gegen die Putschisten. Sie sind sich also auch in diesem Punkt einig.

Syrien-Konflikt

Bei dem Konflikt in Syrien haben Putin und Erdogan hingegen nichts gemeinsam. Während die Regierung in Moskau den Machthaber Baschar al-Assad unterstützt, ist dieser der Türkei ein Dorn im Auge. Mehr noch, Erdogan würde ihn am liebsten so schnell wie möglich loswerden. Besonders brisant zeigen sich diese unterschiedlichen Positionen in Aleppo. Während die Türken hinter den Rebellen stehen, kämpfen auf der anderen Seite syrische Regierungstruppen mit der Unterstützung Russlands.

Wirtschaft

Das Treffen am Dienstag hat natürlich auch – bzw. vor allem - wirtschaftliche Gründe. Denn nach Deutschland ist die Türkei der größte Abnehmer von russischem Gas – einem dem wichtigsten Exportgut Russlands. Aus Sicht der EU ist dabei besonders das Pipeline-Projekt Turkish Stream durch das Schwarze Meer nach Südeuropa interessant, da die Pipeline vom russischen Küstenort Anapa über die Türkei bis nach Griechenland weitergebaut werden soll.

Ein zweiter wichtiger Punkt, der die beiden verbindet, ist das bilaterale Atomkraftwerk Akkuyu, das Russland derzeit an der Südküste der Türkei baut. Das Vorhaben hat Moskauer Medien zufolge ein Volumen von rund 20 Milliarden US-Dollar. Nach Fertigstellung betreibt Moskau den Reaktor vorerst selbst und hat von Ankara lukrative Zusagen für die Stromabnahme erhalten.

Umgekehrt ist Russland für die Türkei ein bedeutender Markt für Obst- und Gemüse-Export. Und auch im Bereich des Tourismus würde sich die Türkei freuen, wieder mehr russische Gäste begrüßen zu dürfen. Vor der Krise gehörten diese zu den wichtigsten Urlaubergruppen überhaupt. Nachdem Moskau die Charterflüge nach dem Abschuss des Kampfjets einstellte, brachen die Besucherzahlen fast völlig ein. Im Juni ging die Zahl verglichen mit dem Vorjahresmonat um 93 Prozent zurück. Es würden also beide Parteien von einem guten Verhältnis profitieren.

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