Wie sicher sind AKW vor Terror-Anschlägen?

Das belgische AKW Doel wurde nach den Brüssel-Attentaten evakuiert.
Die Folgen einen erfolgreichen Angriffs wären katastrophal.

Nach den Bombenanschlägen in Brüssel sind mögliche Anschläge auf Atomkraftwerke in Belgien in den Fokus der Ermittlungen gerückt. Daher stellt sich die Frage: Wie sicher sind eigentlich unsere Atomkraftwerke? Der KURIER hat dazu den Atomexperte Mycle Schneider interviewt, und die wichtigsten Fragen zu Risiken und Sicherheit beantwortet.

Was kann passieren, sollte ein Anschlag auf eine Atomanlage gelingen?

Hätten Terroristen Erfolg, dann wären die Folgen katastrophal: "Ein Anschlag auf einen Reaktor würde die Kühlung lahmlegen und letztendlich zur Kernschmelze führen", sagt Mycle Schneider. Große Mengen an radioaktivem Material würde die Umgebung des Atomkraftwerks verseuchen. Eine deutsche Studie aus 2007 zeigt die verheerenden Auswirkungen: Darin wird ein Anschlag auf das in Südhessen gelegene mittlerweile stillgelegte Atomkraftwerk Biblis simuliert. Bei einer Kernschmelze würden ganze Landstriche im Umkreis von 600 Kilometern um das Kraftwerk auf einen Schlag unbewohnbar werden. Auch Großstädte wie Berlin, Paris oder Prag wären betroffen.

Wie hoch sind die Chancen, dass ein Anschlag auf ein Atomkraftwerk erfolgreich wäre?

Seit den Anschlägen vom 11. September arbeiten Sicherheitsbehörden mit folgendem konkreten Bedrohungsszenario: Ein 20-Mann-starkes bewaffnetes Kommando versucht in eine Atomanlage einzudringen, sagt Schneider. "Die Wahrscheinlichkeit, dass so ein Angriff heute erfolgreich wäre, ist sehr hoch einzuschätzen", denn seit 2001 habe sich bezüglich der Vorbeugung eines solchen Szenarios wenig getan.

Welche Teile eines Atomkraftwerks sind für Terroristen besonders angreifbar?

Das sind vor allem Bereiche, die sich außerhalb des Berstschutzes befinden: einem dicken Mantel aus Beton und Stahl, in dem der Reaktorkern sitzt. In vielen Atomkraftwerken liegen die Abklingbecken außerhalb dieses Mantels. Dort werden die verbrauchten Brennstäbe gelagert und durch Wasser gekühlt. Das macht sie für Terroristen als Ziel besonders lohnenswert: Verdampft dort das Wasser oder geht es durch ein Leck verloren, dann wäre das eine Katastrophe. Die Brennstäbe würden sich entzünden und hochgiftige radioaktive Strahlung würde sich in der Umgebung verbreiten. Bei der Atomkatastrophe in Fukushima beispielsweise ging die Gefahr nicht nur von den Atomreaktoren, sondern vor allem von den Abklingbecken aus.

Was muss getan werden, um AKW vor möglichen Anschlägen zu schützen?

Einerseits müsse die Menge an verbrauchtem Brennstoff am AKW verringert werden, und andererseits müsse dieses Material anders gelagert werden, sagt Schneider. Tatsächlich passiere das Gegenteil: Die Menge hat sich in den vergangenen Jahren sogar erhöht. Und die Brennstäbe werden nach wie vor in Kühlbecken gelagert. Dabei sei eine Umstellung auf Trockenlagerung problemlos möglich und hätte einige Vorteile: Die Brennstäbe sind weniger dicht gelagert, passiv gekühlt, und könnten leichter verbunkert werden, was sie besser vor einem Angriff von außen schützen würde.

Ist in den Sicherheitsplänen von Atomanlagen Das Szenario eines Terroranschlags vorgesehen?

Die technologischen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte bereitet den Sicherheitsgremien das größte Kopfzerbrechen: Atomanlagen, die teilweise aus den 1960er- und 1970er-Jahren stammen sind schwer auf Bedrohungen vorzubereiten, die es damals noch nicht gab. Beispielsweise Flugdrohnen: So kam es im Jahr 2014 zu einer Serie von Drohnenüberflügen über französische Atomanlagen. "Dabei ist es kein einziges Mal gelungen, eine Drohne vom Himmel zu holen", sagt Schneider; oder herauszufinden, wer hinter der Fernsteuerung saß. Drohnen könnten dazu benutzt werden AKW auszuspionieren oder Sprengstoff in das Kraftwerk zu fliegen.

Welche Rolle spielt der Faktor Mensch?

So genannte "Insider-Täter" seien eines der höchsten Sicherheitsrisiken, sagt Schneider. Ein Beispiel hierfür ist ein Vorfall aus dem Jahr 2014 im Atomkraftwerks Doel 4 nahe der belgischen Stadt Antwerpen: Dort wurde eine Turbine schwer beschädigt, weil einer oder mehrere Täter 65.000 Liter Öl abgelassen hatten. Das Atomkraftwerk musste für mehrere Monate still gelegt werden. "Der Kreis der Verdächtigen wurde auf rund 30 Personen eingeschränkt", sagt Schneider. Bis dato ist nicht geklärt wer für den Zwischenfall verantwortlich ist. Ebenfalls in Doel stellte sich im selben Jahr heraus, dass ein behördlich bekannter Dschihadist bis 2012 dort arbeitete. Er hatte bei seiner Einstellung alle Background-Checks bestanden. "Diese Beispiele zeigen, wie weit entfernt man von der absoluten Kontrolle des Faktor Mensch ist", sagt Schneider.

Welche Gefahrenquellen in Bezug auf atomares Material existieren außerhalb von AKW?

Zwei Quellen sieht Schneider offenkundig: Atomlager und -transporte. In der weltweit größten Wiederaufbereitungsanlage im französischen La Hague, in der Plutonium abgetrennt wird, lagern rund 10.000 Tonnen abgebrannte Brennstäbe, "das entspricht dem Äquivalent von mehr als 100 Reaktorkernen", sagt Schneider. "Und die Abklingbecken sind nicht verbunkert", was das Lager für Attacken von oben besonders angreifbar mache. Ein sinnvoller Ansatz wäre auch hier, so viele Brennelemente wie möglich in die Trockenlagerung zu überführen und die Plutoniumabtrennung ganz einzustellen.

Und die Atomtransporte?

Zwei Mal wöchentlich werde über 100 Kilogramm Plutonium per Straßentransport von La Hague in der Normandie in das 1000 Kilometer entfernten Marcoule im Süden gebracht. Schneider sieht diese Transporte angreifbar: "Natürlich gibt es strenge Sicherheitsmaßnahmen. Aber der IS besteht ja nicht aus Hinterhofgangstern". Das größte Sicherheitsrisiko stelle dabei die mögliche Entwendung des transportierten Plutoniums dar: Mit dem Material eines einzigen Transport könne man mehrere atomare Sprengsätze herstellen.

Mycle Schneider ist ein deutscher Energie- und Atompolitikberater. Er berät Institutionen und NGOs wie die IAEO, Greenpeace oder die EU-Kommission hinsichtlich der zivilen und militärischen Nutzung von Kernenergie.

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