Wieder hoch riskanter Aktions-Samstag der Gelbwesten
Es ist schon ein Ritual, bei dem aber jedes Mal die Nerven aufs Neue blank liegen: zum neunten Mal seit Beginn des „Gelbwesten“-Aufruhrs werden auch wieder diesen Samstag voraussichtlich tausende Demonstranten die Zentren etlicher Städte Frankreichs unsicher machen. Darunter unterschiedlichste Gruppen von ganz links bis ganz rechts, die sich alle auf die „Gelbwesten“ berufen.
Am vergangenen Samstag wurde in Paris, unter anderem, der Eingang eines Regierungsgebäudes mit einem Stapelfahrzeug, das auf einer Baustelle geraubt worden war, gerammt. Der Innenhof wurde verwüstet, der anwesende Regierungssprecher Benjamin Griveaux musste über eine Hintertreppe flüchten.
Vor allem aber machte die Attacke eines Ex-Boxers auf Polizisten Furore, die Folgen beschäftigen die Öffentlichkeit bis jetzt. Der seinerzeitige, zweifache Frankreich-Meister im Halbschwergewicht, Christophe Dettinger, hatte mit verstärkten Quarzhandschuhen einem Polizisten spektakuläre Schwinger verpasst und einen am Boden liegenden Beamten mit Fußstritten traktiert.
Die Szene erfolgte im Rahmen eines Angriffs von „Gelbwesten“ auf eine kleine Polizistengruppe, die die wütende Menge daran zu hindern versuchte, auf einer Fußgängerbrücke über die Seine zum Parlament loszustürmen.
"Arischer“ Boxer
Dettinger ist zwar Angehöriger der „Jenischen“ (die als einst wandernde Bevölkerung von den Nazis den „Zigeunern“ gleich gestellt und verfolgt wurden). Und die Boxerkarriere von Dettinger lief unter dem Titel: „Der Zigeuner von Massy“ (eine Trabantenstadt im südwestlichen Pariser Einzugsgebiet).
Das hinderte aber durchgeknallte rechtsradikale Web-Portale nicht daran, Dettinger als „Arier“ zu feiern, der „die jüdische Polizei gedemütigt“ habe.
Für Dettinger, der inzwischen in Beugehaft sitzt und seine Tat schluchzend bereute („Ich bin nicht stolz darauf“), erbrachte eine Spenden-Kampagne per Web in einem Tag über 100.000 Euro.
Dass jemand, der auf Polizisten eindrischt, derartige Unterstützung in aller Öffentlichkeit erhält, sorgte wiederum für erhebliche Empörung. Das Spenden-Webportal stoppte daraufhin diese Kampagne.
Im Gegenzug startete ein konservativer Abgeordneter eine Spendenaktion per Web für die Polizisten, die von „Gelbwesten“ verletzt worden waren. Diese Kampagne erbrachte inzwischen annähernd zwei Millionen Euro.
Wie verworren die Situation ist, lässt sich an folgendem ermessen: Umgekehrt (und zeitgleich zur Attacke von Dettinger auf Polizisten in Paris, die von rechtsradikalen Grüppchen bejubelt wurde) misshandelte in der südostfranzösischen Stadt Toulon ein Polizeikommandant, der ebenfalls als rechtslastig gilt, zwei „Gelbwesten“ vor laufenden Kameras.
Der Fall erregte ebenfalls beträchtliches Aufsehen, die Kontrollbehörde zur Untersuchung von Polizei-Übergriffen ermittelt.
Macron in der Zwickmühle
Je länger dieses gefährliche Durcheinander anhält, desto schwerer wird der Stand von Präsident Emmanuel Macron.
Der liberale Staatschef steckt scheinbar hilflos in der Zwickmühle zwischen den immer rabiateren Kernen der „Gelbwesten“ (die laut Umfrage noch immer von 52 Prozent der Franzosen unterstützt werden) und vielen anderen Franzosen, die wegen der Störaktionen der „Gelbwesten“ wirtschaftlich in arge Bedrängnis geraten sind und ihre Übergriffe immer unerträglicher finden.
So klagen PKW- und LKW-Lenker darüber, dass sie bei ihren täglichen Berufsfahrten endlose Umwege einschlagen müssen, um den Blockaden, die die „Gelbwesten“ an Autobahn-Zubringern errichten, zu entgehen – um dann am Ende doch noch in eine Sperre zu geraten.
Dort werden Fahrer manchmal solange nicht weitergelassen, bis sie für die „Gelbwesten“ eine Spende entrichtet haben. Die Betroffenen sprechen von „Schutzgeld-Erpressung“ und „Wegelagerei“.
Gewerbetreibende vor dem Ruin
Vor allem aber droht kleinen Kaufleuten und Handwerksbetrieben in Provinzstädten der Ruin, nachdem die Blockaden und Aufmärsche der „Gelbwesten“ die Weihnachtssaison schwer beeinträchtigt haben.
In der westfranzösischen Metropole Bordeaux, wo es an mehreren Einkaufs-Samstagen zu Ausschreitungen kam, hat ein Komitee aus Gewerbetreibenden einen flehenden Appell an die „Gelbwesten“ gerichtet, diesen Samstag nicht in der Stadt zu demonstrieren.
Die Umsätze sind weggebrochen, viele Firmen können ihre Zulieferer nicht mehr bezahlen. Unternehmen müssen Kurzarbeit verhängen, als nächstes könnte es zu serienweisen Schließungen von kleineren Betrieben und Entlassungen kommen.
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